Sinn für Atmosphäre
Die C/O Galerie präsentiert die erste Retrospektive des schwedischen Fotografen Christer Strömholm, der 2002 starb. Strömholm fotografierte Menschen, die sich der Öffentlichkeit eher scheu entzogen: Transvestiten, entstellte Kriegsopfer, Liebespaare - ein sanftes Ausleuchten der Existenz.
Zwei Lippenpaare schieben sich ineinander in schwarzweißer Großaufnahme, wie grob gehauene Skulpturen mit großporigen Nasenflügeln. Aufgenommen hat Christer Strömholm dieses Foto in Paris, in den fünfziger Jahren, als Robert Doisneau, der berühmte Fotokollege des schwedischen Kunststudenten, mit seiner romantischen Kussszene auf dem sommerlichen Boulevard berühmt wurde.
Diese idyllischen Schnappschüsse waren Strömholms Sache nicht, er ging mit seiner Kamera in die Tiefe, suchte nach verborgenen Gründen und Abgründen menschlicher Existenz - und schockierte mit seiner ersten Ausstellung in einem Stockholmer Luxuskaufhaus:
"Schöne Frauen entpuppten sich als Männer, als Transsexuelle. Dazu Bilder von toten Hunden. Das wurde zensiert - also bestritt er seine nächste Ausstellung nur mit Bildern des Todes. Er war sehr anarchistisch; liebte es, Widerstand zu spüren und war glücklich, wenn die Leute seine Bilder nicht mochten."
Für Joakim Strömholm, Sohn des Fotografen und Kurator der Retrospektive in der Berliner C/O-Galerie, ging es dabei keineswegs um Provokation als Masche. Dafür war sein Vater viel zu sehr den Menschen zugewandt, zumindest denen, die er schätzte oder die seines Schutzes bedurften. Erste Porträts machte er während seines Studiums, um sich Geld zu verdienen: die ebenso unprätentiösen wie eindrücklichen Aufnahmen von Künstlern wie Max Ernst und Man Ray, von so unterschiedlichen Charakteren wie Le Corbusier und Alberto Giacometti vermitteln einen Eindruck davon, wie sehr das Fotografieren für den Mann hinter der Kamera auch ein Akt der Annäherung, der Selbsterkenntnis war.
Der Ausstellungsparcours beginnt mit abstrakt anmutenden Stilleben und Graffitis, Pariser Straßenszenen und Impressionen aus schummrigen Bars - bis dann die Gesichter in Großaufnahme auftauchen, unsicher lächelnde Wesen unbestimmten Geschlechts:
"Niemand schaut uns an, alles ist von hinten aufgenommen, ganz heimlich. Szenen aus einer Bar, graphische Momente, Statuen. Dann fand Christer 1958 seine transsexuellen Freunde, und von da an fotografierte er wirkliche Porträts. Vorher hatte er regelrecht Angst davor."
Auch Kinder hat Christer Strömholm porträtiert, nicht als selbstbewußte, witzige Gören wie seine Pariser Fotografenfreunde Boubat und Ronis, sondern als aus der Zeit gefallene, alterslose Charaktere mit schreckgeweiteten Augen. Seine berühmte "white lady", mit pechschwarzen Haaren und breit hingetuschten Augenbrauen im schneeweißen Alabastergesicht, wirkt wie eine zum ewigen Geheimnis erstarrte Maske. Tatsächlich aber war dieses Mysterium aus der Dunkelkammer Produkt des Zufalls, wie Joakim Strömholm in seiner Hommage, dem Katalogbuch "Post Sciptum" verrät:
"Er mochte es, dass andere die Abzüge für ihn printeten. Er wußte genau, wie sie aussehen sollten, hatte aber keinen Schimmer, wie man das anstellte. Die 'white lady' war eigentlich ein Irrtum: Jemand hatte das Fotopapier zu lange belichtet, doch Christer sagte nur: 'Perfekt, das ist es!'"
Eben dieses fotografische Gespür, der Sinn für Atmosphäre und weniger die Jagd auf spektakuläre Details prägt die Schwarzweißfotografie von Christer Strömholm, der zeitlebens auf Blitzlicht verzichtete:
"Er war ein Nachtschwärmer, eine Nachteule - er brauchte nur wenig Licht in einem Fenster, der Ecke einer Bar. Wenn man mit ihm durch Paris ging, streckte er die Hände aus, als wolle er jemanden grüßen - und dann sagte er: 'Ich prüfe nur das Licht'!"
Damit waren nicht die grellen Spotlights des Showgeschäfts gemeint, sondern das sanfte, aber beharrliche Ausleuchten der menschlichen Existenz, ohne die Verklärung der in den Sechzigern zum modischen Klischee geronnenen humanistischen Fotografie:
"Er war ein Mann des Krieges, hatte im norwegischen Widerstand gekämpft und im Spanischen Bürgerkrieg. In gewisser Weise mochte er Krieg - und den Kampf gegen Ungerechtigkeit. Er hatte viele Tote gesehen, der Tod war eines seiner Hauptmotive."
Im herzzerreißenden Porträt eines erblindeten Mädchens, vor genau 50 Jahren aufgenommen in Hiroshima, spiegelt sich diese Obsession eines großartigen Fotografen, der von seiner eigenen Person, seinem "Ego" so wenig Aufhebens machte, weil er sich - und damit auch uns - ganz und gar wiederfand im Bild des Anderen.
Diese idyllischen Schnappschüsse waren Strömholms Sache nicht, er ging mit seiner Kamera in die Tiefe, suchte nach verborgenen Gründen und Abgründen menschlicher Existenz - und schockierte mit seiner ersten Ausstellung in einem Stockholmer Luxuskaufhaus:
"Schöne Frauen entpuppten sich als Männer, als Transsexuelle. Dazu Bilder von toten Hunden. Das wurde zensiert - also bestritt er seine nächste Ausstellung nur mit Bildern des Todes. Er war sehr anarchistisch; liebte es, Widerstand zu spüren und war glücklich, wenn die Leute seine Bilder nicht mochten."
Für Joakim Strömholm, Sohn des Fotografen und Kurator der Retrospektive in der Berliner C/O-Galerie, ging es dabei keineswegs um Provokation als Masche. Dafür war sein Vater viel zu sehr den Menschen zugewandt, zumindest denen, die er schätzte oder die seines Schutzes bedurften. Erste Porträts machte er während seines Studiums, um sich Geld zu verdienen: die ebenso unprätentiösen wie eindrücklichen Aufnahmen von Künstlern wie Max Ernst und Man Ray, von so unterschiedlichen Charakteren wie Le Corbusier und Alberto Giacometti vermitteln einen Eindruck davon, wie sehr das Fotografieren für den Mann hinter der Kamera auch ein Akt der Annäherung, der Selbsterkenntnis war.
Der Ausstellungsparcours beginnt mit abstrakt anmutenden Stilleben und Graffitis, Pariser Straßenszenen und Impressionen aus schummrigen Bars - bis dann die Gesichter in Großaufnahme auftauchen, unsicher lächelnde Wesen unbestimmten Geschlechts:
"Niemand schaut uns an, alles ist von hinten aufgenommen, ganz heimlich. Szenen aus einer Bar, graphische Momente, Statuen. Dann fand Christer 1958 seine transsexuellen Freunde, und von da an fotografierte er wirkliche Porträts. Vorher hatte er regelrecht Angst davor."
Auch Kinder hat Christer Strömholm porträtiert, nicht als selbstbewußte, witzige Gören wie seine Pariser Fotografenfreunde Boubat und Ronis, sondern als aus der Zeit gefallene, alterslose Charaktere mit schreckgeweiteten Augen. Seine berühmte "white lady", mit pechschwarzen Haaren und breit hingetuschten Augenbrauen im schneeweißen Alabastergesicht, wirkt wie eine zum ewigen Geheimnis erstarrte Maske. Tatsächlich aber war dieses Mysterium aus der Dunkelkammer Produkt des Zufalls, wie Joakim Strömholm in seiner Hommage, dem Katalogbuch "Post Sciptum" verrät:
"Er mochte es, dass andere die Abzüge für ihn printeten. Er wußte genau, wie sie aussehen sollten, hatte aber keinen Schimmer, wie man das anstellte. Die 'white lady' war eigentlich ein Irrtum: Jemand hatte das Fotopapier zu lange belichtet, doch Christer sagte nur: 'Perfekt, das ist es!'"
Eben dieses fotografische Gespür, der Sinn für Atmosphäre und weniger die Jagd auf spektakuläre Details prägt die Schwarzweißfotografie von Christer Strömholm, der zeitlebens auf Blitzlicht verzichtete:
"Er war ein Nachtschwärmer, eine Nachteule - er brauchte nur wenig Licht in einem Fenster, der Ecke einer Bar. Wenn man mit ihm durch Paris ging, streckte er die Hände aus, als wolle er jemanden grüßen - und dann sagte er: 'Ich prüfe nur das Licht'!"
Damit waren nicht die grellen Spotlights des Showgeschäfts gemeint, sondern das sanfte, aber beharrliche Ausleuchten der menschlichen Existenz, ohne die Verklärung der in den Sechzigern zum modischen Klischee geronnenen humanistischen Fotografie:
"Er war ein Mann des Krieges, hatte im norwegischen Widerstand gekämpft und im Spanischen Bürgerkrieg. In gewisser Weise mochte er Krieg - und den Kampf gegen Ungerechtigkeit. Er hatte viele Tote gesehen, der Tod war eines seiner Hauptmotive."
Im herzzerreißenden Porträt eines erblindeten Mädchens, vor genau 50 Jahren aufgenommen in Hiroshima, spiegelt sich diese Obsession eines großartigen Fotografen, der von seiner eigenen Person, seinem "Ego" so wenig Aufhebens machte, weil er sich - und damit auch uns - ganz und gar wiederfand im Bild des Anderen.