"Zunächst mal sind die Proteste eine innerchinesische Angelegenheit"
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Böses Regime in Peking, gute Demonstranten in Hongkong, die für Demokratie auf die Straße gehen? So einfach ist die Sache nicht, sagt der Sinologe Helwig Schmidt-Glinzer und warnt: Merkel dürfe sich nicht zur Sprecherin partikularer Gruppen machen.
"Frau Merkel, bitte helfen Sie uns!" Vor der Chinareise der deutschen Bundeskanzlerin sind die Erwartungen der Demonstranten in Hongkong groß. In einem offenen Brief verglich der Anführer der Protestbewegung, Joshua Wong, die Situation in Hongkong mit der in der DDR der achtziger Jahre und appellierte an die Kanzlerin, den Protestierenden beizustehen.
Für den Sinologen und Direktor des "China Centrums Tübingen", Helwig Schmidt-Glinzer, stehen hinter den Hongkonger Protesten allerdings vor allem soziale Konfliktlagen wie Mietpreise: "Es geht denen nicht abstrakt um Demokratie, sondern um Ängste, dass ihr Lebensstandard sinkt", so Schmidt-Glinzer im Deutschlandfunk Kultur.
Angst vor kulturellem Identitätsverlust
Hinzu kommt dem Sinologen zufolge ein kultureller Konflikt: "Dass sie [die Hongkonger] ihre kantonesische Identität verlieren, wenn die Volksrepublik weiter dort Menschen reinschickt und Hongkong mehr vermengt wird mit dem Restchina. Und das ist natürlich auch ein Problem in der Greater Bay Area überhaupt: Diese kantonesische Kultur, die kantonesische Sprache ist sehr weit entfernt von dem, was in Peking passiert."
Vor diesem Hintergrund warnt Schmidt-Glinzer, die Kanzlerin dürfe sich nicht "zum Sprecher partikularer Gruppen" machen: "Da würde Frau Merkel auch eine rote Linie überschreiten." Denn zunächst einmal sei das, was in Hongkong passiere, eine "innerchinesische Angelegenheit".
Probleme wurzeln in der Kolonialzeit
Auch rühren viele der Probleme in Hongkong dem Sinologen zufolge nicht von der aktuellen chinesischen Politik her, sondern sind ein Erbe aus der Kolonialzeit. Zum Beispiel das Wohnungsproblem: "Ich war 1970 in Hongkong, dort war das Wohnen auch schon schwierig, und die Immobilienfrage war dort hochprekär. Und das ist eben bis in die Gegenwart weitgehend so geblieben."
(uko)