Singen lernen peu à peu

Von Gerhard Richter |
Kiel liegt nicht am Mittelmeer, und bis zur französischen Grenze sind es mehr als 700 Kilometer. Und doch schlagen in der Hauptstadt Schleswig-Holsteins ein paar Herzen für die französische Kultur. Die deutsch-französische Gesellschaft in Kiel zählt 220 Mitglieder und mehr als zwanzig davon singen in einem Chor.
Ebba Voss: "Ich wusste gar nicht, dass ich singen kann, und dann hat mich eine mitgenommen... komm doch mit zum französischen Chor. Ich sach: Kanns ja mal versuchen. Und da ich eine ziemlich tiefe Stimme habe, bin ich gleich in den Tenor gekommen. Und heute musste ich sogar beim Bass mitsingen. Und so bin ich reingekommen und man kann´s lernen. Man kann wirklich singen lernen."

Edda Voss setzt sich auf einen der Stühle im Halbkreis. Die 76-jährige Schneiderin hat ihr halbes Leben in Frankreich verbracht. Heute sitzt sie zwischen den fünf Männern, deren Bass sie verstärkt, und den zwölf Frauen, im Alt und Sopran. Der Chorleiter heißt Günter Brand: Fünftagebart, blonde schulterlange Locken, Hemd über der Hose. Durch seine Goldrand-Brille blickt der 49-jährige Kantor mit Liebe zum Jazz in die Runde: Ein paar Mitglieder fehlen, ein paar neue sind zum Schnuppern da. Das ist ganz normal bei "Prêt-à-chanter", dem deutsch-französischen Chor. Hier geht es betont locker zu. Vor vier Jahren hat Günter Brand diesen bunt zusammengewürfelten Chor mit der Vorliebe für französische Musik übernommen:

"Sie waren etwas kleiner als jetzt. Sie haben gerne Renaissance gesungen. Und ich hab dann angefangen, auch jazzorientierte Chansons mit ins Repertoire aufzunehmen, und das haben sie auch dankbar und gerne gesungen."

Der Chor "Prêt-à-chanter" gehört zur deutsch-französischen Gesellschaft Schleswig-Holstein mit Sitz in Kiel. Die wurde schon 1951 gegründet und kümmert sich seitdem um Sprachkurse, organisiert regelmäßigen Jugendaustausch und betreut die Kieler Städtepartnerschaft mit Brest in der Bretagne. Seit 1997 bietet die deutsch-französische Gesellschaft auch diesen deutsch-französischen Chor.

Jeden Montagabend treffen sich Psychologiestudenten, Rentnerinnen, Politikwissenschaftler oder Sachbearbeiterinnen. Alle hatten sie schon intensiven Kontakt mit der französischen Sprache:

"Ja ich hab Französisch studiert und ich wollte gern drinbleiben."

"Ja ich war früher vier Jahre lang auf dem Collège français und war dann auch viel im Urlaub dort."

"Durch Zufall bin ich ins Baskenland gekommen, ins französische, und ich hatte ein klein bisschen Geld und konnte mir da ein Haus kaufen."

"Ich hab' Französisch als zweite Fremdsprache gehabt und war da nie so gut, bis wir in der neunten Klasse mal so einen Austausch gemacht haben, und seitdem hab ich da so einen Dreh dafür."

"Und das Singen, das übt die Aussprache, der Klang, der kommt dann besser rein."

Günter Brand: "Bei 'repetier' nicht so norddeutsch breit, re-pe-tier, sondern repetier. Also eigentlich könnt ihr euern Mund in derselben Form lassen. Schnute und ..."

Zwei- oder dreimal pro Jahr treten "Prêt-à-chanter" auch auf, zum Beispiel bei den Primeur-Tagen der deutsch-französischen Gesellschaft oder bei anderen Kulturfesten. Einmal jährlich fahren sie zum Probenwochenende und üben intensiv an neuen Stücken:

"Ja gewünscht sind aus dem Chor eigentlich überwiegend französische Lieder, wobei ich auch gesagt habe, wir sollten auch mehr deutsche singen, weil man bekommt ja auch französischen Besuch, dem man was Deutsches präsentieren will oder die Idee ist ja auch immer mal nach Frankreich zu fahren, das hat bisher noch nie stattgefunden und ich denke, dass wir dort ja eher deutsche Musik präsentieren sollten."

Zu der Reise nach Frankreich, in die Partnerstadt Brest hat es noch nie gereicht. Dafür ist die Fluktuation zu groß, sagt Günter Brand, das Repertoire nicht sicher genug:

"Also ich würde gerne mal mit dem Chor nach Brest fahren, aber das haben wir noch nicht beschlossen, wann das sein wird. Das ist ja nicht nur dann eine Stippvisite von drei Leuten, sondern das muss ja ein Ensemble sein, was man vorzeigen kann. Das muss ja klingen."

Einmal im Monat lassen es die Chormitglieder dann aber doch sehr französisch klingen. Nach der eigentlichen Probe rücken sie gemeinsam ein paar Tische in die Mitte des Probenraums, packen Baguette, Kekse, Käse, Äpfel und Kartoffelchips aus und reden bei einem Glas Gewürztraminer oder Bordeaux wild durcheinander. Meist deutsch, aber ab und zu auch mal französisch. Mittendrin Ebba Voss, die 76-jährige Schneiderin, die eben noch im Bass gesungen hat:

"Es bilden sich auch so kleine Cliquen und Freundschaften, die sich auch außerhalb treffen. Der Chor ist eben ne ganz schöne Sache, bringt Spaß, befreit, man vergisst alles und vor allem, dass man wieder was lernt, das find' ich ganz wichtig."

Die letzten räumen noch Weinflaschen und leere Kartoffelchipstüten weg und singen zum Abschied ein kleines französisches Lied.

Informationen des Chors "Prêt-à-chanter" aus Kiel
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.