Singende Sorben

Von Bettina Ritter |
Die Sorben gehören zu den nationalen Minderheiten in Deutschland. Im Lausitzer Land haben sie ihre Heimat. Es gibt unter anderem Schulen und auch Chöre, wie den Chor Budyšin, der übersetzt Chor Bautzen heißt.
Christian Baumgärtel: "Lubka Lilia, rene saktschiwa. Liebchen lilienrein … Die Liebste wird mit einer Lilie verglichen, wie das in romantischen Volksliedern so ist."

Christian Baumgärtel lächelt bescheiden. Der große 70-Jährige mit den grauen Haaren und der Brille ist Gründungsmitglied des Chores Budysin. "Lubka Lilia", ein bekanntes sorbisches Volkslied, hat er bestimmt schon 4000 Mal gesungen, sagt er.

Zusammen mit den anderen Chormitgliedern probt er in einem Raum des Sorbischen Nationalensembles. Schlichter, heller Holzboden, die Sänger sitzen in drei Reihen hintereinander auf roten Stühlen, vor sich einen Notenständer. Es ist Urlaubszeit, deshalb sind sie heute nur 15. Normalerweise sind es 27. Am schwarzen Flügel sitzt Chorleiter Michael Janze.

Heute probt der Chor Budysin zum ersten Mal ein neues Stück, das Oratorium "Zne", "Die Ernte" des sorbischen Komponisten Karl August Kocor. Die Mitglieder sind noch etwas unsicher, deshalb übt Janze den Text erst einmal ohne Musik. Mit weit ausgebreiteten Armen steht der 42-Jährige mit den schwarzen kurzen Haaren und blauen Augen in Jeans und Birkenstock-Schlappen vor seinen Sängerinnen und Sängern.

Janze: "Die sorbische Sprache ist eine slawische Sprache, eine eigenständige slawische Sprache, dem ungeübten Ohr dem Tschechischen ähnlich, noch ähnlicher dem Slowakischen. Das wird in der Lausitz noch zu großen Teilen gesprochen. Man sagt 60.000 Leute sprechen das Sorbische."

In der Lausitz sind die Sorben eine nationale Minderheit, aber voll integriert, meint Michael Janze, der als ausgebildeter Sänger hauptberuflich beim Sorbischen Nationalensemble engagiert ist. Es gibt sorbische Schulen und Kindergärten.

Auch die Straßenschilder sind zweisprachig. Mehr als 30 sorbische Chöre gibt es hier, drei davon seien qualitativ besonders gut, sagt der Chorleiter. Seinen zählt er dazu. Jeder, der möchte, kann professionellen Unterricht bei einer Gesangspädagogin nehmen.

Gegründet wurde der Chor 1964 von Jan Bulank. Anfang Juli feierte er seinen 45. Jahrestag. Christian, auf sorbisch: Schestschan, Baumgärtel, ist seit Anfang an dabei. Besonders gern erinnert sich der ehemalige Lehrer an die Reisen zu Gesangswettbewerben ins slawische Ausland und bis nach Wales.

Baumgärtel: "Ich hab ’ne Menge schöne und herrliche Erlebnisse gehabt. Alle diese Dinge haben mich geprägt, und vor ungefähr 14 Tagen haben wir uns mit Gründungsmitgliedern des Chores getroffen und es war niemand dabei, der auch nur eine Stunde dieser Arbeit hier bereut hätte. Es hat unser Leben geprägt, unser emotionales Leben. Ohne dem würde ich um ein Vielfaches ärmer sein."
Die Mitglieder des Chores sind treu. Ungefähr die Hälfte der Sängerinnen und Sänger ist seit mehr als zehn Jahren dabei. Auch Ilka Blöth. Die 41-jährige Ernährungsberaterin kam 1996 zum Chor, durch ihren Vater, der den Chor mitgegründet hatte. Und sie gibt die Tradition weiter: Seit Januar singt auch ihre 14 Jahre alte Tochter Pauline mit.

Trotz des jungen Neuzugangs wünscht sich Blöth aber mehr frisches Blut. Immerhin liegt das Durchschnittsalter der Chormitglieder bei 50 Jahren. Neue Sänger sind willkommen, sagt sie und macht mit einer Besonderheit des Chores Werbung.

Blöth: "Bei uns es so, dass die Männer im dunklen Anzug auftreten, und nur die Frauen tragen die Tracht. Das ist eine Truhentracht. Das heißt, die ist eigentlich im Alltag nicht mehr zu sehen, ist sozusagen in der Truhe versteckt. Und der Chor Budysin hat sie vor Jahren ausgekramt und in das Bild der Chöre hineingetragen.

Das ist die Tracht der evangelischen Sorben der unverheirateten Mädchen im Bautzener Land. Wir singen gerne in der Tracht, es ist ein bisschen schwierig, weil, wir haben ein Häubchen auf und die Frauen hören dadurch etwas schlechter."

Übrigens: Es gibt nicht nur Sorben im Chor Budysin. Ein Viertel der Mitglieder ist mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen und spricht Sorbisch nur unregelmäßig.

Außerdem gibt es zwei gebürtige Polen, die nach Bautzen geheiratet haben und einen gebürtigen Tschechen, sagt Chorleiter Janze. Egal, wo sie herkommen, eines haben sie gemeinsam: Die Liebe und Verbundenheit zur Kultur der Sorben im Lausitzer Land.


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.