Silvesterkrawalle
Die Diskussionen um ein Böllerverbot in der Silvesternacht wandelten sich angesichts der Angriffe auf Polizei und Feuerwehr schnell zu einer Integrationsdebatte. © IMAGO / Jürgen Held
"Ein Problem zu benennen, kann nicht rassistisch sein"
07:24 Minuten
Perspektivlosigkeit und ein überholtes Männlichkeitsbild: So beschreibt der Jurist Ademir Karamehmedovic (SPD) das Milieu, aus dem die vorwiegend migrantischen Tatverdächtigen der Silvesternacht stammen. Das zu benennen, sei nicht rassistisch.
Die Debatte um die mutmaßlichen Täter aus der Silvesternacht geht weiter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beklagte große Probleme mit Gewaltbereitschaft "bestimmter junger Männer mit Migrationshintergrund". Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) forderte einen „Mix aus ausgestreckter Hand und Stopp-Signal“.
Faeser und Giffey sprechen Realität aus
Faeser und Giffey stünden "nicht im Verdacht, auf irgendeine Weise rassistisch zu sein", sagt der Jurist Ademir Karamehmedovic, der sich selbst als linker Sozialdemokrat sieht. "Sie sprechen eine Realität aus. Das bloße Benennen eines Problems kann kein Rassismus sein."
Nach Polizeiangaben wurden die Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr zu zwei Dritteln von jungen Männern nicht-deutscher Herkunft begangen: Demnach haben 45 der in Berlin 145 Festgenommenen die deutsche Staatsbürgerschaft, 27 die afghanische und 21 die syrische. Der Rest verteile sich auf 17 weitere Nationalitäten.
"Realitätsverweigerung" sei noch lange nicht "links" oder "besonders tolerant", so Karamehmedovic. Er bezieht sich damit auf ein, wie er auf Twitter formulierte, "linkes Schweigen". Man dürfe "im Grunde alles sagen, solange man die Ehre anderer" nicht verletze, betont er. Das Grundgesetz sei klar in seinem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit.
Andererseits gebe es kein Recht darauf, widerspruchsfrei zu bleiben, sagt der Jurist mit Blick auf einige Äußerungen aus den Reihen von CDU/CSU. Wer Stunden nach den Berliner Silvester-Ereignissen von "Phänotypen" und "Hautfarben" schwadroniere, dürfe "mit entschiedenem Widerspruch rechnen, gerade auch von der deutschen Sozialdemokratie".
Was Rechtsradikalen in die Hände spielt
Man müsse über die Tatverdächtigen aus "migrantischen Kreisen" reden, unterstreicht auch der Publizist Albrecht von Lucke. "Das heißt nicht, dass man hier irgendwelche Gruppen diskreditiert." Aber offensichtlich gebe es Menschen aus "brutalsten Kriegsgebieten", die in diesem liberalen Staat bereit seien, so zu handeln, wie sie es dort gewohnt waren.
"Es ist ganz verheerend, wenn man sofort sagt, wir haben hier keine speziellen Probleme. Da wiederholt sich das gleiche Problem der Silvesternacht 2015."
Das spiele Rechtsradikalen und Rechtspopulisten von der AfD und anderen in die Hände. Von Lucke warnt davor, die Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte als Taten von "dummen Jungs" zu banalisieren. Die Silvesterkrawalle seien ein Angriff auf die Demokratie gewesen. "Jede Wehrhaftigkeit der Demokratie steht und fällt mit der Tauglichkeit des Gewaltmonopols", sagt er.
Patriarchal geprägte Kulturräume
Die Milieus der mutmaßlichen Täter seien aus den 2010er-Jahren bekannt, sagt der Jurist Karamehmedovic. Man wisse, dass "diese Jungs aus Kulturräumen kommen, die noch patriarchaler geprägt sind als die Mehrheitskultur in Deutschland. Wir müssen uns dann die Frage stellen, was hat dazu geführt, dass diese Kulturräume für unsere Vorstellung von Gleichberechtigung und Gewaltlosigkeit nicht durchlässig genug sind."
Mit den aktuellen Integrationsprogrammen erreiche man die Klientel nicht.
Das Stoppzeichen muss dann schon auch sein: die volle Härte des Rechtsstaats, schnelle Verfahren, eine gut ausgestattete Justiz, gute Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, viele Richterinnen und Richter. Damit die Jungs, die sich jetzt mit 16 strafbar gemacht haben, nicht erst mit 19 oder 20 verurteilt werden. Die machen sich in dieser Zeit noch Dutzende Male strafbar und sind dann im Zweifel bis zu ihrem 25. Lebensjahr auf der Anklagebank.
Die migrantisch geprägten Communitys sind "das ewiggestrige Männlichkeitsbild" nach Darstellung Karamehmedovics selber leid. Er geht aber gleichzeitig davon aus, dass "männliche Autoritätspersonen" in Integrationsprogrammen mehr erreichen würden als "der Sozialarbeiter Klaus", der in den 70er-Jahren Sozialarbeit studiert habe.
Perspektivlosigkeit begünstigt Gewalt
Zu den Ursachen für ein "Abrutschen" in Gewalt zählt Karamehmedovic eine vielfach empfundene Perspektivlosigkeit. Bei Bewerbungen, Prüfungen oder auf dem Wohnungsmarkt hätten Menschen mit "migrantisierten Namen" erwiesenermaßen statistisch schlechtere Chancen.
Das alles führe nicht gerade dazu, dass sich „diese Kids zu Deutschland und zu unserem Rechtsstaat bekennen“. Es rechtfertige aber auch keine Übergriffe auf Polizei und Rettungskräfte wie zu Silvester.
(bth)