Simon Strauss: "Römische Tage"
Tropen Verlag, Stuttgart 2019
142 Seiten, 18 Euro
Wenn man in Rom ist
04:57 Minuten
Simon Strauss spaziert durch die italienische Hauptstadt und notiert seine Beobachtungen. Was vom Rom-Besuch bleibt, meint unser Kritiker, ist die Abwehr großer Worte. Strauss' Betrachtungen sackten niemals ab in selbstbezügliche Koketterie.
Es ist heiß im sommerlichen Rom - ein aufstrebender junger Schriftsteller verbringt hier zwei Monate. Und weiß selbstverständlich, dass es beinahe unmöglich ist, "einfach nur so" in der ewigen Stadt zu sein: "231 Jahre und acht Monate nach Goethe." Was wird er also tun? Sich am Genie ironisch abarbeiten oder sich von dessen einstiger Entdeckung südlicher Gelassenheit inspirieren lassen?
In den ersten Tagen des Aufenthaltes, in seinem Zimmer in der "Via del Corso", schräg gegenüber der "Casa di Goethe", reflektiert er zuerst einmal über die Gefahr, hier irgendetwas Repräsentatives zu verfassen und vom deutschen Kulturbetrieb in eine domestizierte Literatur-Existenz hineingedrängt zu werden: "Unter Beifall in den Betrieb reinrutschen wie in ein lauwarmes Spaßbad."
Kein "intellektueller Neorechter"
Simon Strauss' literarisches Journal "Tage in Rom" ist deshalb eine Art "Porträt des jungen Künstlers als ausgewogener junger Mann": So gibt es hier etwa keine einzige Passage, die Strauss als "intellektuellen Neorechten" outen würde. Ein solcher Vorwurf war - durchaus rufmörderisch - nach seinem Debüt "Sieben Nächte" 2017 laut geworden.
Sogar das für deutsche Verhältnisse ungezwungene Flirtverhalten der alltagssinnlichen Römerinnen und Römer findet in ihm zwar einen subtilen Beobachter, jedoch keinen Nachahmer – was womöglich ein wenig zu bedauern ist.
Je länger man jedoch dem Chronisten durch Roms Straßen folgt, mit ihm entlang des Tiber streift oder das Innere von Kirchen bestaunt, umso deutlicher wird, dass dieser unaufgeregte, niemals bildungsbürgerlich prunkende Chronist keineswegs nur freundliche Harmlosigkeiten notiert.
Zwischen Routine und Hingabe
Gewiss, Rolf Dieter Brinkmanns 1972 geschriebenes Tagebuch "Rom, Blicke" war stilistisch ungleich radikaler, doch in welch beinahe schon faschistoidem Ressentiment war hier ein niedersächsischer Spät-Avantgardist über "die Italiener" hergefallen.
Und - schwierig, angesichts des berühmten Namens eine solche Lesart zu vermeiden - wie hätte sich Botho Strauss, der Vater des Erzählers, angesichts des unübersehbaren Verfalls der Stadt Rom wieder einmal in dräuend vertrackter Zivilisationskritik ergangen?
Welch unaufgeregte Transparenz dagegen in den Notaten des Juniors, sensualistische Beschreibung eines südlichen Ortes, "wo sich das Licht ausruhen kann, nicht einfallen oder etwas durchbrechen muss, sondern schlicht da ist und bleibt".
Sogar als das reale Leben den literarischen Topos "Rom und Tod" zitiert und Simon Strauss mit Herzkomplikationen kurzzeitig in ein Krankenhaus eingeliefert wird, schmuggelt sich keine pompöse "Du-musst-Dein-Leben-ändern"-Rhetorik in seinen Text. Stattdessen schlendert er danach wieder in Kirchen, beobachtet - eine in ihrer Pathosferne besonders berührende Szene - das zwischen Routine und Hingabe changierende Beichten und trifft bei diversen abendlichen Einladungen dann sowohl Künstler und veritable Messerwerfer wie auch ehrwürdige Prälaten.
Glauben in globalisierter Zeit
Auf deren irgendwann gestellte Frage "Glaubst Du?" folgt kein Lamento über das Nicht-mehr-glauben-Können in globalisierter Zeit, sondern ein lapidares und gerade deshalb zu Herzen gehendes Antizipieren jenes Moments, wenn die geliebten Eltern irgendwann einmal nicht mehr sein werden. Vielleicht könnte das eine Art Transzendenz-Erfahrung sein, die Rom als genius loci dann gar nicht mehr benötigt. Was bleibt, quasi als Resümee dieses Stadt-Aufenthaltes, ist die Abwehr großer Worte und Erklärungssysteme: "Vielleicht - das alte Zauberwort kommt mir in den Sinn."
Es ist etwas sympathisch Zögerndes an diesem Buch, dessen Betrachtungen und Beobachtungen niemals absacken in selbstbezügliche Koketterie. Auch wenn man, wohlmeinend, dem Autor mitunter etwas mehr Lebensmut zu einem "Avanti, Ragazzo" gewünscht hätte.