Singende Nörgler
Der in Finnland lebende Performance-Künstler Oliver Kochta-Kalleinen hat die notorische Unzufriedenheit der Menschen in ein optimistisches Projekt umgemünzt: die Beschwerde-Chöre. Singend bringen die Leute hier zum Ausdruck, worüber sie sich ärgern.
Wenn Oliver Kochta-Kalleinen eine Aufnahme mit dem Beschwerde-Chor aus Birmingham hört, huscht ein Lächeln über sein jungenhaftes Gesicht: die Begeisterung der Mitglieder, ihre selbst geschriebenen Beschwerden über nervende Jobs und schlechte Busverbindungen singend zu präsentieren, war deutlich größer als ihr musikalisches Talent. Trotzdem erinnert sich der 35-Jährige gern an die Arbeit mit dem ersten so genannten "complaints choir" vor zwei Jahren:
"Die Proben, das war immer so ne erweiterte Party, wir haben im Probenraum anschließend noch gemeinsam gegessen, Bier getrunken und geredet, und die meisten Ideen sind dabei entstanden, das war toll."
Die Idee kam Oliver Kochta-Kalleinen und seiner finnischen Frau Tellervo bei einem Spaziergang im winterlichen Helsinki: Sie stellten fest, überall beschweren sich die Menschen – und dieses Energiepotenzial wollten sie für ein Projekt nutzen. Tellervo fiel ein, dass in ihrer Muttersprache Leute, die ständig nörgeln, "Beschwerde-Chor" genannt werden! So kam das Projekt zu Form und Titel. Sie sammelten unter anderem in Sankt Petersburg, Hamburg und Helsinki Beschwerden und probten ein paar Wochen mit den Sängern. Mit einem Konzert endete dann das offizielle Projekt vor Ort. Besonders eindrucksvoll war im vergangenen Jahr der Auftritt des fast hundertstimmigen Chores in Helsinki.
Schon einmal spielten Beschwerden im Leben von Oliver und Tellervo eine Rolle: während seines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Der sensible junge Mann litt darunter, dass Professoren und Studenten sich dauernd übereinander beklagten. Er fühlte sich einsam und fehl am Platz – mehrmals wollte er alles hinschmeißen. Doch es kam anders:
"Tellervo hat mich ja gerettet, deshalb verdanke ich ihr eigentlich alles. Sie hat mich aus dem Hamburger Beschwerde-Sumpf rausgezogen und mit nach Finnland geholt und mich zu einem vernünftigen Menschen gemacht."
Wenn er so erzählt, fast etwas in sich gekehrt, aber immer mit wachem Blick und einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, dann wirkt Oliver Kochta-Kalleinen rundum zufrieden. Dass seine Frau und er mit sehr wenig Geld für sich und ihren Anfang März geborenen Sohn auskommen müssen, ändert daran nichts. Sie leben auf einer idyllischen Insel in der Ostsee vor Helsinki, können viel Zeit miteinander verbringen und als Künstler ihren Lebenstraum verwirklichen:
"Man macht ja Arbeiten erstmal, weil man das unbedingt will, und nicht um Geld zu machen, sondern weil man an der Sache interessiert ist."
Wenn der in der ehemaligen DDR geborene Künstler sich etwas vorgenommen hat, dann zieht er es auch durch. Diese Geradlinigkeit hat er wohl vom Vater. Den bezeichnet er als "sturen Typ", der immer wieder bei der Obrigkeit aneckte. Der Ingenieur schickte ihn Ende der 80er Jahre in Dresden auf eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spezialschule.
Computer-Experte sollte Oliver werden, Literatur, Musik und Malerei waren an der Schule verpönt. Doch dadurch wurde sein Interesse an der Kunst erst richtig geweckt – und mit einigen Mitschülerinnen und Mitschülern veröffentlichte er eine heimlich auf Fotopapier gedruckte Untergrund-Schülerzeitung. Bukowski, Punk-Musik und Dadaismus – bei ihnen war alles erlaubt.
"Das Tolle war ja, in der Zeit will man ja sowieso rebellieren gegen alles Mögliche und so, aber in der Zeit hatte das einen Effekt, wir fühlten, jetzt passiert hier ganz viel, und wir sind dafür verantwortlich."
Das DDR-Regime war indirekt auch Auslöser für das Projekt "The making of Utopia" im Jahr 2005: ein 60-minütiger Dokumentarfilm über vier Hippie-Kommunen in Australien, finanziert je zur Hälfte durch das finnische Fernsehen und Stiftungsgelder. Er sei neugierig gewesen auf diese Vertreter der 68er-Bewegung, von der er in der DDR so gar nichts erfahren hat, sagt Oliver Kochta-Kalleinen.
"Das einzige, was ich mitbekommen habe, war ein Statement von Erich Honecker, der gesagt hat, die langen Haare verhindern nur die Sicht darauf, wie sich die sozialistische Welt entwickelt, das war sozusagen meine Ausbildung in Sachen Hippies."
Er selbst trägt die dunkelbraunen Haare auch halblang, modisch in die Stirn gekämmt – doch sein Blick auf die Welt ist alles andere als eingeschränkt: Kochta-Kalleinen ist beeindruckt davon, dass diese alternativen Lebensgemeinschaften im australischen Regenwald auch nach mehr als 30 Jahren noch funktionieren – und dass der Geist von damals in Zeiten des Internets ganz neu wieder auflebt:
"Diese ganze Free Software, Netzgemeinschaften, freier Austausch von Ideen, das sind ja alles Ideen, die damals schon diskutiert wurden."
Oliver Kochta-Kalleinen will mit Hilfe der Kunst Dinge durchschauen, die ihn interessieren, will Neues lernen. Gleichzeitig sollen seine Werke auch dem Publikum etwas bringen. Deshalb findet er die Beschwerde-Chöre auch so gut:
"Das ist ne Arbeit, die sogar meine Mutter sehr gut versteht, da muss man nicht lange erklären und für mich der interessanteste Aspekt ist, dass die Leute so nen Humor entwickeln, ne Selbstironie, und wenn sie sich nächstes Mal wieder aufregen wollen, dass sie sich vielleicht an den Complaints Choir erinnern und sich sagen 'Take it easy!'"
"Die Proben, das war immer so ne erweiterte Party, wir haben im Probenraum anschließend noch gemeinsam gegessen, Bier getrunken und geredet, und die meisten Ideen sind dabei entstanden, das war toll."
Die Idee kam Oliver Kochta-Kalleinen und seiner finnischen Frau Tellervo bei einem Spaziergang im winterlichen Helsinki: Sie stellten fest, überall beschweren sich die Menschen – und dieses Energiepotenzial wollten sie für ein Projekt nutzen. Tellervo fiel ein, dass in ihrer Muttersprache Leute, die ständig nörgeln, "Beschwerde-Chor" genannt werden! So kam das Projekt zu Form und Titel. Sie sammelten unter anderem in Sankt Petersburg, Hamburg und Helsinki Beschwerden und probten ein paar Wochen mit den Sängern. Mit einem Konzert endete dann das offizielle Projekt vor Ort. Besonders eindrucksvoll war im vergangenen Jahr der Auftritt des fast hundertstimmigen Chores in Helsinki.
Schon einmal spielten Beschwerden im Leben von Oliver und Tellervo eine Rolle: während seines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Der sensible junge Mann litt darunter, dass Professoren und Studenten sich dauernd übereinander beklagten. Er fühlte sich einsam und fehl am Platz – mehrmals wollte er alles hinschmeißen. Doch es kam anders:
"Tellervo hat mich ja gerettet, deshalb verdanke ich ihr eigentlich alles. Sie hat mich aus dem Hamburger Beschwerde-Sumpf rausgezogen und mit nach Finnland geholt und mich zu einem vernünftigen Menschen gemacht."
Wenn er so erzählt, fast etwas in sich gekehrt, aber immer mit wachem Blick und einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, dann wirkt Oliver Kochta-Kalleinen rundum zufrieden. Dass seine Frau und er mit sehr wenig Geld für sich und ihren Anfang März geborenen Sohn auskommen müssen, ändert daran nichts. Sie leben auf einer idyllischen Insel in der Ostsee vor Helsinki, können viel Zeit miteinander verbringen und als Künstler ihren Lebenstraum verwirklichen:
"Man macht ja Arbeiten erstmal, weil man das unbedingt will, und nicht um Geld zu machen, sondern weil man an der Sache interessiert ist."
Wenn der in der ehemaligen DDR geborene Künstler sich etwas vorgenommen hat, dann zieht er es auch durch. Diese Geradlinigkeit hat er wohl vom Vater. Den bezeichnet er als "sturen Typ", der immer wieder bei der Obrigkeit aneckte. Der Ingenieur schickte ihn Ende der 80er Jahre in Dresden auf eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spezialschule.
Computer-Experte sollte Oliver werden, Literatur, Musik und Malerei waren an der Schule verpönt. Doch dadurch wurde sein Interesse an der Kunst erst richtig geweckt – und mit einigen Mitschülerinnen und Mitschülern veröffentlichte er eine heimlich auf Fotopapier gedruckte Untergrund-Schülerzeitung. Bukowski, Punk-Musik und Dadaismus – bei ihnen war alles erlaubt.
"Das Tolle war ja, in der Zeit will man ja sowieso rebellieren gegen alles Mögliche und so, aber in der Zeit hatte das einen Effekt, wir fühlten, jetzt passiert hier ganz viel, und wir sind dafür verantwortlich."
Das DDR-Regime war indirekt auch Auslöser für das Projekt "The making of Utopia" im Jahr 2005: ein 60-minütiger Dokumentarfilm über vier Hippie-Kommunen in Australien, finanziert je zur Hälfte durch das finnische Fernsehen und Stiftungsgelder. Er sei neugierig gewesen auf diese Vertreter der 68er-Bewegung, von der er in der DDR so gar nichts erfahren hat, sagt Oliver Kochta-Kalleinen.
"Das einzige, was ich mitbekommen habe, war ein Statement von Erich Honecker, der gesagt hat, die langen Haare verhindern nur die Sicht darauf, wie sich die sozialistische Welt entwickelt, das war sozusagen meine Ausbildung in Sachen Hippies."
Er selbst trägt die dunkelbraunen Haare auch halblang, modisch in die Stirn gekämmt – doch sein Blick auf die Welt ist alles andere als eingeschränkt: Kochta-Kalleinen ist beeindruckt davon, dass diese alternativen Lebensgemeinschaften im australischen Regenwald auch nach mehr als 30 Jahren noch funktionieren – und dass der Geist von damals in Zeiten des Internets ganz neu wieder auflebt:
"Diese ganze Free Software, Netzgemeinschaften, freier Austausch von Ideen, das sind ja alles Ideen, die damals schon diskutiert wurden."
Oliver Kochta-Kalleinen will mit Hilfe der Kunst Dinge durchschauen, die ihn interessieren, will Neues lernen. Gleichzeitig sollen seine Werke auch dem Publikum etwas bringen. Deshalb findet er die Beschwerde-Chöre auch so gut:
"Das ist ne Arbeit, die sogar meine Mutter sehr gut versteht, da muss man nicht lange erklären und für mich der interessanteste Aspekt ist, dass die Leute so nen Humor entwickeln, ne Selbstironie, und wenn sie sich nächstes Mal wieder aufregen wollen, dass sie sich vielleicht an den Complaints Choir erinnern und sich sagen 'Take it easy!'"