Silvester-Premiere am Burgtheater

Von Bernhard Doppler |
Irgendwie langweilig und müde wirkte diese Inszenierung. Vierzig Jahre nach seiner Entstehung wurde Thomas Bernhards "Der Ignorant und der Wahnsinnige" am Silvesterabend erstmals am Wiener Burgtheater aufgeführt.
"Erschöpfung, nichts als Erschöpfung" sind die letzten Worte in Thomas Bernhards "Salzburger Stück" "Der Ignorant und der Wahnsinnige" und schon vorher einmal: "das Theater ist die Hölle". Insofern schon scheint dieses frühe Drama Thomas Bernhards gut geeignet für den Jahresausklang eines Theaters, für eine Silvester-Premiere, eine früher an vielen Theatern übliche, inzwischen sonst fast ausgestorbene Tradition, die Intendant Matthias Hartmann für das Wiener Burgtheater neu belebt hat.

"Der Ignorant und der Wahnsinnige", ein Auftragswerk der Salzburger Festspiele 1972, ist eine Back-Stage-Komödie: Arzt und Vater warten in der Theatergarderobe auf die Darstellerin der Sängerin der Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte" und assistieren ihr beim Schminken und Anlegen des Kostüms. Nach der Vorstellung sehen wir Doktor, Vater und Tochter in einem Wirtshaus miteinander speisen. Die gefeierte Sängerin sagt dabei der Kunst, sagt alle weitere Auftritte ab.

Mehr als drei Viertel des Textes bestreitet der Doktor, indem er vor dem nur einige Worte wiederholenden, blinden, betrunkenen Vater der Sängerin über Anatomie und die Kunst des Sezierens doziert: Koloraturen der Sängerin und Sezieren der Stimme, Anatomie und Kunst, Künstlichkeit von Kunst, Tod, Perfektion und Kunst werden auf diese Weise Thema des Stücks.

Bernhards frühes Werk hat allerdings ein wenig Staub angesetzt, ein wenig zu direkt existentialistische Fragen erörternd, ein wenig zu konstruiert. Es zeigt noch nicht so deutlich wie spätere Werke den abgründigen, aber auch sehr komödiantischen Übertreibungs- und Erregungskünstler Bernhard.

Gerade daran waren aber vielleicht die Erwartungen eines vergnügungssüchtigen Silvester-Premierenpublikums geknüpft, zumal drei Bugtheater-Publikumslieblinge auftreten: Joachim Meyerhoff (Doktor), Peter Simonischek (Vater) und Sunnyi Melles (Sängerin). Doch der Abend zog sich, zumal Regisseur Jan Bosse sich kaum bemerkbar machte.

Sicherlich das Bühnenbild (Stephane Laime) gefällt: Die Künstlergarderobe vor dem Vorhang, der als Spiegel auch den gesamten Zuschauerraum des Burgtheaters mit spiegelte, dann der Wirtshaustisch, der mit der darauf liegenden Sängerin am Schluss wie das Rembrandt´sche Anatomiebild beleuchtet erschien (Licht: Peter Bandl) oder die in der Umbaupause über den Männern schwebende Königin der Nacht.

Doch die Theaterkatastrophen und Provokationen, von denen in Bernhards Stück immer wieder die Rede ist – plötzlicher Abbruch der Vorstellung, Verweigerung der Schauspieler und andere Pannen - wurden nur angesprochen, kaum theatralisch ausgekostet, nicht einmal das mögliche plötzliche Aufreißen der Nähte im Theaterkostüm.

Und die Schauspieler schienen allein gelassen. Peter Simonischek gab sich keine Mühe, seiner meist aufs Zuhören beschränkten Rolle Eigengewicht zu verschaffen, hin und wieder schlug lediglich er heftig mit seinem Blindenstock auf den Tisch. Sunnyi Melles Stimme traute man trotz Bemühungen bei ihren Einsingübungen kaum große Arien zu. Und vor allem Joachim Meyerhoff schien keinen Ton für den Bernhardsche Erregungstexte und dessen schnellen Wechsel von Anatomievorlesung und Kunstaufgeregtheit gefunden zu haben. Man stellte sich insgeheim vor, wie kauzig grüblerisch wohl Bruno Ganz, für den Thomas Bernhard die Rolle geschrieben hatte, im Kontrast dazu gewesen sein mag. Gleichbleibend hyperaktiv, sich immer wieder nervös das Haupthaar mit der Hand streichend, ermüdete Meyerhoffs aufgeregter Vortrag schnell.

Freundlicher, aber etwas verhaltener Beifall für eine Inszenierung, die nach vierzig Jahren die verspätete Erstaufführung eines noch nie am Wiener Burgtheater gezeigten Stücks des inzwischen zum österreichischen Klassiker gewordenen Autors nachholte. Mehr war es kaum. Da die Premiere früh angesetzt wurde, hatte das Silvester-Publikum danach aber noch fast vier Stunden Zeit, das alte Jahr zu feiern.