Skandalheim

Von Werner Nording |
Der 3.80 Meter hohe Zaun um das Jugendheim hält die Probleme nicht auf. Viele Beschäftigte des Skandalheims haben gekündigt, weil sie die Belastung nicht mehr aushalten. In Hamburgs Prestige-Projekt für extrem auffällige Jugendliche herrschen unhaltbare Zustände. Hat die Pädagogik der harten Hand versagt, die vom Beust/Schill-Senat vorgegeben wurde? Derzeit beschäftigen sich Parlamentarier und Staatsanwaltschaft mit der Einrichtung in der Feuerbergstraße.
Mitten in Hamburg, in einer ruhigen Nebenstraße nahe der S-Bahnlinie, liegt das geschlossene Jugendheim Feuerbergstraße, das in der Hansestadt seit einem Jahr für Schlagzeilen sorgt. Der unauffällige Bau ist stark gesichert, Zutritt bekommt nur, wer vorher die ausdrückliche Genehmigung der Sozialbehörde eingeholt hat.

Vor drei Jahren hat Hamburg das geschlossene Heim eingerichtet, vor allem der damalige Innensenator Ronald Schill hatte sich immer wieder stark dafür gemacht. Im Dezember 2002 ging der CDU-Senat auf die Forderung des populistischen Koalitionspartners ein. Der Senat beauftragte den Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB), das Heim unter der Regie der Sozialbehörde einzurichten, sagt der heutige Leiter des Landesbetriebs Klaus-Dieter Müller:

"Unser Ziel ist, in der Biografie der Jugendlichen eine Wende herbeizuführen, indem wir das, was an Erziehung vor dem Aufenthalt hier nicht stattgefunden hat, in einem Jahr, das ist der Zeitraum, den wir uns konzeptionell genommen haben, aufholen, aus dem Jugendlichen eine Person zu machen, die in der Lage ist, sich insoweit selbst zu steuern, dass sie gewaltfrei leben kann. Und dass sie sich an Regeln halten kann, die für das menschliche Zusammenleben wichtig sind, das ist unser Auftrag. "

Schlagzeilen: "
Gewalt in der Feuerbergstraße
Psycho-Pillen im Heim
Abstechen, Kehle durchschneiden
Mitarbeiter in zwei Monaten 16 mal angegriffen
Der Feuerberg brodelt weiter
Wusste Sozialsenatorin wirklich nichts? "

In dem Heim sind keine Eierdiebe oder Schwarzfahrer untergebracht, sondern nur Jugendliche, mit denen andere Einrichtungen nicht mehr fertig geworden sind. Obwohl die Insassen erst zwischen 14 und 16 Jahren alt sind, haben sie Dutzende von Straftaten auf dem Kerbholz, sagt Heimleiter Wolfgang Weyland.

"Es sind sieben Jugendliche hier in der Einrichtung, die sind alle Intensivtäter, haben also mehrere Straftaten in unterschiedlicher Form begangen - von räuberischer Erpressung, schwerer Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Da ist in der Regel die gesamte Bandbreite vertreten. "

Mit einem strengen Tagesablauf sollen die Jugendlichen wieder an ein geregeltes Leben gewöhnt werden. Sieben Grundregeln müssen die Jungen einhalten.

"Hier gibt es keine Drogen, keine Waffen - du hast niemanden zu beschimpfen - du verhältst dich wertschätzend den anderen Jugendlichen und Mitarbeitern gegenüber - die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen - der Schulbesuch ist verpflichtend - wir sind pünktlich aus den Ausgängen wieder da - genauso pünktlich in der Schule. Das sind ganz elementare Regeln, die jeder Mensch einhält, das ist die Basis, über die wir arbeiten. "

Die geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße hätte ungestört weiterarbeiten können, wenn nicht vor einem Jahr unglaubliche Dinge über die Praxis in der Einrichtung an die Öffentlichkeit gedrungen wären. Zwei Jugendliche waren ausgebrochen und hatten Journalisten in Hamburg erzählt, was in dem Heim abgeht. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Thomas Böwer erinnert sich.

"Der Anfang war ein Interview zweier Jugendlicher, die von Zuständen in der Feuerbergstraße einem Kollegen von Ihnen berichtet haben: von der Frage des Einsatzes von Psychopharmaka über körperliche Gewalt, Randale und Chaos und auch von Zwangsmaßnahmen. Und diese sind im November 2004 vom Geschäftsführer des LEB im Grundsatz bestätigt worden. "

Als die Opposition in der Hamburger Bürgerschaft von der Sozialbehörde keine befriedigenden Antworten zu den Vorwürfen bekam, fingen die Parlamentarier an, sich selber in die Materie einzuarbeiten. Schnell wurde ein ganzes Bündel von Unzulänglichkeiten in der Feuerbergstraße bekannt.

"Und dann kamen Fakten zusammen wie massives Entweichen von Jugendlichen, Gefährdungspotential für die Betreuer und Betreuten. Dann kam der Einsatz von Psychopharmaka ohne Einwilligung. Und wir mussten feststellen, dass das Gewaltpotential in der Einrichtung wie ein Dampfkessel immer mehr anstieg und es war kein Ende zu sehen. Das war für uns der Anlass zu sagen, dieses gehört parlamentarisch untersucht. "

Seit dem Frühjahr beschäftigt sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Aufarbeitung der Vorgänge in dem Skandalheim. Zeugen werden gehört. Und schnell hat sich herausgestellt, dass Warnungen missachtet worden sind. Der frühere Leiter des Landesbetriebs, Wolfgang Lerche, hatte - schon wenige Monate, nachdem das geschlossene Heim eingerichtet worden war - von unhaltbaren Zuständen gesprochen. In einem Schreiben an die vorgesetzte Sozialbehörde hatte er Übergriffe auf Beschäftigte beschrieben und auf eine nicht mehr beherrschbare Situation hingewiesen.

"Ich habe dargestellt, dass es eine brisante aggressive Mischung gab von Jugendlichen, die sich gegenseitig hochgeschaukelt haben und auch Übergriffe gegenüber Mitarbeitern veranstaltet haben. Und es war meine Aufgabe als Geschäftsführer des Betriebs, dafür Sorge zu tragen, dass Mitarbeiter geschützt werden. "

Wie in der Antike wurde der Überbringer der schlechten Nachrichten zwar nicht geköpft, doch aus seinem Amt entlassen. Die Sozialbehörde wechselte kurzerhand den Leiter des Landesbetriebs aus. Und das, obwohl eine ganze Reihe von Rechtsbrüchen in der Feuerbergstraße begangen worden sind, sagt die Abgeordnete der Grün-Alternativen-Liste, Christiane Blömecke.

"So haben Jugendliche Psychopharmaka erhalten ohne Einwilligung der gesetzlichen Vormünder. Zum zweiten sind dort Aids-Tests durchgeführt worden, wiederum ohne Einverständniserklärung und ohne vor allem die Jugendlichen darüber zu informieren, dass es gemacht wird. Das ist eindeutig ein Rechtsbruch. Dann haben wir neben den Pädagogen in der Einrichtung auch einen privaten Sicherheitsdienst. Der hat oft Kompetenzen überschritten, indem er erstens zur Betreuung der Jugendlichen doch eingesetzt wurde und vor allem die Jugendlichen in Klettbänder gefesselt in die Einrichtung zurückgeführt hat. Das ist Freiheitsberaubung, das ist eindeutig ein Rechtsbruch. "

Innerhalb von nur zwei Jahren hatten sich die zwei Dutzend Mitarbeiter in der Feuerbergstraße an 2.270 Tagen krank gemeldet, förderte der Untersuchungsausschuss zutage. Das sei einmaliger Hamburger Rekord, urteilte die Opposition. Zudem hätten es viele Beschäftigte nicht länger ausgehalten in der Feuerbergstraße zu arbeiten und von sich aus gekündigt, kritisiert der GAL-Abgeordnete Christian Maas.

"Wir haben eine sehr hohe Fluktuation von Mitarbeitern, ich würde es nennen eine Abstimmung mit den Beinen. Die meisten Mitarbeiter haben es dort nicht länger als ein paar Wochen ausgehalten. Und haben dann auch festgestellt, dass ihre Arbeit unter unerträglichen Umständen durchgeführt wird und letztlich auch nicht zum Erfolg führt. "

Kurze Zeit sah es so aus, als würde die zuständige Hamburger CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram über den Skandal stürzen. Selbst in der CDU war öffentlich Kritik an den Missständen in der Feuerbergstraße geäußert worden. Doch dann stellte sich Bürgermeister Ole von Beust demonstrativ vor seine Behördenchefin.

"Da sind Fehler gemacht worden. Das war ein Projekt, das völlig neu war, das über Jahrzehnte von der SPD verhindert wurde, wir haben es gemacht. Da sind Fehler passiert, die ich bedaure. Das wird aufgeklärt, um sicherzustellen, dass die Fehler nicht wieder vorkommen. Aber dem Grunde nach ist es eine richtige Entscheidung, eine solche Einrichtung zu haben. "

Nur "Fehler" also. Die Senatorin zog sich darauf zurück, sie sei jahrelang nicht ausreichend über die Vorkommnisse in der Feuerbergstraße informiert worden.

"Die politische Verantwortung trägt immer der Minister, das sagt unsere Verfassung, d.h. in Hamburg der oder die Senatorin. Aber deswegen ist man nicht über alle Details informiert. Es war im Gegenteil so, dass wir uns ja immer wieder zwischendurch haben berichten lassen. An dieser Stelle sind immer wieder positive Meldungen gekommen, es ist alles rechtens. Und in Wirklichkeit haben natürlich in vielen Bereichen diejenigen, die zu diesem Prozess gezählt haben, nicht Beschwerde geführt. "

Die Opposition gab sich damit nicht zufrieden und trug das Thema bis ins Parlament. Die GAL-Fraktionsvorsitzende, Christa Götsch, griff den Hamburger Bürgermeister und seine Sozialsenatorin frontal an.

"Herr von Beust, Sie sind ja nun Jurist und wollen uns weiss machen, es sei legitim, dass a priori Maßnahmen wie die Verabreichung von Psychopharmaka, von HIV-Tests ohne Einwilligung, Freiheitsentzug, Verletzung der Persönlichkeitsrechte rechtlich abgesichert seien. Aber vergessen Sie nicht, Sie müssen sich auch an Gesetze halten. Und Sie wollen straffälligen Jugendlichen beibringen, sich an Regeln zu halten, wo Sie selbst nicht willens oder in der Lage dazu sind? Was Jugendliche in der Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße lernen, ist der wiederholte und von oberster Stelle, nämlich von der Behördenchefin, vom Ersten Bürgermeister gedeckte Gesetzesbruch mit Verweis auf eigene Unkenntnis. "

In der Feuerbergstraße selbst hat die öffentliche Kritik zu ersten Konsequenzen geführt. Um weiteren Ausbrüchen vorzubeugen, habe man zum Beispiel die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, sagt Heimleiter Weyland.

"Das sind die berühmten Zäune, die 3,80 Meter hoch sind, die um das Gelände rum sind, ganz einfach um die offene Freizügigkeit des Geländes einzuschränken. Da dürfte keiner rüberkommen. "

Der Geschäftsführer des Landesbetriebs beklagt, dass die öffentliche Diskussion nicht spurlos an den Mitarbeitern vorbeigeht. Es ist schwierig, wenn man jeden Tag etwas über sich in der Zeitung liest, sagt Müller.

"Das, was zurzeit öffentlich an Fehlern im Raum steht, das steht erst mal im Raum. Wir haben hier in Hamburg einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, das, was an Fehlern behauptet wird, zu prüfen im Detail. Es gibt über einige Vorgänge ja auch staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen. Wir selber wissen, dass wir an einigen Punkten hätten formal sauberer arbeiten sollen. Das deutet sich bei einigen Punkten an und wir sind dabei, uns zu verbessern. "

Die Hamburger Kinder- und Jugendpsychiaterin Charlotte Köttgen hatte die Sozialbehörde vor drei Jahren vergeblich gewarnt, die Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße einzurichten. Hier werden genau die Probleme erzeugt, mit denen wir sonst nicht fertig werden, sagt die heute pensionierte Psychiaterin nach 30 Jahren Berufserfahrung.

"Das Schlimme ist, dass das, was die meisten in die geschlossene Einrichtung bringt, nämlich die fortgesetzte Gewalt, die sie schon zu Haus erlebt haben, dann eine permanente fortgesetzte Erfahrung ist, die dann auch als Erziehungsmittel dort passiert, wie man ja auch an der Einrichtung in Hamburg sehen kann. Das heißt, es werden Securitas-Leute eingesetzt, also gar nicht fachlich ausgebildete Pädagogen, sie werden fixiert, sie werden mit Medikamenten gedopt, also alles Dinge, die eigentlich wenig mit Erziehung zu tun haben. "

Der Erziehungswissenschaftler Professor Peter Struck hat sich mit der Erfolgsquote von Geschlossenen Einrichtungen auseinandergesetzt. Und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Jugendliche, die Geschlossen untergebracht worden sind, sagt der Pädagoge,

"haben eine Rückfallquote von 82 Prozent, während Jugendliche, die in anderen, ähnlichen Konzepten erreicht werden - außerhalb von Großstädten, durch konkrete Pädagogik oder sogar im Knast mit dem so genannten Anti-Aggressivitätstraining, wie die das die Jugendstrafanstalt Hameln macht - nur noch eine Rückfallquote von 28 Prozent. "

Die unhaltbaren Zustände in der Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße sind in dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss klar benannt worden. Ob weitere Überraschungen zutage gefördert werden, bleibt abzuwarten. Wann die Arbeit beendet ist, kann der CDU- Ausschussvorsitzende Manfred Jäger heute noch nicht sagen.

"Wir sind ganz am Anfang. Wir sind in einem ersten Komplex, wir haben es in verschiedene Komplexe untergliedert, und sind immer noch beim ersten Komplex, also sehr am Beginn. "