"Sister Outsider" von Audre Lorde

"Ihr müsst euch sichtbar machen"

12:16 Minuten
Porträt der afroamerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde aus den 1970er-Jahren
Die Lyrikerin und Essayistin Audre Lorde lebte immer wieder auch in Deutschland. Sie gab vor allem Schwarzen Frauen wichtige Impulse. © picture alliance / CSU Archives / Everett Collection
Marion Kraft im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Audre Lorde kritisierte Rassismus und Patriarchat schon vor Jahrzehnten. Die afroamerikanische Autorin ermutigte auch Schwarze Frauen in Deutschland. Marion Kraft hat ihr Buch „Sister Outsider“ mitübersetzt - bis heute sei es ungebrochen aktuell.
Als "lesbische feministische Sozialistin" hat sich die Schriftstellerin Audre Lorde selbst einmal beschrieben – und als Mutter zweier Kinder sowie Schwarze Partnerin einer weißen Frau. "Ich finde mich meistens in irgendeiner Gruppe wieder, die vermeintlich anders ist, abweichend, zweitklassig, einfach falsch", schrieb sie schon vor Jahrzehnten. Audre Lorde war den Debatten, die heute geführt werden, weit voraus.
"Sister Outsider", ein wichtiges Buch der US-amerikanischen Lyrikerin, Essayistin und Aktivistin, übersetzt von Eva Bonné und der afrodeutschen Literaturwissenschaftlerin und Autorin Marion Kraft.
Kraft erzählt, sie sei Audre Lorde 1986 in Berlin begegnet, wo sie immer wieder und auch für längere Zeit war. Sie habe sie damals zu einem ihrer Bücher interviewt. Daraus sei eine sowohl literarische als auch persönliche Freundschaft entstanden, die bis zu Lordes Tod 1992 bestanden habe.
In Audre Lordes Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin gibt es einen Moment, der Bekanntheit erlangte: Nach einem Seminar versammelte sie die Schwarzen Studierenden und wollte so einen Raum für sie schaffen, besonders für die Frauen.

"Der Beginn einer Schwarzen deutschen Frauenbewegung"

Sie selbst habe das nicht persönlich miterlebt, sagt Kraft. Aber sie ist mit Frauen befreundet, die einst dabei waren. "Es war, zumindest nach meiner Wahrnehmung, der Beginn einer Schwarzen deutschen Frauenbewegung."
Lorde habe damals zu den noch sehr jungen Frauen gesagt: "Ihr müsst eure Geschichte selber machen. Ihr müsst eure Geschichte aufschreiben. Ihr müsst euch sichtbar machen, eure Stimme erheben. Ihr müsst euch selbst definieren." Ein Ergebnis sei der Sammelband "Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte", der bis heute eine Art Klassiker in der Schwarzen deutschsprachigen Literatur sei.
Weitere Ergebnisse seien die Gründung der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland und des kulturpolitischen Forums ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland, erläutert Marion Kraft. "Sie hat mit dieser kleinen Geste, wo sie zum ersten Mal vielleicht für diese jungen Frauen so etwas wie einen 'safe space' geschaffen hat, eigentlich den Grundstein für die Entwicklung einer politischen literarischen Bewegung in Deutschland gelegt."

Kritik am weißen Feminismus der 60er und 70er

Die Lyrik habe für Lorde immer im Zentrum ihres Schaffens, ihres Lebens gestanden, sagt Kraft. "Lyrik ist für sie wirklich das Lebenselixier gewesen und ihre stärkste Ausdrucksform. Was nicht heißt, dass sie nicht auch eine hervorragende Essayistin gewesen ist". Das werde auch in diesem Band deutlich.
Bei der Wiederbegegnung mit Lordes Texten sei ihr deren "unglaubliche Aktualität" aufgefallen und sie habe eine Art Déjà-vu-Erlebnis gehabt, so Kraft. In vielen ihrer Essays kritisiere Lorde den weißen akademischen Feminismus. Auch der Essay am Beginn des neu erschienenen Bandes mache deutlich, wie Lorde aufgezeigt habe, "dass der weiße Feminismus damals in den 60er- und 70er-Jahren sich genau dieser Werkzeuge und Machtinstrumente bedient hat, die er andererseits kritisiert hat".
Gleichzeitig habe Lorde immer alle Menschen, auch die weißen Feministinnen, die sie kritisiert, eingeladen, in einen Dialog auf Augenhöhe zu treten. Das werde auch deutlich wird in der Aussage, die sie sehr oft wiederholt habe: "Ich bin nicht frei, solange irgendeine andere Frau noch nicht frei ist."
(abr)

Audre Lorde: "Sister Outsider"
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné und Marion Kraft
Hanser Verlag, München 2021
256 Seiten, 20 Euro

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