Singend um die Welt

Von Marina Schweizer |
Der Männerchor MGV Eintracht Erbach in Bad Camberg feiert dieses Jahr seinen 120. Geburtstag. Teilweise sind mehrere Generationen derselben Familie Mitglied. Sie alle reisen zu Chorfesten im Ausland und halten ihre Gästezimmer bereit für fremde Sänger.
50 Herren dehnen auf der Bühne im großen weißen Festzelt ihre Nacken- und Kiefermuskulatur. Noch geht es leger zu. Ein Mix aus Polohemden, kurzen Hosen und Trekkingsandelen. Und man ist zu Männerhumor aufgelegt:

Karl-Wilhelm Dünnes: "Sie lenken ab."
Frau: "Ich lenke ab?"
Dünnes: "Bei einer hübschen Sängerin, da schaut man gerne länger hin."

Ein Schenkelklopfer in trauter Runde - das war es dann aber schon mit den Männerchor-Klischees an diesem Tag. Die Herren singen sich ein für die letzte Probe vor der großen Chornacht. Über ihnen hängt in roter Pappe der Schriftzug "120 Jahre MGV Eintracht Erbach". Ein Traditionsverein, einige Familien im Ort haben schon mehrere Sängergenerationen gestellt:

"Das Besondere ist halt, dass oftmals die Familien, die Väter und die Söhne singen oder die Opas. Und man kennt sich halt, es sind viele Familien integriert. Es ist ein guter Zusammenhalt eben."

Tobias Schuhen, 2. Tenor, mit 32 Jahren eines der jüngeren Mitglieder. Sechzig Jahre Altersunterschied liegen zwischen dem jüngsten Sänger mit 22 Jahren und dem ältesten. Die Opas und Väter sind - wie in den meisten Männerchören- mittlerweile in der Überzahl. Ein paar von ihnen konnten die Söhne zum Mitmachen bewegen.

Der Chor hat mehr zu bieten, als Konzerte und Proben: Gefragt nach den persönlichen Highlights erwähnen die Sänger strahlend die vielen Auslandsreisen. Obwohl die Planungen dafür langwierig sind und die meisten Mitglieder für die Chorreisen Urlaub nehmen müssen.

"Ach ja, also, ich bin jetzt 43 Jahre hier im Chor."

Michael Schüler, erster Bass und mittlerweile 1. Vereinsvorsitzender,
"Ich habe mit 15 angefangen. Und die Erlebnisse seit dieser Zeit sind enorm. Die sind gewachsen, irgendwo verankert im Kopf. Die Auslandsreisen, die wir gemacht haben ... ich meine, ich bin durch den Chor nach Estland gekommen, nach Russland, nach Bulgarien, wir waren in Israel. Wir waren vor zwei Jahren in Norwegen auf einem ganz hochwertigen internationalen Chorwettbewerb und das inspiriert und das gibt Kraft."

Das Repertoire ist international. Die Herren sind weltgewandt und sie suchen im Ausland auch musikalische Herausforderungen:

"Es muss so ein Mix sein",

findet Festpräsident Hubert Diehl.

"Einmal die Anspannung des chorischen Auftritts. Aber auch das Interesse und die Wachheit, die Gegebenheiten eines Landes aufzunehmen und ich glaube das ist uns immer ganz gut gelungen."

Jedes Jahr nimmt der Chor an Wettbewerben im Inland teil und im Ausland misst sich die Gruppe gelegentlich sogar mit semi-professionellen Chören. Ziemlich erstaunlich, denn:

"Es ist definitiv ein Laienchor und ich möchte mal sagen 80 Prozent der Chorarbeit besteht in der Tat aus dem Proben der Töne."
Karl-Wilhelm Dünnes, Chorleiter und Bariton.

"Es gibt wenige Sänger, die über Notenkenntnisse verfügen, aber in der Tat ist das die deutliche Minderheit."

Der MGV Eintracht ist auf den Bühnen der Welt zuhause, die Welt ist aber auch immer wieder zu Gast in Erbach. Seit den 80er Jahren schlafen fast jedes Jahr für ein paar Tage Sänger und Sängerinnen aus den verschiedensten Ländern in den Gästezimmern der Chorfamilien.

Michael Schüler: "Die wohnen bei uns, wir stellen ein Bett zur Verfügung, wir arrangieren das Essen, wir arrangieren Konzerte mit den Leuten, Empfang beim Bürgermeister und zeigen denen unsere Gegend: Deutschland halt."

Hubert Diehl: "Dennoch ist die Notwendigkeit gegeben, dass entweder einer der Ehepartner schon aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist und zuhause ist oder dass jemand Urlaub nimmt. Anders geht es nicht."

Brunhilde Schüler, Ehefrau des Vereinsvorsitzenden, ist eine der Frauen, die mit anpacken bei diesem Männerchor. Sie ist am Jubiläumswochenende schon im Festzelt, bevor die Männer eintreffen. Mit anderen Frauen hat sie auf allen Tischen Windlichter aufgestellt. Jetzt geht es darum, die Bühne mit Blumen und langen Stoffbahnen für die große Chornacht zu schmücken. Ohne die Familien der Sänger wären viele Aktivitäten nicht so leicht realisierbar. Nicht nur Chorfeste wie heute, eben auch die Aufnahme und Betreuung der ausländischen Gastchöre. Für Brunhilde Schüler kein großes Ding:

"Grundsätzlich werden die Leute ja vorher gefragt, ob sie jemanden nehmen wollen und das hat immer geklappt. Und dann sind viele, die sagen dann, ach, wir nehmen zwei, dann können die sich untereinander unterhalten. Und wir haben bisher keine Probleme gehabt mit Unterbringungsmöglichkeiten, das hat immer gut funktioniert. Das muss man sagen, da ist die Chorfamilie doch sehr zugänglich."

In den letzten Jahren sind die Frauen als Fangemeinde im Ausland immer wieder dabei gewesen. Für die Zeit nach dem Jubiläum gibt es schon wieder ein neues Ziel: St. Petersburg. Im 121. Jahr der Chorgeschichte soll es bei der Eintracht genauso weltoffen weiter gehen wie bisher.


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