Sind wir im Krieg? Deutsche Soldaten in Afghanistan
Seit 2002 ist die Bundeswehr am Hindukusch stationiert. Seitdem sind 30 Soldaten ums Leben gekommen, 14 davon durch Anschläge oder Explosionen. Zwei von ihnen wurden gestern bei einer Trauerfeier in Zweibrücken gewürdigt. Die beiden 22- und 25-jährigen Fallschirmjäger waren am Montag durch einen Selbstmordattentäter in der Stadt Kundus getötet worden - mit ihnen starben fünf Kinder.
Seither reißt die Diskussion nicht ab, in was für einer Mission sich die Bundeswehr eigentlich in Afghanistan befindet. Ist es noch der "Einsatz im Frieden", wie Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung nicht müde wird zu betonen? Oder befindet sich die Bundeswehr nicht längst im Krieg?
Bei den letzten Toten verwandte Jung noch Formulierungen wie "aus dem Leben gerissen" oder "ums Leben gekommen" – bei der Trauerfeier in Zweibrücken sprach er erstmals davon, dass die Soldaten "gefallen" seien, "gefallen für den Einsatz für den Frieden".
"Wir haben in der Tat keine ehrliche Begrifflichkeiten", gibt auch Winfried Nachtwei zu. Der sicherheits- und abrüstungspolitische Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen gilt als einer der versiertesten Bundestagsabgeordneten. Er war bereits mehrfach in Afghanistan unterwegs, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen. Friedensmission wäre zu verharmlosend, Stabilisation zu technokratisch und Kriegseinsatz hätte eine andere Dimension."
Von einem Kriegseinsatz der Bundeswehr zu sprechen, sei auch falsch:
"Im Norden wächst ein Guerillakrieg, die Afghanen fühlen sich im Krieg, die Bundeswehr beansprucht für sich, nicht dagegen Krieg zu führen, sondern sich zur Wehr zu setzen. Aber sie geht nicht auf militärische Talibanjagd. Im Krieg geht es um militärische Gegnervernichtung, darauf ist die Bundeswehr nicht ausgerichtet. Ein Bundeswehrgeneral sagte mir mal: `Wir sind im Krieg, aber wir führen keinen Krieg.`"
Indes wird die Situation für die dort stationierten Soldaten immer schwieriger. Kritiker sprechen davon, dass sie mehr damit beschäftigt seien, sich selbst zu schützen, als ihrem Auftrag zu folgen, den Wiederaufbau zu unterstützen.
Zu diesen Kritikern gehört auch Thorsten Hinz. Der Afghanistan-Experte von Caritas International betreut Hilfsprojekte in verschiedenen Regionen des Landes.
Seine Beobachtung:
"Wir sind im Krieg. Nach all dem, was wir von vor Ort wissen, kann man in vielen Regionen von Bürgerkrieg sprechen. Viele Regionen sind ´no go areas` für NGOs oder Regionen, wo wir nur mit militärischem Schutz rein könnten, was wir aber ausschließen. Wo wir nicht mit ´human security` hinkönnen, da gehen wir nicht hin."
Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas seien mittlerweile sogar darauf bedacht, sich von Militärstützpunkten- oder Patrouillen fernzuhalten, um nicht Ziel von Attentaten zu werden.
Er kritisiert auch, dass die Bundeswehr zum Teil Aufbauarbeiten übernimmt:
"Besonders, dass dafür auch noch Einheimische rekrutiert werden, dahinter steht kein Bedarf, das dient der Imagepflege. Aber wenn sich dieses Bild der Bundeswehr als Aufbauhelfer in den Köpfen der Bundeswehr festsetzt, dann werden die Dinge verwischt. Hilfsorganisationen und Bundeswehr werden als westliche Akteure wahrgenommen und als Ziel angesehen. Die Taliban unterscheiden nicht mehr: Hat der ein humanitäres Mandat oder ist er ein Wolf im Schafspelz? Dies ist eine große weltpolitische Debatte, die man am Beispiel Afghanistans sehr exemplarisch führen kann: Was humanitäres Engagement in diesen Gebieten bedeutet."
Seine Forderung:
"Die Bundeswehr sollte sich auf ihr Sicherheitsmandat beschränken und den humanitären Aufbau den dafür vorgesehenen Organisationen überlassen."
Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung und der Erhöhung der deutschen ISAF-Truppen von 3.500 auf 4.500 Soldaten, wird in Deutschland auch die Frage laut, ob die Eskalation der Gewalt in Afghanistan noch mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist.
Winfried Nachtwei verneint:
"Allein mit mehr Kräften ist das nicht zu machen, weil das absurd ist. Man muss einfach sehen – mehr ISAF bedeutet mehr Unsicherheit. Was viel zu wenig beachtet wird: Dort wurde versucht, vereinzelte Provinzen talibanfrei zu machen. Aber das ist mit isolierten Gruppen nicht zu machen. Wer da rücksichtslos reingeht mit einer aggressiven Bekämpfung, dem droht das bekannte afghanische Schicksal - er wird nicht siegen. Solche Art von Kriegs erfahrenen Männern können Sie nicht mit 10.000, nicht mit 30.000 Kräften etwas ausrichten."
"Sind wir im Krieg? Deutsche Soldaten in Afghanistan"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Winfried Nachtwei und Thorsten Hinz. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 – 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.nachtwei.de
www.caritas-international.de
Bei den letzten Toten verwandte Jung noch Formulierungen wie "aus dem Leben gerissen" oder "ums Leben gekommen" – bei der Trauerfeier in Zweibrücken sprach er erstmals davon, dass die Soldaten "gefallen" seien, "gefallen für den Einsatz für den Frieden".
"Wir haben in der Tat keine ehrliche Begrifflichkeiten", gibt auch Winfried Nachtwei zu. Der sicherheits- und abrüstungspolitische Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen gilt als einer der versiertesten Bundestagsabgeordneten. Er war bereits mehrfach in Afghanistan unterwegs, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen. Friedensmission wäre zu verharmlosend, Stabilisation zu technokratisch und Kriegseinsatz hätte eine andere Dimension."
Von einem Kriegseinsatz der Bundeswehr zu sprechen, sei auch falsch:
"Im Norden wächst ein Guerillakrieg, die Afghanen fühlen sich im Krieg, die Bundeswehr beansprucht für sich, nicht dagegen Krieg zu führen, sondern sich zur Wehr zu setzen. Aber sie geht nicht auf militärische Talibanjagd. Im Krieg geht es um militärische Gegnervernichtung, darauf ist die Bundeswehr nicht ausgerichtet. Ein Bundeswehrgeneral sagte mir mal: `Wir sind im Krieg, aber wir führen keinen Krieg.`"
Indes wird die Situation für die dort stationierten Soldaten immer schwieriger. Kritiker sprechen davon, dass sie mehr damit beschäftigt seien, sich selbst zu schützen, als ihrem Auftrag zu folgen, den Wiederaufbau zu unterstützen.
Zu diesen Kritikern gehört auch Thorsten Hinz. Der Afghanistan-Experte von Caritas International betreut Hilfsprojekte in verschiedenen Regionen des Landes.
Seine Beobachtung:
"Wir sind im Krieg. Nach all dem, was wir von vor Ort wissen, kann man in vielen Regionen von Bürgerkrieg sprechen. Viele Regionen sind ´no go areas` für NGOs oder Regionen, wo wir nur mit militärischem Schutz rein könnten, was wir aber ausschließen. Wo wir nicht mit ´human security` hinkönnen, da gehen wir nicht hin."
Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas seien mittlerweile sogar darauf bedacht, sich von Militärstützpunkten- oder Patrouillen fernzuhalten, um nicht Ziel von Attentaten zu werden.
Er kritisiert auch, dass die Bundeswehr zum Teil Aufbauarbeiten übernimmt:
"Besonders, dass dafür auch noch Einheimische rekrutiert werden, dahinter steht kein Bedarf, das dient der Imagepflege. Aber wenn sich dieses Bild der Bundeswehr als Aufbauhelfer in den Köpfen der Bundeswehr festsetzt, dann werden die Dinge verwischt. Hilfsorganisationen und Bundeswehr werden als westliche Akteure wahrgenommen und als Ziel angesehen. Die Taliban unterscheiden nicht mehr: Hat der ein humanitäres Mandat oder ist er ein Wolf im Schafspelz? Dies ist eine große weltpolitische Debatte, die man am Beispiel Afghanistans sehr exemplarisch führen kann: Was humanitäres Engagement in diesen Gebieten bedeutet."
Seine Forderung:
"Die Bundeswehr sollte sich auf ihr Sicherheitsmandat beschränken und den humanitären Aufbau den dafür vorgesehenen Organisationen überlassen."
Wenige Tage nach der Mandatsverlängerung und der Erhöhung der deutschen ISAF-Truppen von 3.500 auf 4.500 Soldaten, wird in Deutschland auch die Frage laut, ob die Eskalation der Gewalt in Afghanistan noch mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist.
Winfried Nachtwei verneint:
"Allein mit mehr Kräften ist das nicht zu machen, weil das absurd ist. Man muss einfach sehen – mehr ISAF bedeutet mehr Unsicherheit. Was viel zu wenig beachtet wird: Dort wurde versucht, vereinzelte Provinzen talibanfrei zu machen. Aber das ist mit isolierten Gruppen nicht zu machen. Wer da rücksichtslos reingeht mit einer aggressiven Bekämpfung, dem droht das bekannte afghanische Schicksal - er wird nicht siegen. Solche Art von Kriegs erfahrenen Männern können Sie nicht mit 10.000, nicht mit 30.000 Kräften etwas ausrichten."
"Sind wir im Krieg? Deutsche Soldaten in Afghanistan"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Winfried Nachtwei und Thorsten Hinz. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 – 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.nachtwei.de
www.caritas-international.de