Braucht Olympia neue Sportarten?
Das Internationale Olympische Komitee will sich jungen Sportarten öffnen. Deswegen dürfen unter anderem erstmals Skater und Surfer bei den Sommerspielen 2020 antreten. Doch viele Sportler fürchten negative Auswirkungen auf ihre Szene.
Die Skatehalle Berlin auf dem Gelände des ehemaligen Ausbesserungswerks der Reichsbahn An die 20 Skater jagen über diverse Rampen und üben neue Tricks in einer 800 Quadratmeter großen Hindernislandschaft. Einer von ihnen ist Michael, 30, seit seinem zehnten Lebensjahr passionierter Skateboarder: "Es ist meine Lieblingssportart, kann ich nur jedem empfehlen. Skateboard ist ne Möglichkeit, sich sehr individuell auszudrücken."
Hans-Jürgen "Cola" Kuhn, Gründer des Berliner Skateboard Vereins von 1977, zugleich Vorsitzender der deutschen Skateboardkommission: "Es ist eine wirkliche Mischung aus Sport, aus Freizeitbetätigung, aus Lebenskultur, wo sich dann auch noch Musik und Kleiderstile mit mischen. Es ist generationsübergreifend, und die Individualität des Einzelnen kann sich mit dem Skateboard wunderbar ausdrücken. Weil es keine Regeln gibt, keine Vorgaben, man kann neue Tricks erfinden, nichts ist fertig und alles im Fluss."
Das hat wohl auch die olympische Bewegung erkannt. Bereits in Rio 2016 entschied das Internationale Olympische Komitee, fünf neue Sportarten in das olympische Programm der Sommerspiele in Tokio 2020 aufzunehmen. Auch das Skateboarden gehört dazu. Für die Baseballer und Softballerinnen ist es eine Rückkehr auf die olympische Bühne. Karate muss wohl als Zugeständnis an den Gastgeber gewertet werden. Aber mit Klettern, Skateboarding und Surfen gehören gleich drei vergleichsweise junge Disziplinen zu den Newcomern. Wieso gibt sich der alte Männerorden IOC plötzlich so trendy?
Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wehrt ab: "Sie haben, glaube ich, ein bisschen ein verstaubtes Bild von Olympia. Sie meinen, dass da nur Leute mit Zylinder rumreiten oder nur völlig traditionelle Sportarten betrieben würden. Das ist nicht der Fall."
Jede Sportart nach Olympia ausgewertet
Eigentlich hat sich das IOC eine Obergrenze für Sportarten und Sportler gesetzt: etwa 10.500 Athletinnen und Athleten. Schließlich gilt es, den oft kritisierten Gigantismus der Spiele einzudämmen. Das führt alle Jahre wieder zu erregten Debatten darüber, welche Disziplin neu dazu kommt, welche weichen muss. Bleibt das Ringen olympisch? Ist das Gehen vielleicht doch verzichtbar?
"Das IOC evaluiert nach jeder Ausgabe der Olympischen Spiele das Programm, und zwar jede einzelne Sportart. Und stellt fest, wie hoch war das Interesse, sind die Wettbewerbe spannend? Gibt es da Langeweile, um es mal ganz deutlich zu sagen. Gibt es noch die notwendige Globalität dieser Sportart, dass die also nicht nur in wenigen Regionen der Welt betrieben wird und und und."
Die Sorge, dass die junge Generation der olympischen Bewegung mehr und mehr die kalte Schulter zeigt, erscheint nicht unbegründet. Andreas Hebbel-Seeger, Professor für Sport- und Eventmanagement an der Hamburger Macromedia Hochschule: "Die Olympischen Spiele sind das weltgrößte Sportevent, ja, aber es gibt vor allen Dingen bei jüngeren Zielgruppen auch Sportgroßveranstaltungen, die von der Bedeutung, auch der Reichweite her den Olympischen Spielen Gefahr laufen, den Rang abzulaufen."
Das gilt vor allem für Veranstaltungen so genannter Trendsportarten, die gerade bei jungen Menschen in den Städten in den letzten Jahrzehnten immer populärer werden. Jetzt reagieren die Herren der Ringe. IOC-Präsident Thomas Bach machte unlängst im Interview mit der Zeitschrift "Reviersport" eine klare Ansage:
"Die Programmreform für Tokio hat drei Ziele: Mehr Jugendlichkeit, mehr Weiblichkeit und der Urbanisierung des Sports Rechnung tragen. Wir können nicht mehr darauf warten, dass die Jugendlichen zu uns kommen. Also müssen wir dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind. In die urbanen Zentren. Deshalb sind in Tokio Klettern und Skateboarding im Stadtzentrum geplant.
Es liegt ja nahe, dass man im Sinne der Sicherung von Medienreichweiten sich dann überlegt: Was können wir tun, um im Grunde ja Sportarten, die man von den x-Games kennt, ins olympische Programm zu holen. BMX-Radfahren beispielsweise, in London olympisch, ist 'ne klassische X-Games-Sportart gewesen. Skateboarden sowieso - das, glaube ich, ist keine Frage."
Sportarten, die sich gut inszenieren lassen
Gelegentlich tragen Zufälle zur Popularisierung einer Sportart bei. Als die Berlinerin Lisa Unruh in Rio die erste olympische Einzelmedaille in der Geschichte des deutschen Bogenschießens errang, fiel die Entscheidung in die Sendezeit der Hauptnachrichtensendung der ARD. Und der Durchbruch von Beachvolleyball beim Massenpublikum hat natürlich viel mit den überraschenden Olympiasiegen deutscher Sportler bei den Sommerspielen von London und Rio zu tun. Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport beim DOSB:
"Zu den Kriterien, die das IOC bei der Beurteilung von Sportarten berücksichtigt, gehört das Interesse der Zuschauer vor Ort, aber auch das mediale Interesse durchaus zu den Kriterien, die man bewertet, um die Sportart im Programm zu belassen oder eben auszutauschen.
Wir nehmen mal Skateboarden, wir nehmen mal Wellenreiten - das sind Sportarten, die sich unglaublich gut inszenieren lassen, die spektakuläre Bilder bieten und toll anzugucken sind. Und im Grunde sind das schon die zentralen Anforderungen, die ich an eine Sportart stellen muss, wenn ich sie bei Olympischen Spielen haben möchte."
Vor drei Jahren hatte das IOC ein Reformprogramm - die Agenda 2020 - beschlossen. Sie sieht vor, künftig die Spiele mehr über Wettbewerbe und Disziplinen als über Sportarten zu definieren. Auch bekommen die Veranstalter-Städte die Möglichkeit, selbst Wettbewerbe vorzuschlagen, die sie dabei haben möchten. Mit der Folge, "dass man aufgrund der Agenda 2020 eben schneller zu den olympischen Sportarten zählen kann als man glaubt. Auch die fünf Sportarten, die jetzt neu dazu gekommen sind, waren teilweise überrascht und müssen sich jetzt erstmal olympisch aufstellen", sagt DOSB-Vorstand Dirk Schimmelpfennig.
Surfer-Szene über Olympia-Aufnahme gespalten
Einigermaßen unerwartet kam für die kleine deutsche Surf-Gemeinde die Aufnahme ins olympische Programm. Der Deutsche Wellenreit Verband (DWV) in Köln - er vertritt ein halbes Dutzend Vereine sowie Einzelmitglieder - begrüßte die Entscheidung. In der bunten Freizeitsurfer-Szene hielt sich der Jubel über den Zuschlag für Olympia zunächst in Grenzen. Sebastian Kumbier, 2. Vorsitzender der "Surfers Connection Berlin":
"Dann wurde das erstmal mit Belustigung angesehen: Ja, Surfen olympisch, ist ja utopisch. Als es immer ernster wurde, das Thema, dann hat man angefangen, sich Gedanken darüber zu machen, und da sind die Meinungen doch schnell auseinander gegangen. Einerseits "Muss es sein?", andererseits "ich find's klasse, ich find's super".
Plötzlich tauchen auch im Umfeld der hippen Surfergemeinde Begriffe wie Leistungsförderung und Olympianorm auf. Ausgerechnet bei den Wellenreitern, die so viel Wert auf den Mythos von Freiheit und Abenteuer legen. Im vergangenen Oktober traf sich wie jedes Jahr die nationale Surf-Elite in Westerland bei den Sylt Open. Im Gespräch mit dem Nachrichtensender N24 diskutierten Lilly von Treuenfels und Arne Bergwinkl, zwei der besten deutschen Wellenreiter, das Für und Wider:
"Es ist immer noch total gespalten. Die einen sagen: Ja, dieser Lifestyle wird total kaputt gehen. Andererseits ist Olympia immer noch das größte sportliche Event, die größte Auszeichnung, die man kriegen kann."
"Man merkt daran, dass der Sport professioneller wird. Man kriegt viel Unterstützung vom DWV und vom Bund. Und jetzt hat Olympia auch die kultigste Sportart entdeckt. Also profitieren auf alle Fälle beide Seiten davon. Man merkt, wie das Surfen so richtig wächst."
Bedeutet olympisch gleich museumsreif?
Die Profiszene dürfte Olympia vor allem als Chance ansehen, den eigenen Bekanntheitsgrad und Marktwert weiter zu erhöhen. An der Basis müssen dagegen zunächst die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. DOSB-Vorstandschef Vesper:
"Bei uns war das so, dass alle neuen Sportarten durch Verbände abgedeckt wurden und werden, die bei uns Mitglied sind bis auf das Surfen. Das ist der Deutschen Wellenreit-Verband, der im vergangenen Jahr in den DOSB aufgenommen wurde, der uns dafür dann gleich ein Surfbrett geschenkt hat, das jetzt im Olympia-Museum in Köln zu besichtigen ist. Das ist also die einzige neue Struktur, die jetzt dazu gekommen ist."
Solche Aussagen scheinen die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker zu bestätigen. Kaum wird das Surfen olympisch, schon ist die Sportart museumsreif? Ein Blogger hatte bereits vor der Entscheidung über das vermutete Judging - das Bewertungsverfahren - bei Olympia geätzt. Surfen auf einer künstlichen Welle? Unmöglich!
"Wahrscheinlich würde der gewinnen, der die meisten Alley-Oops in eine der immer gleich langen Wellen packt. Allein schon, weil sich mit dem Trick am besten die Sponsorenlogos in Zeitlupe zeigen lassen. Das dürfte dann allerdings so interessant anzusehen sein wie der Seniorentanzabend im Altersstift am Entenbach.
Surfen an sich ist olympisch gesehen nicht wirklich 'ne Sportart, die nach höher, schneller, weiter geht."
Freizeitsurfer Sebastian Kumbier: "Die Liste der Tricks ist nicht so sehr lang beim Surfen. Da ist es wirklich so: Wer macht die schönsten Flips in der Luft, wer macht die größte Wasserfontäne mit hinten Rausschießenlassen, den Spray. Selbst für mich ist es schwer, und auch für die World Surf League, bei den Weltmeisterschaften das zu bewerten, wie die Surfer in den Wellen arbeiten. Wer kriegt jetzt die besten Punkte?"
Inzwischen schälen sich Details des tatsächlichen olympischen Formats heraus. Gesurft wird entgegen ursprünglichen Annahmen im offenen Ozean, etwa 45 Minuten von Tokio entfernt am Surfspot "Chiba". 40 Wellenreiter, je 20 Männer und Frauen, sollen an den Start gehen. Einzige Wettkampfkategorie: das Shortboard, die schnellere Variante. Wie der Qualifikationsmodus aussieht, ist noch nicht klar. Ganze zwei Tage sind für den Wettbewerb veranschlagt. Wenn denn die Pazifikwellen mitspielen. Sebastian Kumbier hofft, dass die Ursprünglichkeit und das besondere Flair seines Sports erhalten bleiben. Trotz Olympia:
"Die Soul Surfer und die Free Surfer, das ist so eine Gruppe. Die Free Surfer sind die, die das aus Spaß an der Freude machen. Soul Surfer sind die, die ihre gesamte Leidenschaft da rein stecken, die den Lifestyle leben, die ständig auf Achse sind, eine Welle nach der anderen jagen, und da dann halt frei sein wollen, dieses Lebensgefühl, naturverbunden und so weiter."
Ob der Spagat zwischen Fun und Leistungssport gelingt? Man wird sehen. Ähnliches gilt auch für die Skateboarder: "Der reine Wettkampfgedanke, Erster und Bester zu sein, ist in der Skaterszene eher unterrepräsentiert. Das interessiert viele nicht", sagt Skateboard-Pionier Hans-Jürgen Kuhn.
Auch den Skatern sind Vereinsstrukturen fremd
Seit Frühjahr 2016 ist der ehemalige Grünen-Sportpolitiker Vorsitzender der nationalen Skateboard-Kommission. Seine Aufgabe: die deutsche Skaterszene organisatorisch fit zu machen für das Abenteuer Tokio 2020. Eine Szene, der jede Vereinsmeierei fremd ist - erst recht im Dienste der nationalen Ehre:
"Sie interessiert, ob jemand gut fährt, und das spricht sich rum, und dann schaut man sich Videos im Netz an. Aber ob der aus dem Land der Erste ist oder einer aus dem eigenen Land der Erste, das ist relativ unwichtig."
Nur wenige Skater gehen organisiert in Vereinen ihrem Sport nach. Hunderttausende von ihnen nutzen tagtäglich Halfpipes und Beton-Bowls - Anlagen, die im Laufe der Jahre von den Kommunen gebaut wurden oder auf Privatinitiative entstanden. Oder sie machen sich gleich den öffentlichen Raum untertan, Rampen, Treppen, Geländer auf geeigneten Plätzen. Gerade mal 2.000 Skater tummeln sich offiziell in Vereinen, schätzt Kuhn. Und zwar unter dem Dach des Deutschen Inline- und Rollsportverbandes. Hierzu gehören auch die Rollkunstläufer, Rollhockeyspieler und Inline-Skater. Ein eigener Skateboard-Verband existiert einstweilen noch nicht:
"Irgendwann merkt man aber, wenn man zum Beispiel öffentliche Mittel haben möchte für die Unterstützung unseres Sports, für Fördermaßnahmen im Bereich von Sportstättenbau oder Trainerausbildung, dann kommt man nicht darum herum, dass man sich an diesen Vorgaben orientieren muss."
Zielvorgabe des DOSB ist es, eine olympiareife Auswahl für die Spiele in Tokio auszubilden und zu ermitteln. Die olympische Sportförderung hat ihren Preis: Plötzlich sieht sich die Funsport-Szene mit den harten Konditionen des Leistungssports konfrontiert: Nationalkader, Trainern, festgelegten Trainingszeiten, Leistungskontrolle, Anti-Doping-Regeln. Einige spielen da nicht mit:
"Es gibt Skater, die sind sehr gut, die sagen: Wisst ihr was, ich hab überhaupt kein Bock, wegen der Chance auf Tokio jetzt irgendwie lauter so ne Mätzchen zu machen, lasst mich da raus. Ich will weder in den nationalen Kader noch will ich künftig bei Wettkämpfen zur Dopingkontrolle geschickt werden - hab ich alles keinen Bock drauf. Macht mal euer Ding, aber ohne mich!"
Kuhn hat Verständnis für solche Bedenken, kann sie als Pionier dieser Sportart auch nachvollziehen. Aber er beugt sich der normativen Kraft des Faktischen:
"Ganz klar. Wir Skateboarder in Deutschland, aber auch im Rahmen der FIRS, haben sich das nicht gewünscht und dafür gekämpft und geackert, sondern das ist ne Top-Down-Entscheidung vom IOC. An der haben sicherlich auch große Firmen mitgedreht, die gegenüber dem IOC bekundet haben, dass es doch cool wäre, wenn Skateboarden olympisch würde."
Unternehmen schon jetzt auf Skater spezialisiert
Die Skateboard-Szene weltweit ist nicht in Sportstrukturen organisiert, sondern über kommerzielle Strukturen. Große Marken, in der Regel US-amerikanische Firmen, haben seit Jahren in ihren Produktpaletten auch den Trendsport als Zielgruppe im Visier: Skateboarder, Snowboarder, BMXer und andere.
"Und wenn ein großer Player wie Nike speziell Schuhwerk, Kleidung, eher wenig Hardware im Skateboard-Bereich produziert, dann tut er das aus ganz eigenen Interessen heraus, und dann bedient er sich auch guter Skateboard-Fahrer weltweit, bündelt sie zu einem eigenen Nike-Team und hat in dem Fall auch konkret eine eigene Wettkampfserie aufgebaut, die Street League."
Wie wird die Qualifikation für Tokio ablaufen? 80 Startplätze soll es geben, für jeweils 40 Frauen und Männer. Offizielle Rankings, Welt- und Europameisterschaften kannte diese Sportart bislang nicht. Im Zeichen von Olympia wird sich auch im bisherigen Funsport der Leistungsgedanke in den Vordergrund schieben. Eine Entwicklung, die Alexander Schwan, aktiver Skater und Mitinhaber einer Münchner Kommunikationsagentur, mit Unbehagen erfüllt. Für ihn haben Sportarten wie Skateboarding, Surfen oder BMX Freestyle Park bei Olympia mehr zu verlieren als zu gewinnen:
"Das ist ja eine reine Wettkampf-Veranstaltung, im Endeffekt geht's da um Medaillen und um die ersten drei Plätze. Das ist ja das, was ausschlaggebend ist. Alles nach Bronze interessiert dann auch keinen mehr."
Diese Wettkampforientierung sei dem Skateboarding fremd. Bestehende Sportkulturen würden Gefahr laufen, ihre Identität zu verlieren. Sie würden in ein Korsett gezwängt - ein Korsett aus Sportförderrichtlinien, Vereins- und Verbandsstrukturen und einem veralteten Nationendenken. Die Folgen einer solchen Politik, meint Schwan, könne man gut am Schicksal des Snowboardens beobachten. Seit der Aufnahme ins olympische Programm 1998 habe die Sportart in den Wettkämpfen einen Großteil ihrer ursprünglichen Kreativität eingebüßt:
"Im Snowboarden hat sich das auch so verändert, dass der Teil der Kultur, die Videoproduktionen, die Fotoproduktionen und so weiter immer mehr zurückgegangen sind, eigentlich nur noch von der Industrie unterstützt werden, aber von niemand anderem. Und mittlerweile findet Snowboarden - auch was Wettkämpfe angeht - nur noch in diesen vorgefertigten Slopestyle- oder BigAir-Parks statt. Also man baut dann irgendwelche Gerüstrampen in irgendwelche Städte, die sind alle relativ gleich, und man sieht auch, dass der persönliche Ausdruck des einzelnen Sportlers dem auch gewichen ist. Wer mehr dreht, gewinnt am Ende."
Eine Beobachtung, die von Professor Andreas Hebbel-Seeger geteilt wird: "Diejenigen, die mit dem Aufkommen der Sportart sich dafür begeistert haben, mit der Hochzeit vielleicht in den 90ern, auf den Wintersport-Zug Snowboarden aufgesprungen sind, die machen das noch. Aber die Idee, sich über das Snowboarden abzugrenzen, das als jugendkulturelle Ausprägung, als Lifestyle auch zu verstehen, ist spätestens mit der Aufnahme in den organisierten Sport aus meiner Sicht verloren gegangen."
Skaten: Kreativität wichtiger als Wettbewerbe
Der zum Jahresende scheidende DOSB-Vorstandschef Michael Vesper argumentiert: "Was das Snowboarden angeht: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Teilnahme an den Olympischen Winterspielen da in irgendeiner Form geschadet hätte. Im Gegenteil: Was übrigens manche Freizeit-Skifahrer manchmal beklagen, dass immer mehr Snowboarder auf den Pisten sind und die Pisten kaputt machen aus ihrer Sicht. Das ist sicherlich auch eine Folge der Popularität des Snowboard-Sports."
"Wenn ich meine Studenten fragen würde, wer ist Shawn White? Dann würde die alle sagen: Ah, das ist jemand, den kenn' ich vom Videospielen. Aber die wenigsten bringen mit dem Namen Shawn White in Beziehung, dass der mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger ist. Der ist ganz anders besetzt. Dass jemand für ne Videospielserie steht, die er mit seinem Namen vertritt und darüber bekannter ist als sozusagen als olympischer Athlet, ist für mich im Grunde ein Zeichen dafür, dass es nicht die Sportart ist, die die Olympischen Spiele braucht, sondern die Olympischen Spiele genau diese Sportart", meint Professor Andreas Hebbel-Seeger.
Ein ähnliches Schicksal, so fürchtet Alexander Schwan, könnte auch dem Skateboarden blühen. Skaten sei eigentlich kein klassischer Sport. Die Wettbewerbe machten nur einen minimalen Teil aus. Wichtiger sei die Kreativität - die schöpferische Nutzung der urbanen Architektur, von Foto- und Videoproduktionen, das Design der Produkte und der Mode. Solche Aspekte spielten aber beim olympischen Wettkampf kaum noch eine Rolle. Beim Snowboarden drifte der Sport immer mehr in Richtung Akrobatik ab.
"Noch 'ne Drehung mehr, noch 'ne Drehung mehr - mittlerweile haben wir vierfache Über-Kopf-Rotationen, die Griffe ans Bord, das Strecken der Beine und die Bewegung des Körpers, wo man früher immer gesehen hat, welcher Sportler es eigentlich ist. Man konnte wirklich aus der Entfernung lesen, welcher Sportler dem Trick seinen persönlichen Ausdruck verleiht. Das ist irgendwie verloren gegangen, es ist alles relativ gleichgeschaltet geworden."
Breitenförderung statt Konzentration auf die Elite
Ob sich eine solche Entwicklung beim Skateboarden wiederholt? Wird hier eine Generation und ihre kreative Kraft im Dienste des organisierten Sports enteignet? Der 29-jährige Marvin glaubt nicht, dass es so schlimm kommt:
"Na, ich meine, letzten Endes liegt es ja immer an einem selber, was man daraus macht. Und wenn man in der Szene unterwegs ist und mit seinen Freunden skatet, ist es ja 'ne Einstellungssache, wie man da rangeht. Und für mich ist es nach wie vor ein Funsport, das ist mein Hobby, ich mach es seit 15 Jahren. Ich glaube nicht, dass dadurch, dass es in den Olympischen Spielen jetzt vorkommt, dass es irgendwas für mich verändern wird."
Auch die Surfer - so lässt sich vermuten - werden weiter ihren Traum von Freiheit, Natur und Abenteuer leben. Hans-Jürgen Kuhn hält die Selbsterhaltungskräfte der freien Skaterszene für stark genug, der Vereinnahmung durch die olympische Bewegung zu trotzen:
"Niemand von den Skateboardern fährt nach Tokio, weil er dort etwa sein Land repräsentieren will, sondern die meisten wollen doch eher zeigen, dass sie zu den besten Skatern weltweit gehören, egal welcher Nation, Hautfarbe oder welche Fahne da hinter ihnen aufgestellt wird. Das ist ihnen doch eher fremd, und ich glaube, das wird sich in den nächsten drei Jahren auch nicht grundlegend ändern."
Dass die olympische Bewegung sich erneuert, unter anderem durch eine Erweiterung des Programms um junge, populäre Sportarten - dagegen lässt sich ernsthaft kaum argumentieren. Aber:
"Ich würde mir einfach wünschen, dass wenn so ein mächtiges Konstrukt wie das Internationale Olympische Komitee so 'ne Sportart für sich entdeckt, dass man dann ganzheitlich an so 'nen Sport rangeht und den Sport auch ganzheitlicher unterstützt als das aktuell der Fall ist. Wenn das passiert, dann können alle Seiten davon profitieren", sagt Alexander Schwan, der in seiner Freizeit nach wie vor gern auf Skate- und Snowboard steigt.
Statt purer Vereinnahmung von Trendsportarten zum Nutzen von Olympia plädiert er für eine großzügige Basisförderung: "Es gibt noch ganz viele Skatehallen in Deutschland, die alle am Existenzminimum schrauben und keine Förderung haben, weil sie durch das Lokale nicht für Sponsoren interessant sind. Da muss im Endeffekt die Förderung auch ansetzen, um die Kultur zu befeuern."
Ende Oktober wurde in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf Deutschlands größter Skatepark eröffnet. Ein Paradies für Skater und BMX-Fahrer auf einer Fläche von 3.800 Quadratmeter, verziert mit Graffiti der Jugendlichen, die diese Anlage jetzt nutzen. Hans-Jürgen Kuhn wünscht sich, dass dieses Beispiel Schule macht.
"Das erhoffen wir uns natürlich auch in anderen Städten, und werden deswegen auch gar nicht müde zu sagen: Wir sind eine olympische Sportart, jetzt tut was für uns und baut uns schöne Parks, auf denen man auch trainieren kann. Denn Beton ist langlebig, der bleibt, auch wenn nach Tokio nix mehr an Förderung kommt. Dann haben wir halt in Deutschland in einigen Städten schöne skatebare Anlagen und die bleiben der Szene erhalten. Da würden wir uns dann keine Sorgen machen."