Skepsis gegenüber EU-Beitritt der Türkei

Klaus Hänsch im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Der Europa-Parlamentarier Klaus Hänsch rechnet in den nächsten zehn Jahren nicht mit einem Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Er habe Zweifel, ob die Ankara überhaupt willens sei, die Bedingungen der EU für eine Mitgliedschaft zu erfüllen.
Hanns Ostermann: Seit dreieinhalb Jahren wird über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union verhandelt, Fortschritte allerdings sind dabei kaum zu beobachten. Das gilt vor allem für den Umgang mit Minderheiten. Auch wenn es seit Kurzem zum Beispiel in Anatolien eine Fernsehsendung in kurdischer Sprache gibt, in zahlreichen Fragen bleibt Ankara hinter den Anforderungen zurück. Das dürfte sich auch heute in den Diskussionen im EU-Parlament widerspiegeln, da sind die Beitrittsverhandlungen ein Tagesordnungspunkt. Klaus Hänsch sitzt für die Sozialdemokraten in Straßburg, er war früher Präsident des Europäischen Parlaments und ist jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Hänsch!

Klaus Hänsch: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Wie groß ist bei Ihnen die Enttäuschung darüber, dass Ankara meilenweit davon entfernt ist, die politischen Vorbedingungen eines EU-Beitritts zu erfüllen?

Hänsch: Die Enttäuschung ist nicht wirklich groß. Ich habe von Beginn an nicht erwartet, dass Ankara in der Lage ist – vom Willen will ich nicht reden im Augenblick –, die Bedingungen in einer kurzen, in der notwendig kurzen Zeit zu erfüllen. Also ich bin immer davon ausgegangen, dass, wenn es überhaupt zu einem Beitritt der Türkei zur Europäischen Union kommt, dies ein sehr langer Prozess ist. Nicht nur ein sehr langer Verhandlungsprozess, das ohnehin, sondern auch ein sehr langer Reformprozess in der Türkei.

Ostermann: Über das Wollen Ankaras wollten Sie nicht reden. Ist es dann noch komplizierter?

Hänsch: Ich glaube, dass das noch komplizierter ist. Die innenpolitische Situation in der Türkei, im Augenblick jedenfalls, lässt begründete Zweifel zu, ob die Türkei überhaupt noch willens ist, wichtige Bedingungen der Europäischen Union für die Mitgliedschaft zu erfüllen. Das gilt zum Beispiel für die im Augenblick stattfindende Auseinandersetzung mit den Medien und der Presse in der Türkei.

Ostermann: Also die Meinungsfreiheit ist das eine, die Religionsfreiheit das andere, und dann geht es ja auch noch um die Reformen von Staat und Justiz. Sehen Sie überhaupt in irgendeinem Bereich den Ansatz von Fortschritten?

Hänsch: Es hat schon Ansätze gegeben für Fortschritte, das muss man fairerweise sagen. Das gilt für die Rechte bestimmter Minderheiten, also zumindest kann es jetzt kurdische Fernsehsendungen und kurdische Radiosendungen geben, das ist so ein Fortschritt. Es gibt auch ein stärkeres Bemühen türkischer Behörden um Bekämpfung von Korruption und Herstellung von rechtsstaatlichen Verhältnissen. Also es gibt Fortschritte, die aber weit hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre, um Beitrittsverhandlungen erfolgreich weiterzuführen.

Ostermann: Für die CDU und ihr Programm, was die Europawahlen betrifft, ist klar, die Erweiterung der Union auf 27 Staaten ist kompliziert genug. Wir brauchen jetzt eine Pause, eine Phase der Konsolidierung. Wie breit ist hier der Konsens im Europaparlament? Oder verfolgen die Sozialdemokraten da eine andere Strategie?

Hänsch: Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sind sich jetzt klarer, als das vielleicht noch vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen ist, dass der Prozess, der Verhandlungsprozess mit der Türkei sehr viel länger dauern wird, als das vor zwei oder drei Jahren noch angenommen worden ist, jedenfalls von vielen der Kolleginnen und Kollegen. Ich bin mit Ihnen und auch der Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen in der sozialistischen Fraktion der Meinung, dass die Europäische Union jetzt dringend eine Phase der Konsolidierung braucht, egal ob das nun die CDU in Deutschland auch auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es ist völlig klar, nach dem großen Schritt der Osterweiterung der Europäischen Union muss es jetzt eine Phase der Konsolidierung geben. Aber das spricht ja nicht grundsätzlich gegen die Türkei, sondern wir wissen alle, dass in der nächsten Dekade die Türkei nicht beitreten wird, weil das, was sie an Reformen machen muss, nicht greifen wird und weil auch die Europäische Union nicht so weit ist, in absehbarer Zeit die Türkei aufnehmen zu können.

Ostermann: Was sich viele angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise ja auch fragen: Kann sich die Europäische Union einen Beitritt überhaupt finanziell leisten? Wenn allein für 2011 Finanzhilfen – irgendwo habe ich die Zahl gelesen – von 780 Millionen geplant sind, dann übersteigt das doch wirklich auch die finanziellen Möglichkeiten.

Hänsch: Das sind ja Vorbeitrittshilfen, die eigentlichen Kosten werden dann entstehen, wenn die Türkei Mitglied ist, wie gesagt, in zehn oder 15 Jahren. Ich glaube auch nicht, dass die Türkei zu den Bedingungen der gegenwärtig geltenden Finanzordnung und Finanzvorausschau der Europäischen Union überhaupt beitreten kann, da werden Sonderregelungen gefunden werden müssen, wenn es überhaupt so weit kommt.

Ostermann: Klaus Hänsch war das, der frühere Präsident des Europäischen Parlaments. Herr Hänsch, danke Ihnen für das Gespräch.

Hänsch: Ich danke auch, Herr Ostermann!


Das Interview mit Klaus Hänsch können Sie bis zum 11. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio