Silvester in Berlin

Zirkus trifft Klassik

Zirkus Roncalli
Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli als Clown Zippo. © picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase
Von Philipp Quiring |
Es fing mit einem Versehen an. Vor zwölf Jahren wurde das Berliner Tempodrom doppelt belegt – mit einem Orchester und einem Zirkus. Daraus ist eine Tradition geworden. Dieses Jahr steht neben den Artisten zum ersten Mal Chefdirigent Alexander Shelley mit in der Manage.
Wenn zum Jahreswechsel im Tempodrom das Deutsche-Sinfonieorchester Berlin spielt, sind eine Vielzahl an Solisten geladen. Jonglierende Clowns, durch Reifen springende Hunde oder sich überschlagende Akrobaten auf Stelzen des Zirkus Roncallis sorgen dann dafür, dass die Musik auf unkonventionelle Weise visualisiert wird.
Der Dirigent zersticht mit seinem Stab den störenden Luftballon eines Zirkus-Jungen. Zwischen dem szenischen der Handlung und der Musik finden sich immer wieder Schnittstellen: Ein dirigierender Clown in der Manege, rhythmische Bewegungsabläufe im Takt der Musik. Das Orchester kam in den Zirkus, weil der Veranstaltungsort aus Versehen doppelt belegt wurde, das war vor zwölf Jahren. Seitdem steigen Musiker und Zirkusakteure einmal im Jahr gemeinsam in die Manege. In diesem Jahr erstmals zusammen mit dem Dirigenten Alexander Shelley.
"Ich war mit meinen Eltern und Freunden sehr oft im Zirkus in London. Und ich finde da findet man wie bei der Musik, wie wenn man in einem Konzert ist, auch viel Spielraum für die Fantasie – als Kind, auch als Erwachsener. Das sind Bilder, Abbildungen, Rollen, die gespielt werden, die nicht im normalen Alltag auftauchen. Insofern gibt es da für mich eine Verbindung zwischen Musik und Zirkus."
Shelley dirigiert renommierte Orchester
Alexander Shelley scheut das Scheinwerferlicht nicht: vor allem dann nicht, wenn er damit neue Zuhörer für klassische Musik begeistern kann. Auf dem Album "Escape to paradise" des Geigers Daniel Hope taucht Alexander Shelley in die Filmwelt ein und in die Sehnsüchte, die das Kino weckt. Der 36-jährige Brite studierte zunächst Cello in London, kam dann nach Düsseldorf und studierte darüber hinaus Dirigieren. Mit großem Erfolg: Er dirigiert viele renommierte Orchester, ist Leiter der Nürnberger Symphoniker und Musikalischer Leiter des National Arts Centre Orchestra in Kanada.
Dirigent Alexander Shelley
Alexander Shelley, Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker© picture alliance / dpa / Foto: Daniel Karmann
Zudem gründete er 2005 in Düsseldorf die Konzertreihe "440 Hz" – ein Programm, das sich speziell an junges Publikum wendet. Er initiierte außerdem ein Zukunftslabor mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dabei entwickelten rund 300 Kinder und Jugendliche eine Operninszenierung mit eigenen Choreografien und Kompositionen. Im November erschien außerdem eine Neuinterpretation von "Peter und der Wolf" für die Alexander Shelley mit dem Sänger der "Toten Hosen" Campino und Musikern des Bundesjugendorchesters zusammenarbeitete.
Peter und der Wolf in Hollywood – ein langfristig geplantes Projekt, das – so wie die meisten Konzertprogramme – einen angemessenen zeitlichen Vorlauf hat. Nicht so bei der Zirkusveranstaltung:
"Also wir hatten natürlich erst vor drei, vier Tagen unser Programm, also nachdem der Zirkus Roncalli seine Premiere gemacht hat am 19. Zwei Tage später standen dann die Werke fest. Und davor hatten wir eine ganz, ganz lange Liste an möglichen Werken. So lange war die Liste, dass es überhaupt keinen Sinn gemacht hätte, sich vorzubereiten. Das ist das halbe Repertoire quasi für ein Sinfonieorchester. Ich habe dann einfach ganz gespannt – wie die Orchestermusiker glaube ich – gewartet, was kommt. Dann bekam ich diese lange Liste und dann habe ich erstmal Weihnachten für mich gestrichen. Und ich dachte, ich sitze zuhause und lerne. Nein, das ist nicht ganz ernst gemeint. Trotzdem gab es viel zu lernen zwischen dem 22. und jetzt 27., wo wir mit den Proben beginnen. Aber das ist auch eine Herausforderung und wir stecken alle im gleichen Boot hier. Wir müssen alle sehr schnell hier wieder die Sachen draufkriegen, aber Adrenalin hilft immer und auch ein Schluck Champagner."
Spannung bis vor dem Öffnen des Vorhangs
Der Dirigent und das Deutsche Sinfonieorchester Berlin sind bis kurz vor dem Öffnen des Vorhangs gespannt, was die Artisten darbieten. In den letzten Jahren passierte es schon mal, dass ein Konzertmeister ein noch fehlendes Stück für Orchester kurzfristig arrangieren musste oder der Dirigent Teile eines Stückes verlängern oder wiederholen musste. No gos innerhalb der klassischen Musikwelt.
Einen Mix aus einzelnen sinfonischen Sätzen, kürzeren Walzern und Ouvertüren gilt es auf die Schnelle zu erarbeiten. Das Noten-Material für das Orchester muss zusammengestellt werden. Es gibt nur eine einzige gemeinsame Probe mit allen Beteiligten, bevor es heißt: Manege frei!
"In der Hinsicht hat man so zwei Bühnen für das Publikum. Ein bisschen wie wenn man in der Oper ist oder Ballett sieht. Es gibt sowohl das Orchester, was für sich agiert und was für sich auch unglaublich viel präsentiert und bietet. Und dann noch was für das Auge. Und was immer spannend ist für uns, ist, dass die zwei Sachen sich so ineinander schmelzen: Musik und Bewegung, dass die Sinne nicht geteilt werden für das Publikum. Dass sie das Gefühl haben, dass das Eins wird. Und in dem Fall ist es hoffentlich auch so, dass das Orchester visuell viel zu bieten hat, weil es auch was ganz tolles ist zu beobachten, wie ein Orchester agiert. Das ist eine Art Akrobat auch an sich."