Nicht die Gewinne maximieren, sondern das Glück
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Shai Hoffmann ist Ex-Schauspieler, Musiker und politischer Aktivist. Mit originellen Projekten engagiert sich der Berliner mit israelischen Wurzeln für Demokratie und Vielfalt. Sich selbst sieht er als "Sozialunternehmer".
Der Lebensweg von Shai Hoffmann verlief alles andere als gradlinig. Ganz anders, als sich das "ein typischer Recruiter wünschen würde", sagt der 39-Jährige. Er sei eben ein sehr neugieriger Mensch: "Das Leben ist zu kurz, um nur eine Sache zu tun!"
Kleinst-Karriere im Showbizz
Shai Hoffmann war kein brillanter Schüler. Er machte nach einem "sehr schlechten" Realschulabschluss eine Ausbildung zum Hotelfachmann und begann eine Kleinst-Karriere im Showbizz: "Ich hab‘ gesungen, wo es sich nur angeboten hat." Er nahm an Talent-Shows teil, schaffte es bei "Star Search" bis ins Viertelfinale, wurde als Schauspieler entdeckt – und spielte in TV-Serien.
Doch grade, als es um eine Rolle bei "Verbotene Liebe" ging, erkrankte Shai Hoffmann schwer. 2007 spendete ihm sein Vater eine Niere.
"Ein ganz, ganz großes Geschenk, weil die Alternative die Dialyse wäre, die Blutwäsche. Und das ist natürlich eine Strapaze für den Körper. Wir haben einen eklatanten Organmangel in Deutschland – pro Tag sterben drei Menschen, weil einfach nicht rechtzeitig ein Organ gefunden wird", sagt Hoffmann. Die lebensbedrohliche Erkrankung empfand er als "Game Changer" und wandte sich komplett von der Schauspielerei ab.
BWL kann nie schaden
Shai Hoffmann spielt schon länger in einer Band, und das Managen dieser hat ihm schon immer Spaß gemacht: Gigs aushandeln, Verträge aufsetzen. So begann er schließlich nach der gesundheitlichen Zäsur ein Studium an der Hochschule für Wirtschaft in Berlin, Fachrichtung "Business Administration".
"Das war das Beste, was ich machen konnte. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, ich durfte ein Auslandssemester in New York machen. Wo braucht man BWL nicht?! Bei allem, was man macht, braucht man irgendwie betriebswirtschaftliche Kenntnisse."
Am Ende seines Studiums nutze er diese Kenntnisse dann konkret – machte sich 2014 selbständig und gründete ein erstes Unternehmen. Für fair und nachhaltig produzierte Schuhe und Rucksäcke.
Mittlerweile arbeitet Shai Hoffmann als Coach und unterstützt Crowdfunding-Projekte. Er bezeichnet sich selbst als "Sozialunternehmer" und plädiert für eine andere Art der Ausbildung in der Wirtschaft:
"Sozialunternehmertum war damals in meinem Studium nie Thema. Wir haben die sehr klassischen Dogmen der Gewinnmaximierung gelernt. Aber ich hab‘ nach dem Studium festgestellt: Das kann’s irgendwie nicht sein! Eigentlich müssten wir das Glück und nicht Gewinne maximieren."
Der Bus der Begegnung
Der Schwerpunkt seiner Arbeit liege heute auf "aktivistischen Projekten", sagt Shai Hoffmann. Er hat einen regelmäßigen Podcast und viele originelle Ideen zur Demokratie-Förderung.
So lässt er etwa "BookRappers" das Grundgesetz rappen, um "Menschen zu erreichen, die man sonst nicht erreichen kann". 2017 – im Vorfeld der damaligen Bundestagswahl – initiierte er den "Integrations-Bus":
"Ich bin mit einem sehr catchigen Bus – einem Oldtimer, der in den 1970er-Jahren in Berlin über den Kudamm gefahren ist – losgefahren und habe mich auf Marktplätze gestellt." Das Ziel des Demokratie-Aktivisten: Gespräche in Gang bringen. Und so den demokratischen Austausch fördern.
"Ich habe ein Vehikel gesucht, um Menschen zu treffen, die nicht in meiner Filterblase sind. Die nicht die Ansichten haben, die ich habe – damals stand gerade eine rechtspopulistische Partei kurz vor Einzug in den Bundestag. Ich wollte einfach wissen, was passiert eigentlich in unserem Land?"
Der "Bus der Begegnung" auf den Marktplätzen sorgte für einiges Aufsehen – bei Demokratiefreunden wie bei deren Gegnern:
"Es war sehr bunt, die Menschen, die kamen, hatten sehr vielseitige Meinungen. Ich habe Reichsbürger getroffen und Holocaust-Leugner, aber es kamen auch viele, die vehement für Demokratie einstehen. Was ich aber vor allem gemerkt habe, ist – Einsamkeit. Viele Menschen fühlen sich einsam, fühlen sich einfach nicht mehr gehört. Das ist ein großer Verlust!"
Zwischentöne zeigen
Shai Hoffmann, 1982 in Berlin geboren, hat israelische Wurzeln, und der israelisch-palästinensische Konflikt beschäftigt ihn sehr. Die Debatte darüber werde in Deutschland "schwarz-weiß" geführt, sagt er:
"Wenn man in Israel und den besetzten Gebieten war, dann merkt man relativ schnell, dass dieses Land alles andere als schwarz-weiß ist, dass es zig Zwischentöne gibt."
Weil es keine zeitgemäßen, multiperspektivischen Bildungsmaterialien für Jugendliche gebe, arbeite er mit seinem Team nun an Bildungsvideos, berichtet Hoffmann. Ein schwieriges Unterfangen: Bei einem Projekt, in dem Israel und Palästina zugleich vorkämen, würden mögliche Fördermittel-Vergeber schnell nervös werden. "Da ist oft einfach Respekt da, Angst vor Antisemitismus-Vorwürfen. Und deswegen ist das ein Marathon, und kein Sprint."
(tif)