Singer-Songwriter Damien Jurado

"Man kauft ein Album, man kauft das komplette Album"

Damien Jurado bei einem Konzert in Berlin (2016)
Aus Träumen werden Songs - Damien Jurado bei einem Konzert in Berlin. © imago/Votos-Roland Owsnitzki
Damien Jurado im Gespräch mit Andreas Müller · 03.05.2018
Songs aus einem neuen Album vorab zu streamen - davon hält Damien Jurado nichts. Das sei so, als würde man nur einen Teil eines Picasso-Bildes kaufen. Auch deshalb hat er sein Album "The Horizon Just Laughed" selbst produziert.
Andreas Müller: Damien, Sie sagen "The Horizon Just Laughed" sei ein von wirklicher Leidenschaft getragenes Projekt, weil Sie zum ersten Mal in Ihrer 20-jährigen Karriere Ihre Vision und Version eines Albums komplett von eigener Hand umsetzen konnten. Das erstaunt mich, zumal Sie sehr viel aufgenommen haben, aber ich frage mich auch, was bedeutet das?
Damien Jurado: Ich habe schon mit vielen Produzenten gearbeitet, und ich war immer abhängig vom Aufnahme-Budget meiner Plattenfirmen. Und jetzt, das war im Januar oder Februar 2017, habe ich mich entschieden, mit meinen neuen Songs nach Kalifornien zu gehen, in das Studio eines Freundes. Ich hatte kein Geld von einer Plattenfirma für diese Aufnahmen, und ich habe niemanden davon erzählt, nicht mal mein Manager wusste davon. Und ich hatte keinen Produzenten, dieses Mal wollte ich mich selber produzieren. Und als ich mit der Arbeit an den Aufnahmen fertig war, habe ich Kontakt mit Chris Swanson aufgenommen, der für die Musik zur Bhagwan-Doku "Wild Wild Country" verantwortlich war. Er war gerade in Los Angeles war und ich sagte zu ihm ‚Hey ich bin in Kalifornien, im Studio, komm her, ich möchte dir was zeigen…‘. Und das war‘s. Das war ich, der ich mich in meine eigenen Hände gelegt habe.
Andreas Müller: Also Chris Swanson war eine Autorität, wo Sie noch mal gesagt haben, wenn der sich das anhört und gut findet, dann ist es auch gut, weil ohne Produzent zu arbeiten ist ja manchmal auch ein bisschen schwierig?
Damien Jurado: Ob Swanson das Album mochte oder nicht, war für mich nicht so wichtig, denn das Album sollte herauskommen, ob bei Swanson oder eben mit jemand anderem. Ich wollte es ohnehin veröffentlichen.

Etwas herauszupicken, ist nicht mein Ding

Andreas Müller: Wir nehmen das Gespräch ja im März auf, also lange bevor die Platte erschienen ist, erscheinen wird. Es gab drei Lieder zu hören, mehr nicht. Warum diese Strategie, die Presse, die Kritiker mehr oder weniger erst mal im Dunklen zu lassen?
Damien Jurado: Es ist nichts Persönliches gegen die Presse, aber das gegenwärtige Modell zwischen Presse und Plattenfirmen gefällt mir nicht. Plattenfirmen kündigen ein Album an manchmal vier oder sechs Monate, bevor das Album überhaupt erscheint. Und sie erlauben den großen Namen wie Spotify und National Public Radio lange vor Veröffentlichung, die Songs zu streamen. Für mich ist das so, als ob dem Album selbst etwas genommen wird. Bei einem Bild von Andy Warhol oder Picasso beispielsweise sagt man auch nicht, ‚ok, ich möchte nur diesen Teil des Bildes kaufen‘. Und das ist das, was wir gerade mit der Musik machen. Künstler erlauben den Plattenfirmen einen Teil aus ihrem Werk herauszupicken, und die erlauben es den Fans, sich das herauszunehmen, was sie wollen. Das ist nicht mein Ding. Ich bin mit dem Modell aufgewachsen: Man kauft ein Album, man kauft das komplette Album. Und auch die Erwartung - ich glaube Warten ist eine gute Sache. Nehmen wir das Album ‚Nevermind‘ von Nirvana, dieses kolossale Album war von so entscheidender Bedeutung für unsere Generation; ich hatte bis einen Monat vor Veröffentlichung nichts von dem Album gehört. Weniger als einen Monat bevor es herauskam! Dann kam es in meinen Plattenladen in Seattle. Ich war wahnsinnig aufgeregt. Ich erinnere mich, als ich ein Kind war, haben die Leute, in der Nacht bevor ein Album veröffentlicht wurde, Schlange vor dem Plattenladen gestanden, in Erwartung das neue Album endlich kaufen zu können.
Diese Zeiten sind vorbei, so etwas passiert nicht mehr. Für mich ist das Teil der Liebesgeschichte. Heute ist das ja verrückter als Speeddating. Es gibt keine wirkliche Beziehung mehr, wir haben One-Night-Stands mit der Kunst, mit der Musik. Da entsteht keine Beziehung, keine tiefere Verbindung. Ich möchte, dass Menschen eine Beziehung zur Musik haben. Das ist das, was hinter meiner Strategie steht – es hat nichts damit zu tun, dass ich die Presse nicht mag, überhaupt nicht.

Andreas Müller: Ich höre hier auch eine gewisse Frustration, und ich verstehe das auch sehr gut, - und während wir dieses Gespräch führen ist gerade die Nachricht gekommen, dass der NME seine Printedition einstellt und Tony Parsons hat darüber geschrieben, dass die Zeiten dieser Rockmusik einfach auch vorbei sind. Dass eben das, was Damien Jurado hier gerade beschrieben hat, einfach vorbei ist. Glauben Sie denn, dass man diese Magie wieder herstellen kann?

Damien Jurado: Mal so herum … möchten Sie in einem Raum sitzen und ihren Partner anschauen oder möchten Sie in dem Raum sitzen und Sex mit ihm haben? Das ist meine Frage als Antwort zum NME. Ich hätte lieber Sex mit meinem Partner, als dazusitzen und ihn vom Fußboden aus zu bewundern und an die guten alten Tage zu denken, als man sich noch berührt hat. Zu sagen, dass es vorbei ist, ist so ein idiotisches Statement für mich. Wenn es das ist, worauf wir zusteuern, macht mich das wirklich traurig.

Träume wie Filmtrailer

Andreas Müller: Es hat wohl was mit dem Alter zu tun, denke ich, denn Tony Parsons sagt auch, dass er eben nicht mehr in der Lage ist eine gewisse Begeisterung für Ed Sheeran zu entwickeln – er sollte vielleicht meinen achtjährigen Sohn fragen, der genau diese Begeisterung hat und vielleicht nicht unbedingt auf die Platte wartet, aber darauf bis der nächste Song erscheint. Die drei Lieder Ihres Albums, die ich bisher hören konnte zeigen ein ziemlich breites Spektrum. Da ist ein zarter Folksong bis hin zu einem jazzy Track. Sie sagen in den Informationen zu dieser Platte, man könne schon so einen Eindruck kriegen. Also es gibt offenbar ein breites Spektrum?
Damien Jurado: Ja, musikalisch, in Hinsicht auf den Stilmix, ist es nichts Neues, was ich mache. Ich bin kein Künstler, der - Entschuldigung, ich spreche viel in Analogien. Also folgende Analogie: Möchten Sie ein Fünf-Gänge-Menü bestehend aus ein und dem gleichen? Oder möchten Sie ein Fünf-Gänge-Menü in verschiedenen Geschmacksrichtungen? Und das ist das, was ich den Leuten auf meinem Album anbiete.
Andreas Müller: Ich habe gelesen, viele ihrer Lieder basieren auf Träumen. Was haben Sie letzte Nacht geträumt?
Damien Jurado: Ich weiß den Traum von letzter Nacht nicht, ich träume unterschiedlich, ich träume in Farbe. Die meisten meiner Träume sehen aus wie Filmtrailer, ehrlich, und viele dieser Filmtrailer werden zu Trilogien, oder sie werden Songs.
Andreas Müller: Damien Jurado, Danke, dass Sie bei uns waren. Wir sind dann gespannt, bzw. haben es dann vielleicht schon erlebt, ich weiß es nicht, auf diese Listening-Sessions, Listening-Partys, die vielleicht schon stattgefunden haben. Werden wir erleben… auf jeden Fall heißt das Album "The Horizon Just Laughed".
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