"Die schwarze Null ist reine Ideologie"
Was tun gegen die ersten Anzeichen einer Wirtschaftsflaute in Deutschland? Weiter eisern sparen, wie es Finanzminister Schäuble will? Oder die Ökonomie mit öffentlichen Investitionen stimulieren? Letzteres empfiehlt der ehemalige Banker Rainer Voss.
Liane von Billerbeck: Die Krise von 2008 bringt sich derzeit in Erinnerung, selbst beim Sparweltmeister Deutschland sieht es nicht mehr ganz so toll aus. Der Wirtschaftsminister musste seine optimistischen Prognosen etwas nach unten korrigieren, noch schlimmer sieht es bei unserem Nachbarn in Frankreich aus und in Griechenland. Kündigt sich da die nächste Krise an?
Wir wurden bei der Vorbereitung auf das Gespräch, das wir jetzt führen wollen, an eine Szene erinnert aus einem Film, "Sneakers" von 1992 mit Robert Redford und Ben Kingsley:
O-Ton aus Film: Folgende These: Mehrere glauben, eine Bank stünde finanziell wackelig da. (Kingsley)
Konsequenz: Die fangen an, ihr Geld herauszuziehen. (Redford)
Resultat: Ziemlich bald steht sie finanziell wackelig da. (Kingsley)
Schlussfolgerung: Man kann Banken fertigmachen. (Redford)
Bssss! Das habe ich schon getan. Vielleicht hast du von einigen gelesen! Denk einfach größer! (Kingsley)
Aktienmarkt. (Redford)
Ja. (Kingsley)
Devisenmarkt. (Redford)
Ja. (Kingsley)
Rohstoffmarkt. (Redford)
Ja. (Kingsley)
Kleine Länder? (Redford)
Ich könnte vielleicht sogar das ganze verdammte System zusammenbrechen lassen. (Kingsley)
von Billerbeck: Das ganze verdammte System zusammenbrechen lassen, sagte Ben Kingsley da eben in dem Film "Sneakers". Darüber will ich jetzt mit Rainer Voss sprechen. Der ehemalige Investmentbanker ist der Einzige seiner Zunft, der ganz offen mit Namen und Gesicht über das eigene Tun und das seiner Kollegen und den Anteil am Ausbrechen der Finanzkrise von damals spricht. Er war auch Protagonist in dem 2013 in Locarno preisgekrönten Film "Master of the Universe" von Marc Bauder. Herr Voss, ich grüße Sie!
Rainer Voss: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Herr Voss, das, was das eben in dem Film gesagt wurde, das war ja die Spekulation gegen einzelne Märkte und einzelne Länder. Wenn wir jetzt Griechenland vor Augen haben, funktioniert das Geschäft so?
Voss: Das ist mir ein bisschen zu einfach gedacht. Wenn das so einfach wäre, dann könnte man der ganzen Sache ja sehr leicht beikommen mit Verboten und Kriminalisierung von bestimmten Handlungen. Aber das passiert ja anekdotisch anders.
Es geht am Anfang damit los, dass Leute im Prinzip das machen, das wir von ihnen erwarten, das Sie von ihnen erwarten, ich von ihnen erwarte, nämlich unser Vermögen zu schützen. Das sind ja Leute, die Investmentfonds verwalten, die Pensionskassen haben, und die kriegen Bedenken in Bezug auf ein bestimmtes Land und fangen an, ihre Bestände in den Staatsanleihen dieses Landes abzubauen. Und dadurch entsteht ein kleines Rinnsal, ein kleines Bächlein, das dazu führt, dass die Preise sinken. Und ab einem bestimmten Punkt ist eine Dynamik erreicht, wo dann im Prinzip die bösen Jungs, auf die Sie jetzt anspielen, kommen wie Haie, wenn Blut im Wasser ist, und mit großen Summen versuchen, diesen Trend zu verstärken.
So muss man sich das vorstellen. Und die Problematik, dem beizukommen, ist jetzt, wo genau verläuft jetzt die Grenze zwischen dem, wo Leute im Prinzip das machen, was wir von ihnen erwarten, nämlich unser Vermögen zu schützen, und wo steigen die ein, die das betreiben als Geschäftsmodell? Und diese Grenze zu ziehen ist ganz, ganz schwierig juristisch.
von Billerbeck: Sie haben schon vor einem Jahr hier bei uns im Interview davor gewarnt, dass Frankreich der nächste große Gefahrenherd für eine neue Finanzkrise in Europa werden könnte. Warum könnte gerade Frankreich das Problem sein?
Das Erstaunliche ist, wie die Krise immer wieder zurückkommt
Voss: Das ist sicher ein Problem der Größe des Landes. Im Moment würde ich vielleicht sogar sagen, vorher reden wir noch über Italien. Aber das Erstaunliche ist ja eigentlich, wie immer wieder die Krise zurückkommt. Letzten Sommer habe ich mich ganz furchtbar geschämt, dass ich das mit Frankreich gesagt habe, heute würde ich es wieder sagen. Das ist wie ein Gummiband, das ist mal näher und mal weiter weg, aber durchgeschnitten ist es nie.
von Billerbeck: Das heißt, nur weil Frankreich – in Anführungsstrichen – die zweitgrößte Wirtschaft in Europa ist, ist das so ein Problemfall?
Voss: Das sind gigantische Summen. Ich denke, wenn Sie einfach überlegen, dass wir in Griechenland ... Ich glaube, die Griechenland-Rettung insgesamt, Garantien und auch Gelder, die geflossen sind, waren knapp an die 200 Milliarden, 185 oder so was. Und das ist halt, wenn man Italien und Frankreich nimmt, sind das völlig andere Größenordnungen. Deswegen glaube ich auch, ehrlich gesagt, nicht, dass es zu dem Fall kommen wird, da wird man vorher irgendwelche politischen und geldpolitischen Notmaßnahmen ergreifen, die ich mir im Moment nicht vorstellen kann. Aber so weit wird man es nicht kommen lassen.
von Billerbeck: Das hätte ich Sie natürlich jetzt gefragt: Was muss man denn da tun, um das zu verhindern?
Voss: Es gibt einen taktischen Aspekt und einen strategischen. Der taktische Aspekt ist, dass man das macht, was man jetzt macht, also Geld drucken und versuchen, Löcher zu stopfen, wie sie sich ergeben. Das, was mir fehlt: Wir haben uns Zeit gekauft im Prinzip 2011 durch die erste Griechenland-Rettung – ich meine, die wäre 2011 gewesen –, und wir haben die Zeit aber nicht genutzt beziehungsweise die Politik hat die Zeit nicht genutzt sich zu überlegen, was an strategischen Dingen zu ergreifen ist.
von Billerbeck: Was hätte sie denn tun müssen?
"Ich verstehe nicht, warum die Leute solche Schwierigkeiten haben zu verstehen, dass Staaten keine Haushalte sind mit einer schwäbischen Hausfrau."
Voss: Na ja, wir brauchen dann schon ein Wachstumsprogramm und man muss darüber nachdenken, ob dieser Austeritätskurs, den wir fahren, sinnvoll ist, um in Europa ein entsprechendes wirtschaftliches Klima zu schaffen, das den Staaten ermöglicht, wieder auf eigenen Füßen zu stehen.
von Billerbeck: Das heißt, Wolfgang Schäuble, der ja alles darauf gesetzt hat, im nächsten Jahr einen Haushalt vorzulegen, der strukturell schuldenfrei ist, muss von diesem Ziel abweichen und Deutschland muss anfangen, wieder zu investieren?
Voss: Das ist so, wenn Sie einen Katholiken oder einen Evangelen fragen, oder einen Muslim oder Christen, das ist nicht ... Das ist keine Ökonomie, das ist eine Glaubensanschauung geworden mit dieser schwarzen Null. Ich verstehe immer nicht, warum Leute so Schwierigkeiten haben zu verstehen, dass Staaten keine Haushalte sind mit der schwäbischen Hausfrau.
Der Unterschied zwischen der schwäbischen Hausfrau und dem Staat ist, der Staat stirbt nicht. Das heißt, der Staat muss seine Schulden nicht zurückzahlen, sondern er muss im Prinzip nur sicherstellen, dass er immer wieder anschlussfinanzieren kann, wenn Schulden fällig werden. Und das ist das Problem, was im Moment in Griechenland ist, weil die Märkte das Vertrauen darin verloren haben.
von Billerbeck: Sie haben gesagt, wir sollen mit dieser Politik der schwäbischen Hausfrau aufhören. Was muss jetzt geschehen, was muss denn Deutschland ganz konkret tun, um aus dieser Lage, in der es sich ja jetzt befindet, wieder herauszufinden?
"Wir haben einen unglaublichen Investitionsstau im öffentlichen und im privaten Sektor"
Voss: Das ist ein überstrapaziertes Wort: Infrastrukturinvestitionen. Es ist ja nicht so, dass es nichts zu tun gäbe. Schnelles Internet ist sicherlich ein Thema, die Straßen ... Wissen Sie, wir haben eine Situation, die hat schon Keynes beschrieben in den 40er Jahren war es, glaube ich, dass wir mit Autos für 60.000, 70.000, 80.000 Euro auf Straßen fahren, wo einem die Plomben rausfliegen.
Wir haben einen unglaublichen Investitionsstau, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, und der Schäuble kann bis fünf Jahre Geld zu null aufnehmen. Ich verstehe nicht, warum man das nicht macht. Wenn Ihnen jetzt jemand das Angebot macht, Sie können als Privatperson ... Frau von Billerbeck, Sie können Geld aufnehmen für drei Prozent und können zu sieben Prozent anlegen. Wenn Sie ideologisch sagen, ich will keine Schulden machen, dann respektiere ich das. Aber man kann nicht erzählen, dass das ökonomisch wäre. Weil, ökonomisch wäre, das zu machen und die vier Prozent Differenz zu kassieren.
von Billerbeck: Sie sagen, das ist ganz klar, was geschehen muss, es muss investiert werden. Warum passiert es dann aber nicht? Aus reiner Ideologie?
Voss: Wahrscheinlich ist das so. Und wahrscheinlich ist das, was ich sage, auch eine Ideologie, nur eine andere. Das ist halt unheimlich schwierig, weil wir diese ... Ich denke, die Politik will den Bürgern gefallen. Das ist der Sinn von Politik, wenn man wiedergewählt werden will. Und ein Bürger tut sich leichter die Logik zu verstehen, wenn ich mehr ausgebe als ich verdiene, muss ich sparen, als einzusehen, wie ich das vorhin versucht habe zu erklären, dass ein Staat nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniert.
Schauen Sie, diese Zahlen, soundso viel Prozent des Bruttosozialprodukts Verschuldung, das sind Zahlen. Argentinien hat eine Verschuldung von 60 Prozent ungefähr, das ist Maastricht-Kriterium. Die würden Maastricht-Kriterium erfüllen, also besser als wir, sind aber pleite. Japan hat eine Verschuldung von 220 Prozent des Bruttosozialprodukts und schafft es immer wieder, die Schulden anschlusszufinanzieren.
von Billerbeck: Der Unterschied ist, dass die argentinischen Schulden im Ausland sind und die japanischen im Inland.
Voss: Das ist eine strukturelle Begründung, das ist klar. Aber in dem Moment, wo die Leute daran glauben, dass der Staat diese Schulden nicht mehr anschlussfinanzieren kann, in dem Moment geht es den Bach runter. Aber das ist eine Frage der Psychologie, und nicht der Ökonomie.
von Billerbeck: Das sagt der ehemalige Banker Rainer Voss. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Voss: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.