Silke Kipper: „Die Nachtigall"

Gar nicht so selten

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Das Buchcover "Die Nachtigall" von Silke Kipper zeigt eine gezeichnete Nachtigall auf blauem Hintergrund.
© Insel Verlag

Silke Kipper, Mit Illustrationen von Nils Hoff

Die Nachtigall. Ein legendärer Vogel und sein GesangInsel, Berlin 2022

176 Seiten

20,00 Euro

Von Volkart Wildermuth · 10.05.2022
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Nachtigall-Männchen singen um Revier und Partnerin. Was die immer neuen Strophenfolgen an biologischen Botschaften enthalten und was Menschen in den Gesang hineininterpretieren, erzählt Nachtigall-Expertin Silke Kipper.
Die Nachtigall ist ein mittelgroßer, mittelbrauner Vogel. Und obwohl sie gar nicht so selten ist, fasziniert die Nachtigall zahlreiche Menschen und ganz besonders Silke Kipper. Seit vielen Jahren ist die Biologin im Frühjahr nachts unterwegs im Berliner Treptower Park, der Hauptstadt der Nachtigallenforschung.
Die Vögel verbringen den Winter in Afrika, Mitte April kehren sie zurück. „Wer da ist, beginnt, sein Territorium ins Leben zu singen“, schreibt Kipper. Weit über hundert verschiedene Strophen beherrscht ein Männchen und kombiniert sie immer aufs Neue.

Stimmduelle in der Nacht

Singt ein Rivale in der Nähe, kommt es zum Stimmduell. Man unterbricht sich, versucht, die Strophe aufzugreifen und noch perfekter zu intonieren. Immer wieder melden sich genervte Berliner und wollen wissen, wie sie die nächtlichen Ruhestörer vertreiben können. Silke Kipper rät zu Ohrstöpseln.
Sie selbst analysiert den Nachtigallengesang mit dem Mikrofon. Größere Männchen singen lauter, das ist wenig überraschend. Aber wer hätte vermutet, dass Vögel, die ihre Strophen besser organisiert vortragen, sich später engagierter an der Jungenaufzucht beteiligen?
„Da will ich doch hoffen, dass die Nachtigall-Damen solch relevante Informationen decodieren können, mit welchem Algorithmus auch immer!“ Ganz sicher ist sich Silke Kipper da aber nicht, denn es ist sehr viel schwerer, die Nachtigallen-Weibchen zu untersuchen.

Was es mit dem „Sicherheitsei“ auf sich hat

Vater- und Mutterschaftstests belegen jedenfalls, dass längst nicht jedes Ei im Nest vom Revierinhaber stammt und dass die Weibchen ihre Eier gelegentlich auch in fremde Nester legen. „Sicherheitsei“ nennt Silke Kipper das: „Falls das eigene Nest Räubern, Unwettern oder auch menschlichen Eingriffen zum Opfer fällt.“
Dabei haben vor allem männliche Biologen lange von treuen Vogelpaaren gesprochen, wohl eher ein Wunschbild. Überhaupt sei die Nachtigall „eine perfekte Projektionsfläche menschlicher Emotionen“.
Goethe reimte von der zurückgekehrten Nachtigall: „Was Neues hat sie nicht gelernt, singt alte liebe Lieder.“ Dabei hören sich die Männchen im Frühling gegenseitig genau zu und üben dann im Winterquartier neue Strophen ein.
„Aber Goethe wird ganz sicher keine Analyse von 530 aufeinander folgenden Strophen im Sinn gehabt haben“, kommentiert Silke Kipper. Im Lied der Nachtigall meinen manche, tiefen Schmerz zu hören, andere eher Liebesfreude.

Über die Herausforderungen nächtlicher Feldforschung

Silke Kipper will den Vogel hinter den Projektionen vorstellen. Sie berichtet faszinierend vom Leben der Nachtigall, aber auch von den Herausforderungen nächtlicher Feldforschung neben Liebespaaren und Obdachlosen.
Nils Hoff liefert mit seinen Illustrationen von Wesen mit Vogelköpfen und Menschenkörpern noch einmal eine ganz eigene Interpretation des oft gehörten und doch oft unbekannten Sängers.
Ein rundum gelungenes Buch, dass Lust macht, selbst nachts in den Park zu gehen, zu lauschen und zu pfeifen. Vielleicht antwortet ja sogar eine Nachtigall, um den vermeintlichen Rivalen in seine Schranken zu verweisen?!
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