Skandal und Schlüssellochbericht
Seit dem Regierungsumzug nach Berlin hat sich die Politik- und Medienlandschaft gewandelt: Immer mehr Journalisten und Fotografen umdrängen die Mächtigen im Staat. Beim Kampf um den neusten Skandal, die exklusivsten Bilder bleiben Inhalte und fundierte Recherche häufig auf der Strecke. Die Journalistin Tissy Bruns beschreibt die neue "Republik der Wichtigtuer".
Journalist: Das war mal was. Da gab es Helden der Aufklärung, Edelfedern der einfühlsamen Reportage, Diener der Wahrheit, Männer und Frauen an den Sturmgeschützen der Demokratie. Die Vierte Gewalt im Staat, unbestechlich, faktisch, gut.
Das war einmal. Edelfedern saugen sich ihre preiswürdigen Stories aus den Fingern, seitenlange Interviews mit Prominenten werden einfach erfunden, mancher Skandal erweist sich bei genauem Hinsehen lediglich als Kunst der Zuspitzung und unsere Helden der Wahrheit erweisen sich als keineswegs pingelig, wenn die Wirklichkeit einer schönen Geschichte im Wege steht. "Der Wahrheit dienen" ist ein Spruch von vorgestern. Unsere Alphajournalisten sind keine Diener mehr, sondern Selbstdarsteller in durchweg eigener Sache.
Diese These ist natürlich ebenso wenig verallgemeinerungsfähig wie manches Kunststück journalistischer Zuspitzung, aber wen wundert es schon, dass Journalisten mittlerweile ganz unten angelangt sind auf der Liste der respektierten Berufsgruppen in Deutschland? Nicht, dass die alten Zeiten unbedingt golden gewesen wären, aber es hat sich etwas verändert im Verhältnis von Bürgern und Medien seit der Spiegel-Affäre. Nicht zuletzt der politische Journalismus hat seine Glaubwürdigkeit rapide eingebüßt. Das kluge Buch von Tissy Bruns sagt, wie es ist und analysiert, woran das liegen könnte:
"Berlin-Mitte ist zu einer Bühne von Politik und Medien geworden, die von der Lebenswirklichkeit der Bürger weiter entfernt ist als das legendäre Raumschiff Bonn. In Wahrheit sind Politiker und Journalisten Getriebene einer Medienentwicklung, deren Zwänge wie nie zuvor und auf allen Ebenen die Kommunikation und Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten bestimmen und durchdringen."
Tissy Bruns weiß, wovon sie spricht. Die ehemalige Vorsitzende der Bundespressekonferenz war politische Korrespondentin für die "taz", die "Welt" und jetzt beim "Tagesspiegel" und sie beobachtet genau, was sich verändert hat seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin.
In Bonn hockte man aufeinander, tauschte Informationen beim Mittagsessen aus und bekam, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch schon mal Besuch von einem Abgeordneten mit einem ganzen Packen Akten. Man traf sich in der legendären Kneipe "Provinz" und hörte am Tisch nebenan Gerhard Schröder, Otto Schily und Joschka Fischer das Fell des Bären verteilen. Vom Umzug hatten sich viele eine neue Öffnung hin zur Wirklichkeit und zum Lebensalltag der Bürger erhofft.
Doch Berlin ist noch weiter weg als der Mond und Politik und Journalismus sind eine neue Verbindung eingegangen, die beide nicht hübscher aussehen lässt. Auf der Strecke bleibt das Politische sui generis und, angesichts der beständigen Skandalisierung aller möglichen vom Konsens der Political Correctness irgendwie abweichenden Auffassungen, die Meinungsfreiheit.
Woran das liegt? Bruns analysiert beide Seiten des Geschehens. Da sind die Politiker, die Personalisierung der Politik und damit der zunehmende Druck, sich selbst zu inszenieren, der eine als Brioni-Kanzler, die andere als das bescheidene "Mädchen". Und da sind die Medien selbst, die jene Entwicklung vorangetrieben haben, unter denen ihre Glaubwürdigkeit zunehmend leidet.
Zunächst sah alles so glanzvoll aus: Die großen Blätter und Sendeanstalten bezogen prächtige Hauptstadtbüros und stockten Personal auf. Mit der zunehmenden Menge der Hauptstadtjournalisten nahm die Unerfahrenheit zu und ging jener Komment verloren, der Politiker und Journalisten in Bonn noch kooperieren ließ. Wenn Journalisten auch das ausplaudern, was vertraulich gedacht war; wenn man damit rechnen muss, dass Zitate verdreht oder aus dem Zusammenhang gerissen werden, ziehen sich Politiker auf unverfängliche Plattheiten zurück.
Der zeitungslesende Bürger langweilt sich hernach bei den raffinierten taktischen Analysen, mit denen Journalisten ihnen die Machtmanöver der Politik erklären wollen. In den Medien ist man mittlerweile ebenso fixiert auf Einschaltquoten beziehungsweise Medientenor, wie Politiker sich von Umfrageergebnissen abhängig machen. Das Medium nimmt sich wichtiger als seine Botschaften, die, zu "Content" geschrumpft, eh niemanden mehr interessieren.
Personalisierung ist das Stichwort: Der neue Held ist der Kommentator oder Kolumnist, der, mit Foto und herzlichsten Grüßen, sein Medium repräsentiert wie der Politiker seine Wähler. Und dabei entsteht eine neue Nähe zwischen Vierter Gewalt und Politik:
"Sie werden sich ähnlicher, die Politiker und die neue journalistische Oberschicht. Der Begriff von den Alphatieren, der seltsame Vergleich von Politikern mit Affen oder Wölfen, der zu rot-grünen Zeiten für Lafontaine, Fischer oder Schröder gängig geworden ist, greift auch branchenintern um sich. Neuerdings gibt es ’Alphajournalisten’. Doch tatsächlich hat der Aufstieg einer journalistischen Oberschicht in die große Öffentlichkeit parallel zu einem nachweislichen Ansehensverlust der Medien und ihrer Protagonisten stattgefunden."
Denn Quote und Bekanntheit, sagt Tissy Bruns, zerstören Glaubwürdigkeit - und töten Charisma und Aura. Doch mit Selbstkritik hat die Branche nichts am Hut. Aus der großen Krise seit 2000 hat man offenbar nur eines gelernt: sich an die unterstellten Bedürfnisse der Internet-Generation anzubiedern, anstatt sich auf die eigene "Kernkompetenz" und damit auf Inhalte zu konzentrieren - zum Beispiel auf die große Reportage und das tiefschürfende Hintergrundgespräch, beides Textformen, die wenig reinen Nachrichtenwert haben, aber die sich besser lesen als anklicken lassen. Online ist nicht alles: Die Zeitungen werden damit die Jugend nicht gewinnen, aber die Älteren womöglich verlieren. Die Folge:
"Die politisch und gesellschaftlich Interessierten, die Gebildeten und Engagierten finden im großen Rauschen keinen Halt; sie werden geistig unterernährt und wenden sich ab."
Und ausgerechnet für diese Schicht gibt es offenbar keinen Minderheitenschutz. Was tun? Tissy Bruns Buch entbehrt der provokanten Zuspitzung. Es enthält sich der Appelle und der Schuldzuweisungen. Sie weist nur auf eine winzige Kleinigkeit hin, die uns interessieren sollte, jedenfalls die Minderheit der geistig Unterernährten, die nach mehr suchen als eine selbstreferentielle Politik samt Echolalie in den Medien ihnen bieten kann:
"Wenn der Preis nicht reflektiert wird, den die Anpassung der Politik an die Medienlogik verlangt, wird sie alle Akteure entwerten, die sich in Parteien, Institutionen, Regierungen, Parlamenten und in den Medien selbst mit Politik befassen."
Das ist, wenn ich an all die spießigen Schlüssellochberichte aus dem Privatleben der Illners, Schröders, Öttingers, Wills und Christiansens denke, längst geschehen.
Tissy Bruns: Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Berlin
Herder Verlag, Freiburg 2007
Das war einmal. Edelfedern saugen sich ihre preiswürdigen Stories aus den Fingern, seitenlange Interviews mit Prominenten werden einfach erfunden, mancher Skandal erweist sich bei genauem Hinsehen lediglich als Kunst der Zuspitzung und unsere Helden der Wahrheit erweisen sich als keineswegs pingelig, wenn die Wirklichkeit einer schönen Geschichte im Wege steht. "Der Wahrheit dienen" ist ein Spruch von vorgestern. Unsere Alphajournalisten sind keine Diener mehr, sondern Selbstdarsteller in durchweg eigener Sache.
Diese These ist natürlich ebenso wenig verallgemeinerungsfähig wie manches Kunststück journalistischer Zuspitzung, aber wen wundert es schon, dass Journalisten mittlerweile ganz unten angelangt sind auf der Liste der respektierten Berufsgruppen in Deutschland? Nicht, dass die alten Zeiten unbedingt golden gewesen wären, aber es hat sich etwas verändert im Verhältnis von Bürgern und Medien seit der Spiegel-Affäre. Nicht zuletzt der politische Journalismus hat seine Glaubwürdigkeit rapide eingebüßt. Das kluge Buch von Tissy Bruns sagt, wie es ist und analysiert, woran das liegen könnte:
"Berlin-Mitte ist zu einer Bühne von Politik und Medien geworden, die von der Lebenswirklichkeit der Bürger weiter entfernt ist als das legendäre Raumschiff Bonn. In Wahrheit sind Politiker und Journalisten Getriebene einer Medienentwicklung, deren Zwänge wie nie zuvor und auf allen Ebenen die Kommunikation und Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten bestimmen und durchdringen."
Tissy Bruns weiß, wovon sie spricht. Die ehemalige Vorsitzende der Bundespressekonferenz war politische Korrespondentin für die "taz", die "Welt" und jetzt beim "Tagesspiegel" und sie beobachtet genau, was sich verändert hat seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin.
In Bonn hockte man aufeinander, tauschte Informationen beim Mittagsessen aus und bekam, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch schon mal Besuch von einem Abgeordneten mit einem ganzen Packen Akten. Man traf sich in der legendären Kneipe "Provinz" und hörte am Tisch nebenan Gerhard Schröder, Otto Schily und Joschka Fischer das Fell des Bären verteilen. Vom Umzug hatten sich viele eine neue Öffnung hin zur Wirklichkeit und zum Lebensalltag der Bürger erhofft.
Doch Berlin ist noch weiter weg als der Mond und Politik und Journalismus sind eine neue Verbindung eingegangen, die beide nicht hübscher aussehen lässt. Auf der Strecke bleibt das Politische sui generis und, angesichts der beständigen Skandalisierung aller möglichen vom Konsens der Political Correctness irgendwie abweichenden Auffassungen, die Meinungsfreiheit.
Woran das liegt? Bruns analysiert beide Seiten des Geschehens. Da sind die Politiker, die Personalisierung der Politik und damit der zunehmende Druck, sich selbst zu inszenieren, der eine als Brioni-Kanzler, die andere als das bescheidene "Mädchen". Und da sind die Medien selbst, die jene Entwicklung vorangetrieben haben, unter denen ihre Glaubwürdigkeit zunehmend leidet.
Zunächst sah alles so glanzvoll aus: Die großen Blätter und Sendeanstalten bezogen prächtige Hauptstadtbüros und stockten Personal auf. Mit der zunehmenden Menge der Hauptstadtjournalisten nahm die Unerfahrenheit zu und ging jener Komment verloren, der Politiker und Journalisten in Bonn noch kooperieren ließ. Wenn Journalisten auch das ausplaudern, was vertraulich gedacht war; wenn man damit rechnen muss, dass Zitate verdreht oder aus dem Zusammenhang gerissen werden, ziehen sich Politiker auf unverfängliche Plattheiten zurück.
Der zeitungslesende Bürger langweilt sich hernach bei den raffinierten taktischen Analysen, mit denen Journalisten ihnen die Machtmanöver der Politik erklären wollen. In den Medien ist man mittlerweile ebenso fixiert auf Einschaltquoten beziehungsweise Medientenor, wie Politiker sich von Umfrageergebnissen abhängig machen. Das Medium nimmt sich wichtiger als seine Botschaften, die, zu "Content" geschrumpft, eh niemanden mehr interessieren.
Personalisierung ist das Stichwort: Der neue Held ist der Kommentator oder Kolumnist, der, mit Foto und herzlichsten Grüßen, sein Medium repräsentiert wie der Politiker seine Wähler. Und dabei entsteht eine neue Nähe zwischen Vierter Gewalt und Politik:
"Sie werden sich ähnlicher, die Politiker und die neue journalistische Oberschicht. Der Begriff von den Alphatieren, der seltsame Vergleich von Politikern mit Affen oder Wölfen, der zu rot-grünen Zeiten für Lafontaine, Fischer oder Schröder gängig geworden ist, greift auch branchenintern um sich. Neuerdings gibt es ’Alphajournalisten’. Doch tatsächlich hat der Aufstieg einer journalistischen Oberschicht in die große Öffentlichkeit parallel zu einem nachweislichen Ansehensverlust der Medien und ihrer Protagonisten stattgefunden."
Denn Quote und Bekanntheit, sagt Tissy Bruns, zerstören Glaubwürdigkeit - und töten Charisma und Aura. Doch mit Selbstkritik hat die Branche nichts am Hut. Aus der großen Krise seit 2000 hat man offenbar nur eines gelernt: sich an die unterstellten Bedürfnisse der Internet-Generation anzubiedern, anstatt sich auf die eigene "Kernkompetenz" und damit auf Inhalte zu konzentrieren - zum Beispiel auf die große Reportage und das tiefschürfende Hintergrundgespräch, beides Textformen, die wenig reinen Nachrichtenwert haben, aber die sich besser lesen als anklicken lassen. Online ist nicht alles: Die Zeitungen werden damit die Jugend nicht gewinnen, aber die Älteren womöglich verlieren. Die Folge:
"Die politisch und gesellschaftlich Interessierten, die Gebildeten und Engagierten finden im großen Rauschen keinen Halt; sie werden geistig unterernährt und wenden sich ab."
Und ausgerechnet für diese Schicht gibt es offenbar keinen Minderheitenschutz. Was tun? Tissy Bruns Buch entbehrt der provokanten Zuspitzung. Es enthält sich der Appelle und der Schuldzuweisungen. Sie weist nur auf eine winzige Kleinigkeit hin, die uns interessieren sollte, jedenfalls die Minderheit der geistig Unterernährten, die nach mehr suchen als eine selbstreferentielle Politik samt Echolalie in den Medien ihnen bieten kann:
"Wenn der Preis nicht reflektiert wird, den die Anpassung der Politik an die Medienlogik verlangt, wird sie alle Akteure entwerten, die sich in Parteien, Institutionen, Regierungen, Parlamenten und in den Medien selbst mit Politik befassen."
Das ist, wenn ich an all die spießigen Schlüssellochberichte aus dem Privatleben der Illners, Schröders, Öttingers, Wills und Christiansens denke, längst geschehen.
Tissy Bruns: Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Berlin
Herder Verlag, Freiburg 2007