Singen ist "Männersache"

Von Anke Petermann |
140 Jahre alt ist die Germania 1873 Weißkirchen - angefangen hat der Gesangverein in Oberursel im Taunus als Männerchor. Doch er siechte in den vergangenen Jahrzehnten dahin. Mit einer Werbeoffensive ging der Chor auf Stimmenfang.
Chor: "Schönes Wetter heute"

Einen neuen dynamischen Chor wollten sie, die langjährigen Mitsänger bei der Germania 1873 ‒ Chorleiter Peer-Martin Sturm nimmt sie beim Wort. German Swing steht auf dem Programm im PVC-gefliesten, neonbeleuchteten Saal des Feuerwehrhauses von Oberursel-Weißkirchen.

Peer-Martin Sturm: "Ein junger Mann, padampampadadam, n bisschen kerniger, n bisschen rhythmischer, ja, die Töne nicht zu lang halten, also nicht machen "ein juunger Maann / so fäängt es meistens aan", sondern "ein junger Mann / so fängt es meistens an."

Zwei Dutzend Sänger, davon ein Viertel neue, straffen sich, singen dem Chorleiter aber immer noch zu behäbig. Den Frankfurter Operntenor hält es nicht auf dem Klavierhocker. Obwohl kein Leichtgewicht, schnellt er hoch, baut sich vor seinem Chor auf, federt in den Knien, klatscht den Rhythmus.

Chor: "Schönes Wetter heute" mit Klatschen

Für Thomas Alan Richter ist Tempo kein Problem. Von den Neuen ist der dunkelhaarige 27-Jährige mit Abstand der jüngste. Vor einem Vierteljahr kam der Tenor mit den tätowierte Unterarmen dazu:

"Absolut spontan. Ich bin mit meiner Freundin durch die Vorstadt gelaufen, und da hab ich diesen Stand gesehen, Männerchor, und da dachte ich mir, hey, lass uns doch mal hingehen, und seitdem hat mich das gepackt. Gesungen, nur mal unter der Dusche oder zu den Liedern, die ich gern mag, ansonsten spiele ich Klavier und Gitarre, und dachte mir, dass der Männerchor ‚ne nette Ergänzung dazu wäre. Die Reaktion, als ich das erste Mal herkam und ein so junger Kerl bin, das hatten die nicht erwartet und freuen sich alle, dass ich da bin."

Chor: "Lasst uns ein Stündlein lustig sein"

Bass singt als "alter Hase" Ulrich Blaschke im blaugrauen Anzug. Von 140 Jahren Vereinsgeschichte hat der Endfünfziger 38 miterlebt:

"Ich bin seinerzeit in einen Männerchor eingetreten, der in etwa 50 Mann hatte und ein Repertoire von Schubert über Operette, Opern, geistliche Sachen, und das war seinerzeit das, was geprickelt hat."

Chor: "Mit 66 Jahren"

Heute prickelt German Swing. Wie damals sitzt Ulrich Blaschke neben seinem Zwillingsbruder. Anderes veränderte sich:

"Es ist so ein schleichender Prozess, und man merkt, dass der Chor kleiner wird, dann stellt man fest, dass man auch noch mit 18 Mann oder mit 14 Mann singen kann, wenn jeder singen kann. Das Problem ist nur, wenn der ein oder andere dann beruflich verhindert ist, dann wird’s n bisschen sehr dünne, und ich denke, es war an der Zeit, dass man irgendwas getan hat."

Als Leiter des Projekts "Männersache" sprach Stefan Hofmann an Infoständen im nördlichen Frankfurter Speckgürtel jeden Mann an, der vorbeikam. Das Angebot: Mitsingen ohne Vereinsbindung, kostenlos für ein Jahr. Die Personalnot im Männerchor war stärker als die Bedenken, zu viele Neue könnten die gewachsene Sängergemeinschaft stören:

"Es hat mich unserer ältester Sänger ganz bewusst sogar danach angesprochen und hat gesagt: Nimm auf uns Alte keine Rücksicht, ihr müsst gucken, dass unser Verein eine Zukunft hat. Und das fand ich klasse. Der hat nämlich vor ein paar Jahren noch ganz anders gesprochen. Tatsache ist, dass im Prinzip alle dahinter gestanden haben."

Neu zur Germania kam auch Frank Treppmann. Der Mittvierziger im gestreiften Hemd hatte auf mehr jüngere Mitsänger beim Projekt "Männersache" gehofft – "macht aber nichts", winkt der Tenor ab:

"Das sind ganz nette Leute. Was mich vor allem aber hält und auch Spaß macht, das ist so der jungenhafte Charme dieses Chorleiters. Damit steht und fällt das Ganze, glaube ich. Also, das ist, was mich bei der Stange hält zumindest für dieses Projekt, das bis zum Ende auch mit zu begleiten. Ich hab‘ damals Gitarre spielen gelernt mit Reinhard Mey, also unter anderem ist ja die "Diplomatenjagd" mit dabei, das war auch der erste Song, den wir hier eingeübt haben, das hat mich auch so’n bisschen angesprochen, nech."

Sturm / alle: "Jetzt machen wir – Ich habe gerade noch den Wunsch Diplomatenjagd vernommen – ja, auf jeden Fall – Lachen – Aber nein, ich möchte sie nicht vorn anfangen. Ich möchte hingehen zu dem was wir letztes Mal gemacht haben nämlich mit diesem Wau-Wau, mit diesen Einlagen, das ist, glaube ich, Ziffer drei: Es knallen die Büchsen, eins zwei – Chor: es knallen die Büchsen … den Verlust seines Dackels beklagt, wau-wau – halt"

Thomas Alan Richter bellt engagiert mit, muss sich jedoch belehren lassen:

Sturm / Richter: "Halt! Macht nur einer. – Ach, macht nur einer? – Ja, wir haben einen Dackel engagiert, der heißt Karl-Heinz."

Das alleinige Dackel-Privileg hat Sangesbruder Karlheinz. Thomas Alan Richter darf nicht bellen. Was seinem Engagement aber keinen Abbruch tut. Wird er nach Projektende im kommenden Herbst dabei bleiben?

"Na, ich hoffe doch, die nächsten 25 bis 50 Jahre mindestens – einfach weil‘s Spaß macht und wir ja auch auf Auftritte hin proben und ich da auch starkes Interesse an Auftritten habe, um zu zeigen, was ich kann. Und ich hoffe natürlich, dass ich in Zukunft vielleicht auch aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis viele weitere junge Leute dazu bewegen kann, sich das zumindest mal anzuhören oder auch mal mitzumachen und dann vielleicht sogar dabeizubleiben – also fand‘ ich ganz schön."

Homepage Gesangverein Weißkirchen Männerchor

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.