Marionettentheater gegen Vorurteile
In seinem Marionettentheater "Kukja Kelena" zeigt David Weiss, was Sinti und Roma wirklich bewegt. Doch immer wieder verzweifelt er daran, wie viele Vorurteile ihm begegnen - selbst nach den Aufführungen.
Timo Grampes: Frage an Sie zu Hause, kleines Gedankenexperiment: Was haben Sie vor Augen, wenn Sie an Sinti und Roma denken? Was sehen Sie? Welche Bilder fallen Ihnen ein? Bitte merken, festhalten und gegebenenfalls abgleichen mit dem nun folgenden Gespräch anlässlich der heute startenden großen Kulturwoche in Berlin rund um Sinti und Roma. Bei der ist das Marionettentheater Kukja Kelena mit von der Partie, das heißt übersetzt so viel wie "mit Marionetten tanzen", ein Familienbetrieb seit 1840 und in Händen von David Weiss. Hallo!
David Weiss: Hallo!
Grampes: Herr Weiss, Sie sind unterwegs mit Themen, die Sinti und Roma bewegen. Was erzählen denn Ihre Marionetten?
Weiss: Ja, die Diskriminierung ist ja immer noch sehr groß, sehr stark, und wir wollen damit, mit unseren Stücken, so ein bisschen aufklären und den Leuten sagen: Hey, wir sind anders, wie ihr vielleicht denkt.
Grampes: Machen wir's deutlich am Beispiel: Ihr Evergreen ist ja, glaube ich, ein Stück namens "Abschied vom Elternhaus" – Wie sieht das aus?
Weiss: Ja, es geht um eine Sinti-Familie. Der alte Sinto bekommt keine Arbeit, in der Zwischenzeit stirbt seine Frau, und er ist mit der Tochter allein. Bekommt dann vom alten Graf eine Stellung als Köhler. Durch Zufall, die Tochter und der junge Graf laufen sich im Wald übern Weg, der junge Graf verliebt sich in das Mädchen, und ja, so werden sie heiraten. Der Vater äußert natürlich gewisse Probleme: Sinti und Mehrheitsgesellschaft, ob das so gut zusammenpasst. Der Liebe wegen lässt der Vater es zu, und die Schwester des jungen Grafen ist aber damit nicht einverstanden. Sie ist feindlich gegenüber Sinti gesinnt, und sie wird auch die Schwägerin und das Kind umbringen. Und wie dann alles rauskommt, bringt sie sich dann selbst auch um, weil sie das dann doch irgendwie nicht überwinden kann, was sie dem Bruder angetan hat.
Grampes: Das ist furchtbar, weil zwischendurch klang es so nach "könnte einen guten Ausgang nehmen", also es werden unterschiedliche Milieus zusammengeführt, aber das ist ja schrecklich.
Weiss: Ja, es ist schrecklich, aber teilweise auch wahre Geschichte mit dabei.
Grampes: Was ist wahr dran?
Weiss: Dass viele von uns auch in früheren Zeiten hohe Persönlichkeiten geheiratet haben, die erste Zeit auch sehr glücklich waren, dann aber doch durch verschiedene Mitglieder aus Familie beiseite geschafft wurden, weil es eben nur die Zigeuner waren.
Grampes: Wo zeigen Sie denn dieses und andere Stücke, und wer reagiert wie drauf?
Weiss: Nun, gezeigt werden diese Stücke überall da, wo wir engagiert werden. Vom hohen Norden bis ins Burgenland waren wir schon tätig. Und reagieren tun die Leute, meistens die Älteren: Ja, es ist schon was Wahres dran, es ist schon viel falsch gemacht worden. Und trotzdem merkt man hinterher immer wieder, dass Vorurteile da sind.
"Beklemmendes Gefühl, wenn ich in manche Gesichter sehe"
Grampes: Inwiefern?
Weiss: Die Reaktion zeigt mir das. Wenn ich in die Gesichter der Leute sehe, denke ich mir, haben sie das überhaupt richtig verstanden, was ich damit sagen will. Ich hab ein ganz komisches, beklemmendes Gefühl, wenn ich in manche Gesichter sehe. Auch der Dialog, egal was wir für Stücke jetzt spielen, die Gespräche hinterher zeigen mir sehr viel.
Zum Beispiel hat mir jemand gesagt, der mich dann auch schon länger gekannt hat: Wie, ihr arbeitet? Ich dachte, ihr müsst nicht arbeiten, ihr werdet vom Staat unterstützt, Zigeuner müssen nicht arbeiten. Und dann kann ich nur erwidern: Ich muss doch meine Familie ernähren, wie soll das funktionieren? Das Vorurteil, wir ziehen einfach durch die Lande mit unserem Wohnwagen und haben nichts zu tun, bekommen unser Geld vom Staat, das stimmt einfach nicht. Wir müssen arbeiten wie jeder andere.
Grampes: Das ist ja schon auch wahnsinnig schräg, oder? Sie zeigen ein Stück, das gegen Vorurteile arbeitet, dann kommen Leute, gucken sich das an und konfrontieren Sie wieder mit den Vorurteilen.
Weiss: Ja. Ja. Also es ist manchmal sehr, wo man sich dann fragt, haben sie überhaupt verstanden, was ich damit sagen will.
Grampes: Wieso machen Sie das dann, was Ihre Vorfahren ja vor 175 Jahren ins Leben gerufen haben, wieso machen Sie das dann heute weiter, wenn auch so, ja, beschwerlich und schmerzhaft ist?
Weiss: Es hat sich ein großer Teil schon verändert, und mir liegt sehr viel daran. Mir liegt sehr viel am Marionettenspiel, ich liebe es, auch für Kinder, ganz besonders für Kinder, weil ich mit Kindern ganz anders arbeiten kann. Ja, und ich möchte einfach mit daran beteiligt sein, die Geschichte ein bisschen aufzuarbeiten und Vorurteile aus dem Weg zu räumen.
Grampes: Ist das auch eine Chance der jetzt laufenden Kulturwoche? Ich meine, die steht ja unter der Überschrift "Gestatten, das sind wir!". Wie wichtig ist es zu zeigen, das sind Sinti und Roma und nicht das, was ihr euch vielleicht im Allgemeinen drunter vorstellt?
Weiss: Ja, damit wollen wir ja auch was rüberbringen. Wir sind ganz normale deutsche Bürger, die aber eine eigene Kultur und eine eigene Sprache haben. Unsere Sprache nennt sich ja Romanes und wird auch nur mündlich weitergegeben.
Grampes: Sie sind deutscher Sinto, was bedeutet das eigentlich?
Weiss: Also zwischen 800 und 1000 nach Christus von Indien ausgewandert oder vertrieben, und aus dem Gebiet, das ist heute Pakistan, die Hauptstadt Karatschi, aus diesem Gebiet stammen wir ab. Und wir deutsche Sinti sind dann 1407 hier nach Deutschland gekommen, und seitdem sind wir deutschen Sinti hier.
Grampes: Wie gut integriert und akzeptiert fühlen Sie sich denn als deutscher Sinto? Also ich hab auch Sachen gelesen, wo junge Sinti berichten, dass sie es regelrecht als Outing empfinden zu sagen, ich bin das, und das sind meine Wurzeln, ich mag das gar nicht sagen.
Weiss: Ja, also ich sag immer, was ich bin. Ich nehme dann das in Kauf, dass man mich vielleicht ablehnt, und versuche das dann auch klarzustellen. Vor Kurzem bin ich aus dem Saarland in die Pfalz gezogen, hab dort eine Wohnung gesucht und immer gemerkt, sobald die Leute gefragt haben, woher wir kommen – wir sagen dann natürlich Deutschland, wir sind Deutsche, aber wir sind deutsche Sinti –, dann hat sich das mit der Wohnung schon erledigt.
Grampes: Also es bedeutet, auch immer wieder viel runterzuschlucken für Sie?
Weiss: Ja, ja.
Grenze zwischen Kunst, Kultur und Aktivismus
Grampes: Aber das andere, was man ja tun kann, ist, der Problematik Ausdruck zu verleihen, also als Marionettenspieler, aber ja auch als Aktivist. Sie sind auch Aktivist, konkret Referent für Kultur und Gedenken im Verband deutscher Sinti und Roma, also im Landesverband Baden-Württemberg. Wie fließend ist da eigentlich die Grenze zwischen Kunst, Kultur und Aktivismus?
Weiss: Ich versuche das zu verbinden. Wir haben zum Beispiel in Mannheim eine Ausstellung, die nennt sich "Typisch Zigeuner", und dabei geht es dann auch um Vorurteile, um Klischees, die aufgebrochen werden müssen, und wir haben viele Schulen, die hierher kommen, um sich diese Ausstellung anzuschauen. Ich mach dann Führungen, halte auch kleine Vorträge, und auf diesem Weg tun wir dann eben versuchen aufzuklären.
Grampes: Wenn ich mir das jetzt alles so zusammensetze, dann dreht sich Ihr Leben in großen Teilen also darum, um Verständnis zu werben für die eigene Herkunft und Kultur.
Weiss: Genau.
Grampes: Ist das nicht auch unglaublich anstrengend?
Weiss: Es ist sehr anstrengend, und manchmal möchte man eigentlich das Handtuch schmeißen, aber ...
Grampes: Und was ist es dann, was einen weitermachen lässt?
Weiss: Ja, das ist, bei uns Sinti gibt es ja eigentlich keine Familie, die nicht verfolgt wurde, also wo es keine Opfer gegeben hat. So ist es auch in meiner Familie, von Mutters Seite und Vaters Seite, die Verfolgung, und deswegen muss ich einfach weitermachen.
Grampes: Aktivist, Marionettenspieler und Sinto: David Weiss. Vielen Dank für das Gespräch!
Weiss: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.