Literarisches Fastfood oder neues Genre?
Zwischen 99 Cent und 1,99 Euro kosten bei Amazon sogenannte "Singles" – kurze Texte, die als E-Book veröffentlicht werden. Kritiker befürchten eine Abwertung des geschriebenen Wortes. Amazon sieht das naturgemäß anders.
Laurenz Bolliger ist seit einem Jahr für die "Singles" zuständig, kurze Texte von oft unbekannten Autoren, die bei Amazon per Direct Publishing als E-Book herauskommen - eines von Amazons neuesten Produkten, mit denen der Online-Gigant die Buchbranche ins Schwitzen bringt.
Aber selbst Laurenz Bolliger hat keine feste Adresse auf der Messe:
"Ich bin free floating ... gehe zu Verlagen, treffe Autoren."
Frei schwebend - und für die Presse schwer zu fassen. Normalerweise reißen sich Verlagsleute darum, im Radio vorzukommen und ihr Programm vorstellen zu dürfen. Laurenz Bolliger nicht. Live will er nicht so gerne in unsere Sendung kommen. Und auch für ein aufgezeichnetes Gespräch steht er erst nach langem Zögern zur Verfügung. Jedenfalls nicht allein.
Doch dann die Überraschung
In den zahlreichen E-Mails, die hin und her gehen, um einen Termin zu vereinbaren, ist immer jemand aus Amazons PR-Abteilung in "cc" gesetzt. Doch dann die Überraschung: Als es endlich klappt, in einem Gang in Halle 3.1, kommt der Single-Mann doch alleine zum Treffen.
Aber: Sofort sagt er, dass er natürlich nur und ausschließlich über seine Kurzgeschichten-Reihe reden kann und wird:
"Da sind Autoren, die haben es bisher noch nicht zu einem Roman gebracht, sondern erstmal kurze Texte probiert. Und mir geschickt."
Kurz und knapp also, short cuts.
"Das sind tolle Texte für sich, die hätten nur keine Chance, so publiziert zu werden, außer vielleicht in einer Literatur-Anthologie mal oder in Ausschnitten in einem Magazin. Und so kann man doch nen schönen Umschlag drum machen und ne schöne Ausgabe machen."
Wird das geschriebene Wort zur Ramschware?
Zwischen 99 Cent und 1,99 kostet so ein Shorty. Ein echter Dumpingpreis! Entwertet das die geistige Leistung des Autors nicht? Wird da das geschriebene Wort nicht zur Ramschware?
"Nicht im Geringsten. Ich finde, er muss ja möglichst viele Leserinnen und Leser erreichen. Das ist erstmal das Ziel. Und wenn man sich die Texte anguckt, wird man sehen: tolle Cover, gute Texte, das ist wirklich qualitativ hochstehende Literatur."
Nochmal also: Hauptsache ein tolles Cover. Und über den Erfolg entscheidet ausschließlich die Zahl der Downloads.
"Im Fall der Singles bin ich der Meinung, dass die Preise passen. Die kommen bei den Lesern so gut an. (... ) Ich kann hier nicht von einer Entwertung sprechen im Fall der Singles."
Ziemlich schmallippig kommt das rüber. Man merkt, dass hier ein für ihn sensibles Thema beginnt. Ein bisschen ungemütlich wird jetzt das Gespräch, das eigentlich so locker – so ganz ohne PR-Beaufsichtigung – begonnen hatte.
Die heiklen Fragen, die vielen Verlegern nicht nur in Deutschland den Schlaf rauben – Buchpreisbindung, Urheberrecht, Erpressungsvorwürfe gegen den Multi aus den USA, Dumpingangebote durch Steuervermeidung – das ist nicht Bolligers Bereich. Dazu gibt er keinen Kommentar.
Vertreter der Bad Guys
Dass gerade auf der Messe Buchhandelsvereinigungen aus 14 europäischen Ländern eine gemeinsame Erklärung unterschrieben haben gegen Amazons Versuche, die Preise auszuhöhlen – dazu nickt Bolliger nur unbestimmt. Ja, ja, das hat er natürlich mitgekriegt...
Aber gut, was soll man auch sagen, wenn man als Vertreter der Bad Guys dasteht.
Dabei kommt Laurenz Bolliger aus dem traditionellen Verlagsgeschäft – deren Vertreter sich gerade auf der Buchmesse am liebsten in gediegenes Tuch werfen; schwarz und maßgeschneidert. Laurenz Bolliger trägt mintgrüne Leinenhose und ein ausladendes Tuch als Schal um den Hals. Eher trendiges Hipster-Outfit also.
Bolliger hat mehr als zehn Jahre für feine Häuser wie Amman, Suhrkamp, Dumont gearbeitet. Auch seine Frau ist Lektorin bei einem Traditionsverlag, wie er betont. Er gehört noch dazu, zum normalen Verlagsgeschäft, scheint er sagen zu wollen. Auch wenn er seit einem Jahr beim Angstgegner Amazon unter Vertrag steht.
"Ich sehe viel mit einer anderen Brille jetzt auch. Aber ich verbinde die beiden, das ist die Verbindung der beiden besten Welten. Und wie Salman Rushdie auch schon gesagt hat, der doppelte Blick ist immer der weiteste und beste Blick."
Nicht ganz frei von Selbstzweifeln
Wenn Salman Rushdie es gesagt hat ... Doch in welchem Zusammenhang wohl? Doch ganz bestimmt nicht mit Blick auf Amazon ...
Man merkt Bolliger an, dass er vielleicht nicht ganz frei von Selbstzweifeln ist, als Amazon-Mann. Wenn er immer wieder darauf hinweist, dass er doch eigentlich das selbe mache wie früher:
"Die tägliche Arbeit unterscheidet sich doch gar nicht so. Denn es ist mir daran gelegen, auf Autoren einzugehen und den Lesern den besten Stoff zur Verfügung stellen."
Und dieser Stoff kostet im Fall der Amazon "Singles" eben maximal 1,99. Kurz und bündig, schnell und günstig – literarisches Fastfood oder ein ganz neues Text-Genre? Welche Rolle das Single-Billig-Konzept in der Marketing-Strategie von Amazon spielt – dazu müssen wohl auf der nächsten Buchmesse nicht Laurenz Bolliger, sondern den den PR-Manager fragen.