Singen geht besser als beten und feiern
Mozarts katholische Messen und Bachs evangelische Kantaten werden längst von Kirchenchören gesungen, in denen die Konfessionszugehörigkeit der Sänger keine große Rolle mehr spielt. Die musikalischen Brücken zwischen den beiden Kirchen werden immer breiter. Sie sind auch jenseits des Gemeindegesangs im Laufe der letzten Jahrzehnte ausgebaut worden.
Martin Ludwig: "Die Hymne auf katholischem Gebiet 'Großer Gott wir loben dich' ist eben auch im evangelischen Gesangbuch drin - wenn auch nicht so als Hymne wie 'Ein' feste Burg' - das gibt es in unserem Gesangbuch nicht."
Martin Ludwig, Leiter des Referats für katholische Kirchenmusik an der Universität der Künste in Berlin.
"Großer Gott wir loben dich" gehört zu den beliebtesten Kirchenliedern überhaupt. Es fand schon im 18. Jahrhundert Eingang in die Frühfassung des katholischen Gesangbuchs. Erst im 20. Jahrhundert wurde dieses katholische Lied auch im evangelischen Gottesdienst gesungen. Gekennzeichnet ist das Lied daher in den Gesangbüchern beider Konfessionen mit einem "ö" für "ökumenisches Lied".
137 solcher "ö"-Lieder finden sich im evangelischen Gesangbuch. Umgekehrt sind etwa 100 im "Gotteslob", dem katholischen Gesangbuch enthalten. Darunter befinden sich einige Lieder des evangelischen Theologen und Kirchenlieddichters Paul Gerhardt, dessen 400. Geburtstag 2007 überall gefeiert wurde.
Martin Ludwig: "Es sind herausragende Texte, die auch heute noch jedenfalls Menschen anregen können über ihren Glauben nachzudenken und von daher gesehen, gibt es keinen Grund sie nicht reinzuschreiben. Viele Lieder haben sich durchgesetzt, viele Lieder zünden. Sie werden immer wieder auch in unserer Kirche gerne gesungen. Und das ist, glaube ich, einfach das entscheidende Kriterium, wo ich sagen würde, da hat irgendwie auch unsere liturgische Bewegung einen großen Anteil daran, dass man da schon zur damaligen Zeit, als noch viel weniger von Ökumene die Rede war, sich nicht gescheut hat im Repertoire der evangelischen Konfession, die das wirklich als ihr genuin liturgisches Repertoire hat, auch nachzuschauen und sich dementsprechend zu bedienen."
Wesentliche Impulse für ein toleranteres Miteinander der Konfessionen gingen vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus, das Mitte der 60er Jahre in Rom tagte. Hunderte von Bischöfen aus allen Ländern diskutierten über eine Öffnung der katholischen Theologie gegenüber der Welt - und damit auch über eine Öffnung der katholischen Kirche gegenüber anderen christlichen Glaubensrichtungen.
Die Einbeziehung originär evangelischer Lieder in den katholischen Gottesdienst wurde dadurch möglich. Damit stand aber auch die Form der Messe, des katholischen Gottesdienstes, zu Disposition.
Bis in die 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts folgte der katholische Gottesdienst in wesentlichen Bestandteilen der mittelalterlichen lateinischen Messe. Die Gemeinde selbst hatte daran kaum Anteil; auch die Musik hatte nur eine untergeordnete Bedeutung. Bei den Protestanten dagegen führte bereits Martin Luther im 16. Jahrhundert den Gemeindegesang als gleichwertigen Teil des Gottesdienstes ein. Auf Deutsch gesungene Kirchenlieder sind bei den Protestanten seit dieser Zeit wichtiger Teil der gottesdienstlichen Verkündigung. Denn für Luther galt:
"Wer nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass er’s nicht glaubet. Das einige kann ich jetzt anzeigen, welches auch die erfahrung bezeuget, das nach dem heiligen wort Gottes nichts so hoch zu rühmen und zu loben, als eben die Musica, nemlich aus der ursach, das sie aller bewegung des Menschlichen hertzen eine gewaltige Regiererin ist, da erkennet man die volkomene weisheit Gottes in seinem wunderbarlichen werck der Musica."
Das Zweite Vatikanische Konzil trug zur Versöhnung der Konfessionen bei, und 1969 wurde die "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut" ins Leben gerufen. Zunächst einmal konnte man aus dem reichen Fundus des protestantischen Erbes schöpfen, gleichzeitig wollte man aber der Ökumene eine neue musikalische Grundlage verschaffen.
So erstellte die Arbeitsgemeinschaft ein großes Verzeichnis von Liedern und Gesängen, die den Kirchen gemeinsam sind. Auch ganz neue Lieder sind auf diese Weise entstanden, viele davon fanden dann Eingang in die Gesangbücher der beiden Konfessionen. Manche dieser Lieder sind so progressiv ökumenisch, dass man nicht umhin kann, sich erstaunt Ohren und Augen zu reiben. Dies gilt zum Beispiel für das Abendmahlslied "Dank sei dir, Vater". In Strophe vier singt die jeweils katholische oder evangelische Gemeinde.
"Aus vielen Körnern ist ein Brot geworden:
So führ auch uns, O Herr, aus allen Orten
zu einer Kirche durch dein Wort zusammen
in Jesu Namen."
"Zu e i n e r Kirche" - Mit diesem Lied kann im Rahmen des Abendmahls in beiden Kirchen auch die Ökumene besungen werden. Das Lied ist freilich eine Ausnahme. Es wurde 1970 getextet, als die Aufbruchstimmung und der Wille zur Gemeinsamkeit bei Katholiken und Protestanten einen Höhepunkt erreichten.
Die Schwerpunkte der ökumenischen Lieder liegen allerdings in anderen Bereichen. Peter-Michael Seifried, evangelischer Kantor und Organist in Berlin über Gemeinsamkeiten und Unterschiede:
"Wenn ich die Gesangbücher der beiden großen Konfessionen vergleiche, dann wird sich in der Tat ergeben, dass ich im Bereich Abendmahl, Eucharistie und im Bereich Marienfrömmigkeit, dass sich da konfessionelle Eigenheiten ergeben; und es ist schön, das kann man feststellen und man kann sich daran dann ja auch kräftig reiben und gucken, inwieweit das für einen selbst nachvollziehbar oder glaubhaft ist und sich darauf freuen, in vielleicht 20 Jahren eine persönlich aus Erfahrung andere Haltung zu haben. Aber das sind auch die einzigen Bereiche die in der Tat uns unterscheiden. Alles andere im Bereich Loben und Danken in den beiden Konfessionen das ist identisches Liedgut im Wesentlichen."
Die musikalischen Brücken zwischen den beiden Kirchen sind allerdings noch sehr viel breiter. Sie sind auch jenseits des Gemeindegesangs im Laufe der letzten Jahrzehnte ausgebaut und erweitert worden.
Johann Sebastian Bachs Choralsatz "Wer nur den Lieben Gott lässt walten" kann selbstverständlich in beiden Kirchen aufgeführt werden. Bach bearbeitete hier also ein Lied, das heute als ökumenisch eingestuft wird. Allerdings hat Bach die meisten seiner geistlichen Werke explizit für den evangelischen Gottesdienst geschrieben. So sind seine Kirchen-Kantaten für die jeweiligen Sonntage des evangelischen Kirchenjahres komponiert.
Und auch Bachs Verwendung der deutschen Sprache wäre damals im katholischen Gottesdienst nicht denkbar gewesen. Umgekehrt folgen die Messen von Mozart, Haydn oder Beethoven der traditionell katholischen Messordnung. Dieser geistliche "Stallgeruch" trennt aber nicht mehr, bestätigt Gunter Kennel, Landesmusikdirektor der evangelischen Kirche von Berlin Brandenburg:
"Zweifellos ist die Musik einer der Bereiche, bei dem es im Hinblick auf die Ökumene zwischen den Konfessionen am unproblematischsten ist. Allein in der Pflege des Repertoires, das ist ja heute viel mehr durchmischt, als es noch vor wenigen Jahrzehnten war."
Mozarts katholische Messen und Bachs evangelische Kantaten werden von Kirchenchören gesungen, in denen schon längst die Konfessionszugehörigkeit der Sänger keine große Rolle mehr spielt. Dabei hatten früher katholische Komponisten in ihrer eigenen Kirche mit einem noch ganz anderen Problem zu kämpfen. Nicht selten war ihre Musik der offiziellen katholischen Kirche suspekt. Man befürchtete, dass die Deutlichkeit des christlichen Wortes unter einer allzu expressiven Musik untergeht.
Die Musik aber kann eine tiefgründige theologische Auslegung vermitteln, gerade in ihrer Kunstfertigkeit. Das wurde erst spät erkannt. Weil solche Vorbehalte weitgehend überwunden wurden, sind heute viele musikalische Werke künstlerischer Bestand eines konfessionsübergreifenden Bewusstseins. Auch im evangelischen Bereich bestanden Vorurteile, der Organist Peter-Michael Seifried:
"Wenn ich mir ansehe, was sich in den letzten 20 Jahren musikalisch entwickelt hat, dann ist es einfach im organistischen Bereich sehr stark, dass wir die französische Orgelmusik, die ja aus dem katholischen Bereich lebt, aus dem gregorianischen zum Teil, aus dem symphonischen heraus lebt, dass das ein evangelisch wichtiger Bestandteil geworden ist, was früher nicht denkbar gewesen wäre."
Die Annäherung an das Repertoire der jeweils anderen Konfession gestaltet sich komplex und vielfältig. Die Musik eröffnet dabei die Chance einer neuen theologischen Auseinandersetzung mit den originären Glaubensinhalten der anderen Kirche.
Hans-Peter Seifried: "Konfessionell geprägt, römisch/katholisch zum Beispiel, die Marienfrömmigkeit im Mai; aber die ist für mich immer auch ein Anlass, dass wir im evangelisch-katholisch-ökumenischen Gottesdienst am Pfingstmontag natürlich am Ende ein Marienlied singen. Und auch da gibt es für Evangelische genug Möglichkeiten festzustellen, Maria ist eine Frau, und Frauen zu besingen hat eine lange Tradition, und Maria als Mutter zu besingen, ist auch ein wichtiger Punkt. Und insofern haben wir hier ganz breite Brücken, wo vielleicht mal eine Strophe nicht evangelisch geht, aber wo wir insgesamt gesehen, sehen können, dass auch Maria als ökumenische Figur eine durchaus große Zukunft hat."
Und auch auf dem ältesten Gebiet der Kirchenmusik, der Gregorianik, besinnt man sich auf alte Verbindungen. Bei der Gregorianik handelt es sich um eine musikalische Tradition, die gemeinsames Erbe der beiden Kirchen vor der Reformation war, dann aber vor allem in der katholischen Kirche gepflegt wurde. Jetzt holen die Protestanten auf.
Hans-Peter Seifried: "Im evangelisch-gottesdienstlichen Bereich hat doch sehr stark auch das Bewusstsein für Gregorianik wieder Einzug gehalten. Wir haben eine Choral-Schola in Lenin, die in verschiedenen Brandenburger ehemaligen Klöstern singt, Zisterzienserklöstern. Und das kommt jetzt aus dem evangelischen Bereich, dass wir darauf achten.
Wir haben ein gemeinsames Erbe, spirituelles musikalisches Erbe, was wir wieder beleben. Und gleichzeitig müssen wir sehen, dass im katholischen Bereich diese Art von Erbe gerade zurückgeht. Also ich denke, das ist eine Wellenbewegung, und das zeigt eben auch, wie wichtig das gegenseitige, miteinander Profil zeigen und aus dem anderen Profil lernen doch Ausdruck gewinnt in unsere Kirche."
Einfacher Gesang mit spiritueller Wirkung. Diese Eigenschaften der Gregorianik kennzeichnet auch die Musik einer internationalen christlichen Glaubensgemeinschaft, die voll und ganz für die Einheit aller Christen einsteht: Taizé. Das Bemerkenswerte dabei ist: Taizé-Gottesdienste finden sowohl in katholischen als auch in evangelischen Kirche statt.
Gunter Kennel: "Also gerade Taizé ist eines der schönen und auch herausragenden Beispiele für die ökumenische Bewegung, die auch seit vielen Jahrzehnten sich eben genau darum bemüht, dass die Spaltung der Kirchen überwunden wird und die Gemeinsamkeiten mehr und mehr entdeckt werden.
Taizé ist ja eine Kommunität, die ihrerseits ökumenisch strukturiert ist und organisiert ist und in ihrer Art Gottesdienst zu feiern und Musik zu machen, hat sie auch sehr schnell und auch sehr einprägsam eine eigene musikalische Sprache gefunden. Also das ist durchaus ein eigenständiges Ganzes, was sich da entwickelt hat und was nicht zu unterschätzen ist im Blick auf die Frage, wie kann Ökumene auch musikalisch ihren Ausdruck finden."
Hans-Peter Seifried: "Ins neue Gotteslob, also ins neu zu schaffende oder im Begriff seiende katholische Gesangbuch, da wird Taizé Einzug halten. Und im evangelischen Bereich - seit 1994 haben wir das neue Gesangbuch - da ist zum ersten Mal eine ganze Andacht, eine Taizé-Andacht drin vorhanden.
Und das Gesangbuch hat natürlich als ein Gebet- und Gesangbuch die Folge, dass Laien - und wir gehen ja auf eine Laisierung unsere Kirche zu - dass Laien plötzlich Gebrauch machen können von Andachtsformen, die ihnen ansonsten verschlossen waren. Jetzt kann jeder Mensch das Gesangbuch aufschlagen und eine Andacht nach Taizé feiern, mit anderen zusammen oder alleine. Das ist schon was sehr Bedeutsames."
Martin Ludwig, Leiter des Referats für katholische Kirchenmusik an der Universität der Künste in Berlin.
"Großer Gott wir loben dich" gehört zu den beliebtesten Kirchenliedern überhaupt. Es fand schon im 18. Jahrhundert Eingang in die Frühfassung des katholischen Gesangbuchs. Erst im 20. Jahrhundert wurde dieses katholische Lied auch im evangelischen Gottesdienst gesungen. Gekennzeichnet ist das Lied daher in den Gesangbüchern beider Konfessionen mit einem "ö" für "ökumenisches Lied".
137 solcher "ö"-Lieder finden sich im evangelischen Gesangbuch. Umgekehrt sind etwa 100 im "Gotteslob", dem katholischen Gesangbuch enthalten. Darunter befinden sich einige Lieder des evangelischen Theologen und Kirchenlieddichters Paul Gerhardt, dessen 400. Geburtstag 2007 überall gefeiert wurde.
Martin Ludwig: "Es sind herausragende Texte, die auch heute noch jedenfalls Menschen anregen können über ihren Glauben nachzudenken und von daher gesehen, gibt es keinen Grund sie nicht reinzuschreiben. Viele Lieder haben sich durchgesetzt, viele Lieder zünden. Sie werden immer wieder auch in unserer Kirche gerne gesungen. Und das ist, glaube ich, einfach das entscheidende Kriterium, wo ich sagen würde, da hat irgendwie auch unsere liturgische Bewegung einen großen Anteil daran, dass man da schon zur damaligen Zeit, als noch viel weniger von Ökumene die Rede war, sich nicht gescheut hat im Repertoire der evangelischen Konfession, die das wirklich als ihr genuin liturgisches Repertoire hat, auch nachzuschauen und sich dementsprechend zu bedienen."
Wesentliche Impulse für ein toleranteres Miteinander der Konfessionen gingen vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus, das Mitte der 60er Jahre in Rom tagte. Hunderte von Bischöfen aus allen Ländern diskutierten über eine Öffnung der katholischen Theologie gegenüber der Welt - und damit auch über eine Öffnung der katholischen Kirche gegenüber anderen christlichen Glaubensrichtungen.
Die Einbeziehung originär evangelischer Lieder in den katholischen Gottesdienst wurde dadurch möglich. Damit stand aber auch die Form der Messe, des katholischen Gottesdienstes, zu Disposition.
Bis in die 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts folgte der katholische Gottesdienst in wesentlichen Bestandteilen der mittelalterlichen lateinischen Messe. Die Gemeinde selbst hatte daran kaum Anteil; auch die Musik hatte nur eine untergeordnete Bedeutung. Bei den Protestanten dagegen führte bereits Martin Luther im 16. Jahrhundert den Gemeindegesang als gleichwertigen Teil des Gottesdienstes ein. Auf Deutsch gesungene Kirchenlieder sind bei den Protestanten seit dieser Zeit wichtiger Teil der gottesdienstlichen Verkündigung. Denn für Luther galt:
"Wer nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass er’s nicht glaubet. Das einige kann ich jetzt anzeigen, welches auch die erfahrung bezeuget, das nach dem heiligen wort Gottes nichts so hoch zu rühmen und zu loben, als eben die Musica, nemlich aus der ursach, das sie aller bewegung des Menschlichen hertzen eine gewaltige Regiererin ist, da erkennet man die volkomene weisheit Gottes in seinem wunderbarlichen werck der Musica."
Das Zweite Vatikanische Konzil trug zur Versöhnung der Konfessionen bei, und 1969 wurde die "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut" ins Leben gerufen. Zunächst einmal konnte man aus dem reichen Fundus des protestantischen Erbes schöpfen, gleichzeitig wollte man aber der Ökumene eine neue musikalische Grundlage verschaffen.
So erstellte die Arbeitsgemeinschaft ein großes Verzeichnis von Liedern und Gesängen, die den Kirchen gemeinsam sind. Auch ganz neue Lieder sind auf diese Weise entstanden, viele davon fanden dann Eingang in die Gesangbücher der beiden Konfessionen. Manche dieser Lieder sind so progressiv ökumenisch, dass man nicht umhin kann, sich erstaunt Ohren und Augen zu reiben. Dies gilt zum Beispiel für das Abendmahlslied "Dank sei dir, Vater". In Strophe vier singt die jeweils katholische oder evangelische Gemeinde.
"Aus vielen Körnern ist ein Brot geworden:
So führ auch uns, O Herr, aus allen Orten
zu einer Kirche durch dein Wort zusammen
in Jesu Namen."
"Zu e i n e r Kirche" - Mit diesem Lied kann im Rahmen des Abendmahls in beiden Kirchen auch die Ökumene besungen werden. Das Lied ist freilich eine Ausnahme. Es wurde 1970 getextet, als die Aufbruchstimmung und der Wille zur Gemeinsamkeit bei Katholiken und Protestanten einen Höhepunkt erreichten.
Die Schwerpunkte der ökumenischen Lieder liegen allerdings in anderen Bereichen. Peter-Michael Seifried, evangelischer Kantor und Organist in Berlin über Gemeinsamkeiten und Unterschiede:
"Wenn ich die Gesangbücher der beiden großen Konfessionen vergleiche, dann wird sich in der Tat ergeben, dass ich im Bereich Abendmahl, Eucharistie und im Bereich Marienfrömmigkeit, dass sich da konfessionelle Eigenheiten ergeben; und es ist schön, das kann man feststellen und man kann sich daran dann ja auch kräftig reiben und gucken, inwieweit das für einen selbst nachvollziehbar oder glaubhaft ist und sich darauf freuen, in vielleicht 20 Jahren eine persönlich aus Erfahrung andere Haltung zu haben. Aber das sind auch die einzigen Bereiche die in der Tat uns unterscheiden. Alles andere im Bereich Loben und Danken in den beiden Konfessionen das ist identisches Liedgut im Wesentlichen."
Die musikalischen Brücken zwischen den beiden Kirchen sind allerdings noch sehr viel breiter. Sie sind auch jenseits des Gemeindegesangs im Laufe der letzten Jahrzehnte ausgebaut und erweitert worden.
Johann Sebastian Bachs Choralsatz "Wer nur den Lieben Gott lässt walten" kann selbstverständlich in beiden Kirchen aufgeführt werden. Bach bearbeitete hier also ein Lied, das heute als ökumenisch eingestuft wird. Allerdings hat Bach die meisten seiner geistlichen Werke explizit für den evangelischen Gottesdienst geschrieben. So sind seine Kirchen-Kantaten für die jeweiligen Sonntage des evangelischen Kirchenjahres komponiert.
Und auch Bachs Verwendung der deutschen Sprache wäre damals im katholischen Gottesdienst nicht denkbar gewesen. Umgekehrt folgen die Messen von Mozart, Haydn oder Beethoven der traditionell katholischen Messordnung. Dieser geistliche "Stallgeruch" trennt aber nicht mehr, bestätigt Gunter Kennel, Landesmusikdirektor der evangelischen Kirche von Berlin Brandenburg:
"Zweifellos ist die Musik einer der Bereiche, bei dem es im Hinblick auf die Ökumene zwischen den Konfessionen am unproblematischsten ist. Allein in der Pflege des Repertoires, das ist ja heute viel mehr durchmischt, als es noch vor wenigen Jahrzehnten war."
Mozarts katholische Messen und Bachs evangelische Kantaten werden von Kirchenchören gesungen, in denen schon längst die Konfessionszugehörigkeit der Sänger keine große Rolle mehr spielt. Dabei hatten früher katholische Komponisten in ihrer eigenen Kirche mit einem noch ganz anderen Problem zu kämpfen. Nicht selten war ihre Musik der offiziellen katholischen Kirche suspekt. Man befürchtete, dass die Deutlichkeit des christlichen Wortes unter einer allzu expressiven Musik untergeht.
Die Musik aber kann eine tiefgründige theologische Auslegung vermitteln, gerade in ihrer Kunstfertigkeit. Das wurde erst spät erkannt. Weil solche Vorbehalte weitgehend überwunden wurden, sind heute viele musikalische Werke künstlerischer Bestand eines konfessionsübergreifenden Bewusstseins. Auch im evangelischen Bereich bestanden Vorurteile, der Organist Peter-Michael Seifried:
"Wenn ich mir ansehe, was sich in den letzten 20 Jahren musikalisch entwickelt hat, dann ist es einfach im organistischen Bereich sehr stark, dass wir die französische Orgelmusik, die ja aus dem katholischen Bereich lebt, aus dem gregorianischen zum Teil, aus dem symphonischen heraus lebt, dass das ein evangelisch wichtiger Bestandteil geworden ist, was früher nicht denkbar gewesen wäre."
Die Annäherung an das Repertoire der jeweils anderen Konfession gestaltet sich komplex und vielfältig. Die Musik eröffnet dabei die Chance einer neuen theologischen Auseinandersetzung mit den originären Glaubensinhalten der anderen Kirche.
Hans-Peter Seifried: "Konfessionell geprägt, römisch/katholisch zum Beispiel, die Marienfrömmigkeit im Mai; aber die ist für mich immer auch ein Anlass, dass wir im evangelisch-katholisch-ökumenischen Gottesdienst am Pfingstmontag natürlich am Ende ein Marienlied singen. Und auch da gibt es für Evangelische genug Möglichkeiten festzustellen, Maria ist eine Frau, und Frauen zu besingen hat eine lange Tradition, und Maria als Mutter zu besingen, ist auch ein wichtiger Punkt. Und insofern haben wir hier ganz breite Brücken, wo vielleicht mal eine Strophe nicht evangelisch geht, aber wo wir insgesamt gesehen, sehen können, dass auch Maria als ökumenische Figur eine durchaus große Zukunft hat."
Und auch auf dem ältesten Gebiet der Kirchenmusik, der Gregorianik, besinnt man sich auf alte Verbindungen. Bei der Gregorianik handelt es sich um eine musikalische Tradition, die gemeinsames Erbe der beiden Kirchen vor der Reformation war, dann aber vor allem in der katholischen Kirche gepflegt wurde. Jetzt holen die Protestanten auf.
Hans-Peter Seifried: "Im evangelisch-gottesdienstlichen Bereich hat doch sehr stark auch das Bewusstsein für Gregorianik wieder Einzug gehalten. Wir haben eine Choral-Schola in Lenin, die in verschiedenen Brandenburger ehemaligen Klöstern singt, Zisterzienserklöstern. Und das kommt jetzt aus dem evangelischen Bereich, dass wir darauf achten.
Wir haben ein gemeinsames Erbe, spirituelles musikalisches Erbe, was wir wieder beleben. Und gleichzeitig müssen wir sehen, dass im katholischen Bereich diese Art von Erbe gerade zurückgeht. Also ich denke, das ist eine Wellenbewegung, und das zeigt eben auch, wie wichtig das gegenseitige, miteinander Profil zeigen und aus dem anderen Profil lernen doch Ausdruck gewinnt in unsere Kirche."
Einfacher Gesang mit spiritueller Wirkung. Diese Eigenschaften der Gregorianik kennzeichnet auch die Musik einer internationalen christlichen Glaubensgemeinschaft, die voll und ganz für die Einheit aller Christen einsteht: Taizé. Das Bemerkenswerte dabei ist: Taizé-Gottesdienste finden sowohl in katholischen als auch in evangelischen Kirche statt.
Gunter Kennel: "Also gerade Taizé ist eines der schönen und auch herausragenden Beispiele für die ökumenische Bewegung, die auch seit vielen Jahrzehnten sich eben genau darum bemüht, dass die Spaltung der Kirchen überwunden wird und die Gemeinsamkeiten mehr und mehr entdeckt werden.
Taizé ist ja eine Kommunität, die ihrerseits ökumenisch strukturiert ist und organisiert ist und in ihrer Art Gottesdienst zu feiern und Musik zu machen, hat sie auch sehr schnell und auch sehr einprägsam eine eigene musikalische Sprache gefunden. Also das ist durchaus ein eigenständiges Ganzes, was sich da entwickelt hat und was nicht zu unterschätzen ist im Blick auf die Frage, wie kann Ökumene auch musikalisch ihren Ausdruck finden."
Hans-Peter Seifried: "Ins neue Gotteslob, also ins neu zu schaffende oder im Begriff seiende katholische Gesangbuch, da wird Taizé Einzug halten. Und im evangelischen Bereich - seit 1994 haben wir das neue Gesangbuch - da ist zum ersten Mal eine ganze Andacht, eine Taizé-Andacht drin vorhanden.
Und das Gesangbuch hat natürlich als ein Gebet- und Gesangbuch die Folge, dass Laien - und wir gehen ja auf eine Laisierung unsere Kirche zu - dass Laien plötzlich Gebrauch machen können von Andachtsformen, die ihnen ansonsten verschlossen waren. Jetzt kann jeder Mensch das Gesangbuch aufschlagen und eine Andacht nach Taizé feiern, mit anderen zusammen oder alleine. Das ist schon was sehr Bedeutsames."