David A. Sinclair / Matthew D. LaPlante: "Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von morgen"
Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel
DuMont Buchverlag, Köln 2019
512 Seiten, 26 Euro
Frieren und hungern für ein langes Leben
06:45 Minuten
David Sinclair ist Langlebigkeitsforscher und zeichnet in "Das Ende des Alterns" ein wissenschaftliches und gleichzeitig sehr verständliches Bild der Möglichkeiten für ein verlängertes Leben. Und er umreißt, was jeder selbst - dafür oder dagegen - tun kann.
"Der Jungbrunnen" heißt das berühmte Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren aus dem 16. Jahrhundert: Links humpeln alte Frauen in ein Badebecken, rechts hüpfen sie in jugendlicher Frische davon. Wie dieser Traum mit moderner Wissenschaft Wirklichkeit werden könnte, beschreibt David A. Sinclair in seinem wuchtigen neuen Buch "Das Ende des Alterns".
Der Harvard-Genetik-Professor zählt zu den führenden Langlebigkeitsforschern. Virtuos bewegt er sich durch die molekularen Feinheiten der Zellgenetik, kennt sich mit den vernetzten Stoffwechselprozessen des Säugetierkörpers aus, weiß, welche Faktoren Gene verstummen lassen und aktivieren, ist umfassend in die Wechselwirkungen zwischen Umwelteinflüssen und Erbgut eingearbeitet. Unterstützt von Matthew D. LaPlante, Professor für Journalistik, zeichnet er wissenschaftlich anspruchsvoll, doch meist gut verständlich ein atemberaubendes Bild moderner Möglichkeiten für ein verlängertes Leben.
Das Alter selbst attackieren und nicht seine Symptome
Als Forscher hat Sinclair selbst die Funktion wichtiger Signalmoleküle aufgeklärt, die das Leben von Hefen, Würmern und Mäusen deutlich verlängern. Die Medizin der Zukunft, so fordert der Amerikaner auf dieser Basis, solle aufhören, die Symptome des Alterns zu bekämpfen, wie steife Gelenke, schwindende geistige Kräfte, Bluthochdruck oder Knochenschwund. Stattdessen sei das Alter selbst als Krankheit anzusehen und in seinen Ursachen direkt zu attackieren.
Schon heute gibt es dazu vielversprechende Substanzen, etwa das Diabetesmedikament "Metformin" oder den Immunmodulator "Rapamycin". In naher Zukunft hält der Genetiker die routinemäßige Impfung von Säuglingen gegen Alterungsprozesse für wahrscheinlich. Dann werden 120 Jahre Lebenszeit bei bester Gesundheit der Normalzustand, mit viel Luft nach oben.
Auch persönlich lässt sich viel für ein langes Leben tun, so der Autor. Frieren, hungern und anstrengende körperliche Tätigkeiten verlangsamen den Alterungsprozess nachweislich. In einem Körper außerhalb der Wohlfühlzone werfen Zellen Überlebensprogramme an, die sie von angesammelten molekularen Artefakten und Verunreinigungen reinigen und damit auch verjüngen.
Die großen Fragen zum Umgang mit den immer älteren Alten
Doch wohin mit all den uralten Menschen auf einem Planeten, der schon jetzt unter seiner Menschenlast ächzt? Wie sollen Sozialsysteme noch mehr Rentner stemmen? Was haben die Armen von dieser Zukunftsvision? Jedes Jahr sterben Millionen von ihnen an gut behandelbaren Krankheiten, weil mangelhafte Gesundheitssysteme und strukturelle Ungerechtigkeit die Todesursache Nummer eins sind.
Solcher Fragen nimmt sich der Autor im letzten Kapitel an und skizziert Zukunftspfade: eine längere Lebensarbeitszeit, gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, Gesetze gegen übermäßigen Ressourcenverbrauch. David A. Sinclair gesteht aber auch offen ein, selbst nicht recht zu wissen, ob und wie die Konsequenzen der Langlebigkeitsforschung beherrschbar seien. Optimistisch hofft er, dass die weise Kreativität der vielen neuen Alten die Probleme von morgen schon lösen wird. Und da scheint er dann auch wieder auf, der naive Traum vom Jungbrunnen ohne Komplikationen.