Skeptischer Blick auf den "Libertador"
Viele Regierungen Lateinamerikas berufen sich explizit auf das Erbe des Revolutionärs und Amerikabefreiers Simón Bolívar (1783 - 1830). Norbert Rehrmann, Professor an der Uni Dresden, unterzieht die ideologischen Grundlagen Bolívars einer kritischen Würdigung. Gleichzeitig ist das Buch die klassische, elegant geschriebene Biografie einer charismatischen Persönlichkeit.
Präsident Hugo Chavez hat seinen Staat offiziell zur "Bolivarischen Republik Venezuela" gemacht. Der "Befreier Lateinamerikas", Simón Bolívar, wurde so zur Galionsfigur eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Aber taugt der "Libertador", dieser Kämpfer und Stratege, Rhetoriker und Theoretiker, Großgrundbesitzer und Sklavenbefreier tatsächlich als Vorbild für eine dezidiert linke Bewegung?
Das ist die Kernfrage, um die Norbert Rehrmanns Bolívar-Biografie kreist. Rehrmann, Professor an der Uni Dresden und Verfasser einer "Geschichte Lateinamerikas", nimmt sich vor allem die Mythen und Legenden vor, die über den "Libertador" im Umlauf waren und sind.
Bolívar, je nach Weltanschauung Messias, Napoleon oder Washington des südamerikanischen Kontinents, wurde 1783 in Caracas/Venezuela geboren und genoss alle Privilegien eines Angehörigen der besitzenden Kreolenkaste. Er reiste früh nach Europa, kam mit den Schriften der Aufklärung und der französischen Revolution in Berührung und entflammte für Napoleon. Im Jahr 1805 soll er auf dem Monte Sacro in Rom auf Knien den Schwur getan haben, Lateinamerika von der spanischen Kolonialherrschaft zu befreien.
Rehrmann ist nicht überzeugt, dass es diesen Schwur tatsächlich gegeben hat - er ist ein äußerst skeptischer Biograf. Sehr unpathetisch, manchmal sogar etwas flapsig, referiert er die politischen Fakten und Konstellationen, die Bolívars Befreiungskampf in Venezuela, Kolumbien und Peru begleiteten.
Und die waren wenig erbaulich: Nach der ersten Unabhängigkeitserklärung von 1811 waren die dortigen Kreolen vor allem daran interessiert, ihre Macht und ihren Besitz zu erhalten und die "ethnischen und sozialen Unterschichten" davon auszuschließen. Lokale Caudillos kämpften um ihren Einfluss, die schwarzen Sklaven, Indios und Mestizen rebellierten.
Bolívar versuchte nach äußerst grausam geführten Kämpfen und fragwürdigen Siegen einen autoritären Ständestaat durchzusetzen, eine Art lateinamerikanisches Imperium, zentralistisch regiert, mit ihm selbst an der Spitze.
Es ist bekannt, dass ihm das nicht gelang: Bei seinem Tod 1830 war ganz Lateinamerika unabhängig, aber uneins, zerstritten und in viele Staaten zerfallen.
Rehrmann untersucht, gestützt auf Bolívars zahlreiche Schriften und Reden sowie auf biografische Texte unterschiedlicher Herkunft und politischer Couleur, vor allem die politischen Funktionen des "Libertador". Er kommt zu dem Schluss, dass er - Republikaner, aber kein Demokrat – als Befreier für den Großteil der Bevölkerung dysfunktional war. Das ging so weit, dass gegen Ende seines Lebens nicht nur Nationalisten und Unterschichten, sondern auch die Liberalen gegen ihn standen.
Die Krankheit der lateinamerikanischen Staaten - die unbeweglichen und dünkelhaften Oligarchien, die immanente Korruption und notorische Hinwendung zu autokratischen Herrschern - mag man in dieser Befreiungsgeschichte gespiegelt sehen.
Ein Viertel von Rehrmanns Buch beschäftigt sich mit Bolìvar post mortem: seinem so viel längeren Leben als Legende. Die setzt sich in seinem selbsternannten Erben Hugo Chavez fort, aber das kann man inzwischen in den Zeitungen nachlesen.
Rezensiert von Katharina Döbler
Norbert Rehrman: Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
240 Seiten, 19,90 Euro
Das ist die Kernfrage, um die Norbert Rehrmanns Bolívar-Biografie kreist. Rehrmann, Professor an der Uni Dresden und Verfasser einer "Geschichte Lateinamerikas", nimmt sich vor allem die Mythen und Legenden vor, die über den "Libertador" im Umlauf waren und sind.
Bolívar, je nach Weltanschauung Messias, Napoleon oder Washington des südamerikanischen Kontinents, wurde 1783 in Caracas/Venezuela geboren und genoss alle Privilegien eines Angehörigen der besitzenden Kreolenkaste. Er reiste früh nach Europa, kam mit den Schriften der Aufklärung und der französischen Revolution in Berührung und entflammte für Napoleon. Im Jahr 1805 soll er auf dem Monte Sacro in Rom auf Knien den Schwur getan haben, Lateinamerika von der spanischen Kolonialherrschaft zu befreien.
Rehrmann ist nicht überzeugt, dass es diesen Schwur tatsächlich gegeben hat - er ist ein äußerst skeptischer Biograf. Sehr unpathetisch, manchmal sogar etwas flapsig, referiert er die politischen Fakten und Konstellationen, die Bolívars Befreiungskampf in Venezuela, Kolumbien und Peru begleiteten.
Und die waren wenig erbaulich: Nach der ersten Unabhängigkeitserklärung von 1811 waren die dortigen Kreolen vor allem daran interessiert, ihre Macht und ihren Besitz zu erhalten und die "ethnischen und sozialen Unterschichten" davon auszuschließen. Lokale Caudillos kämpften um ihren Einfluss, die schwarzen Sklaven, Indios und Mestizen rebellierten.
Bolívar versuchte nach äußerst grausam geführten Kämpfen und fragwürdigen Siegen einen autoritären Ständestaat durchzusetzen, eine Art lateinamerikanisches Imperium, zentralistisch regiert, mit ihm selbst an der Spitze.
Es ist bekannt, dass ihm das nicht gelang: Bei seinem Tod 1830 war ganz Lateinamerika unabhängig, aber uneins, zerstritten und in viele Staaten zerfallen.
Rehrmann untersucht, gestützt auf Bolívars zahlreiche Schriften und Reden sowie auf biografische Texte unterschiedlicher Herkunft und politischer Couleur, vor allem die politischen Funktionen des "Libertador". Er kommt zu dem Schluss, dass er - Republikaner, aber kein Demokrat – als Befreier für den Großteil der Bevölkerung dysfunktional war. Das ging so weit, dass gegen Ende seines Lebens nicht nur Nationalisten und Unterschichten, sondern auch die Liberalen gegen ihn standen.
Die Krankheit der lateinamerikanischen Staaten - die unbeweglichen und dünkelhaften Oligarchien, die immanente Korruption und notorische Hinwendung zu autokratischen Herrschern - mag man in dieser Befreiungsgeschichte gespiegelt sehen.
Ein Viertel von Rehrmanns Buch beschäftigt sich mit Bolìvar post mortem: seinem so viel längeren Leben als Legende. Die setzt sich in seinem selbsternannten Erben Hugo Chavez fort, aber das kann man inzwischen in den Zeitungen nachlesen.
Rezensiert von Katharina Döbler
Norbert Rehrman: Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
240 Seiten, 19,90 Euro