Singen auf Befehl

Von Gerhard Richter |
1991 gab die damalige brandenburgische Polizeipräsidentin die Order, einen Shanty-Chor zu gründen. Seitdem singen ein Dutzend Wasserschutzpolizisten aus den Revieren zwischen Elbe, Havel und Spree Seemannslieder.
"Heut geht es an Bord", das ist ein ganz besonderes Lied für den Shanty-Chor der Wasserschutzpolizei Land Brandenburg. Jedes Konzert wird damit eröffnet, seit fast 20 Jahren. Weil es das erste Lied war, das die Beamten gelernt haben. Quasi auf Befehl. Der erste Hauptkommissar Joachim Kolm erinnert sich noch gut:

"Ich bekam einen Anruf, ich habe mich unverzüglich in Potsdam zu melden. Komm´ dahin und in dem Raum - muss man sich vorstellen: Zwei Reihen Stühle und gegenüber ein Mann mit Akkordeon, Herr Gerald Sasse, und begrüßte mich freudestrahlend als Mitglied des Shanty-Chores."

Gerald Sasse war damals Chorleiter des gemischten Polizeichors Berlin:
"Ich bekam dann die Bitte und den Auftrag, den dann festgelegten Menschen das Singen beizubringen. Und da waren viele dabei, die das noch sehr fremd empfanden."

Zum Beispiel Jürgen Vogel, damals Stationsleiter in Potsdam:

"Na ja und dann hat man nachher mittlerweile Freude am dem Singen gefunden. Und dann ist das immer weiter gegangen, immer weiter, immer weiter, naja und nachher hat´s schon Spaß gemacht."

Strenger Kapitänsblick, die Hände in der Hosentasche – Hose übrigens mit Bügelfalte – steht Chorleiter Sasse hinterm Klavier. Ein echter Matrosenchor singt nämlich ohne Dirigent, auch beim Proben.

Gerald Sasse: "Man muss von einem Shanty-Chor, der ohne Dirigenten auftritt, eine gewisse Lockerheit, sag ich mal so, auch eine gewisse Schauspielerei verlangen, und das ist der große Vorteil, den dieser Chor auf die Bühne bringt: eine Lockerheit, eine körperliche Lockerheit. Den Spaß an der Freude raus zu lassen!"

Kaum jemand hat Noten dabei, alle 60 Lieder im Repertoire sind auswendig gelernt. Das ist ganz klassisch für einen Shanty-Chor. Eher unüblich sind dagegen die Damen in der Mannschaft, die die zweite und dritte Stimme aufhellen. Frauen sind als Teil der Wasserschutzpolizei schon seit der Gründung an Bord.

Zehn Frauen haben schon mal mitgesungen, zurzeit sind es nur vier. Beate Lorbeer zum Beispiel hat mit der Wasserschutzpolizei gar nichts zu tun, aber sie fand die Matrosenlieder schön. Und die seebärige Mannschaft:


"Shanties, das ist ja auch bisschen flottere Marschrichtung. Zum anderen kommt man sich auch etwas geschützt vor, wenn man Auftritte hat. Irgendwo – in der Fremde. Kann 'ne Kleinstadt sein, kann 'ne größere Stadt sein. Mit so 'nem Background im Rücken singt sich's wunderbar."

Beate Lorbeer hat sogar ihre Liebe hier gefunden und geheiratet. Peter Lorbeer, den Schatzmeister des Chores. Das Ehepaar kommt jeden Montag in den Clubraum des Potsdamer Segelklubs und singt Lieder von Fernweh, Heimweh und Sturmgebraus. Draußen vor dem großen Fenster liegt die stille Havel, am Steg dümpeln Segelboote, alles idyllisch umrahmt von Schilf. Hier ist der Heimathafen des Chores. Ungefähr zwölf Mal im Jahr legt der Klangkörper ab und geht auf große und kleine Fahrt. Schiffstaufen, Seniorentreffen, Staatsempfänge.
"Wir waren in Kanada, wir waren in Nordrhein-Westfalen, wir waren zum Shanty-Chortreffen in Warnemünde dreimal hintereinander und da geht einem irgendwo das Herz auf","

schwärmt Hans-Joachim Kolm. Mit Heino haben sie zusammen gesungen und sogar mit George Bush, dem früheren US-Präsidenten. Das schweißt zusammen.

Aus dem zusammengewürfelten Vorzeigechor ist eine dufte Truppe geworden. Das sieht man in der Probenpause - jeder holt sich an der Theke ein Bier oder ein Glas Wein und schwatzt mit den Kameraden. Wie der erste Vorsitzende Fred Scheppe:

""Und das darf man auch nicht außer Acht lassen, dass Menschen sich einfach freuen, hierher zu kommen, wie sie einfach schlicht und einfach soziale Kontakte pflegen können. Und darauf die ganze Woche warten, und das ist für den Chor auch eine wichtige Funktion."

Von der Gründungsbesatzung sind nur noch vier übrig, alles längst Hauptkommissare a. D. - außer Dienst. Die anderen sind auch nicht mehr ganz jung. Drei 81-Jährige singen mit, das Chorküken ist 47. Bei den Auftritten wirkt der Shanty-Chor aber immer kräftig, frisch und jugendlich.

Alle tragen entweder flottes Fischerhemd mit rotem Halstuch oder strahlend weiße Uniform, manchmal auch Kapitänsjacken mit goldenen Knöpfen. Schließlich haben alle immer noch einen klaren Auftrag.

Hans-Joachim Kolm: "Wir vertreten eigentlich die Polizei des Landes Brandenburg in der Öffentlichkeit und das ist eigentlich das Ziel des Chores, das auch weiter zu gestalten."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.