Simon van der Geest: "Der Urwald hat meinen Vater verschluckt"
Mit Illustrationen von Karst-Janneke Rogaar
Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Thienemann Verlag, Stuttgart 2021
425 Seiten, 17 Euro
ab 10 Jahren
Zurück zu den eigenen Wurzeln
06:01 Minuten
Simon van der Geest kann tief in Kinderseelen hineinschauen. Wie gut, zeigt sein neuer Kinderroman, in dem es um Familiengeheimnisse und den damit verbundenen tieferen Themen wie Identität und Entwicklung geht.
Eva ist zwölf Jahre alt. Lebt allein mit ihrer berühmten Mutter. Ihren Vater kennt sie nicht. Alles, was sie weiß, ist: Er kommt aus Südamerika und ging schon vor Evas Geburt zurück in sein Heimatland Surinam. Mehr will ihre Mutter nicht sagen.
Das geht solange gut, bis in der Schule eine Projektarbeit zum Thema "Biologische Väter" ansteht und Eva klar wird, dass sie endlich alles über ihren Vater erfahren muss.
Sie löchert ihre Mutter mit Fragen, sucht in alten Unterlagen und im Internet nach Spuren von ihm. In ihrer Verzweiflung meldet Eva sich bei einer Fernsehshow, die verschwundene Personen ausfindig macht und die Suchenden mit einem Kamerateam begleitet.
Reise in den südamerikanischen Dschungel
So fliegt das Mädchen schließlich mit einem Fernsehteam nach Surinam.
Ein gefährliches Abenteuer beginnt: Evas Fahrt ins Landesinnere – mit Bootsfahrten auf dem Surinam-Fluss, fremden Menschen, fremder Sprache, giftigen Schlangen, heftigem Regen, leerem Handy-Akku und schließlich ohne Geld – endet fast tödlich.
Sie gerät in die Stromschnellen des Flusses. Dazu kommen Rückschläge auf der Suche, Ängste und Nöte.
Doch neben den Gefahren des Urwaldes erfährt man auch viel über dessen Schönheit und Farbenpracht, die Üppigkeit der Vegetation, die Herrlichkeit des tropischen Sternenhimmels und die Liebenswürdigkeit seiner Bewohnerinnen und Bewohner.
Faszinierender Roman
Simon van der Geest mixt in seinem neuen Roman gekonnt verschiedene Genres ineinander: Entwicklungs- und Abenteuerroman, eine Freundschafts- und eine kleine Liebesgeschichte – alles Themen, die Kinder ab 10 direkt betreffen und beschäftigen.
Aber er macht nicht den Fehler, seine jungen Leser und Leserinnen mit einem Happy End zu beruhigen. Viele Fragen bleiben am Schluss offen für Eva und manche ihrer Hoffnungen zerschlagen sich.
Doch Evas außergewöhnliche Geschichte fasziniert. Das liegt nicht nur am Setting, sondern auch daran, dass der Autor seine Protagonistin aus ihrer Sicht erzählen lässt. Ganz nah, im Präsens geschrieben, erfährt man so viel über ihre Gedanken und Gefühle. Schön ist auch der genaue Blick für die Stimmungslage der Menschen um Eva herum. Ein rundum gelungenes Buch.
Am schönsten ist Evas Liebeserklärung an Luuk, ihren Freund zu Hause: "Er ist mein Haus, meine Jacke…". Da wird der actionreiche Roman plötzlich ganz poetisch.