Skispringen an der Ostsee

Die nördlichste Schanze der DDR

05:31 Minuten
Bei der Vierschanzentournee standen 1984/1985 GARMISCH Jens Weissflog (re) und Klaus Ostwald (li, DDR) auf dem Treppchen.
Um Vorbildern wie Jens Weißflog nachzueifern, entstand sogar in Anklam an der Ostsee eine Skischanze. © imago sportfotodienst
Von Knut Benzner |
Audio herunterladen
Die DDR war Sportnation. Das Ziel: Die Überlegenheit des Sozialismus beweisen, sommers wie winters. Im Skispringen war die DDR führend - und brachte Spitzenathleten wie Jens Weißflog hervor. In Anklam stand die nördlichste deutsche Schanze.
"Hm, ja", heißt es im Anklamer Tourismusbüro. "Ich müsste schauen, ahm." Nichts, kein Anhaltspunkt, kein Anzeichen, nicht ein Absatz.
Ab ins Museum. "Kein Bildmaterial zur Schanze, im Bildarchiv gibt´s da was, aber nicht in der Ausstellung. Ja, ich bin hier der Leiter, Dr. Wilfried Hornburg, dieses Museums für Stadtgeschichte."
Eine ältere Damen, die weiß was: "Ja, die war bei´n alten Sportplatz. Dann ha´m die die später abgerissen, weil´s ja nicht mehr genutzt wurde. Wir ha´m früher als Kinder darauf rumjeturnt."
Der berühmteste Sohn Anklams? "Otto Lilienthal, der Pionier der Flugtechnik, gut bekannt. Die wesentlichen Kindheitstage hat er hier in Anklam verbracht", sagt Peter Busse, der Leiter des Lilienthalmuseums. Und was hatte der, Lilienthal, gesagt? "Der freie, unbeschränkte Flug des Menschen würde uns den ewigen Frieden verschaffen."
"Det war der Auslauf, vonner Schanze. Diese Gebäude haben hier nicht gestanden. Hier war `ne große Sandkuhle. Der Schanzentisch, in der Höhe hier, und denn sind wir hier reinjesprungen." Und nachts mit Fackeln. Siegfried Hannig, 67, und Jürgen Zelm, ebenfalls 67, beide gebürtige Anklamer, beide seit Jahren befreundet, beide seit langem in Neubrandenburg.

Eine Schanze Marke Eigenbau

Die Schanze? Eigenbau, mit Holz belegt, Leitern, Stahl, entworfen und entwickelt von Alfred Hannig, Siegfried Hannigs Vater. "Mein Vater war ein Unikum in Anklam, der hat so viel sportliche Aktivitäten durchgezogen - der Sportvater von Anklam."
Alfred Hannig, früh verstorben, 1981, war Sportlehrer, und brachte den Kindern Langlauf bei, Rollschuhschnelllauf - und den Sprung von jener Schanze.
"Die nördlichste Schanze in der damaligen DDR." Und Höhenmäßig? "Auch die niedrigste, so `ne Schanze gab´s nirgendwo."
Die beiden, Hannig und Zelm, sprangen. "Der Turm, der Aufbauturm, würd´ ich sagen, war zehn Meter. Ne? 13, 14 Meter", weiß Zelm. Der Anlauf? "Ja, der war 20 Meter, höchstens, 20 Meter, 25 Meter höchstens."
"Wir waren letztendlich die letzte Generation, die da runter gedüst is´. Na, hier sind wir gesprungen 20, 21 Meter. Mehr ließ die Schanze auch nicht zu, die Schanze hatte Teilweise im Sommer sogar Matten." Günstig geholt aus Zella-Mehlis in Thüringen, merkt Hannig an. Wenn kein Schnee war, kam der auch aus Thüringen, in Waggons.
Spezial-Ski? Drei Paar. Seine hat Zelms noch, die anderen sprangen auf normalen Skiern. "Ja, ich hab´ noch meine Sprung-Ski aus den 60er-Jahren zu Hause im Keller." Das Stadtmuseum ist interessiert. "Ja, gerne."
Irgendwann war die Zeit der Anklamer Schanze vorbei. "Zirka '71, '72; baufällig war sie noch nich´, man konnte noch springen, aber es ging nich´ mehr."

Erste Anklamer Schanze stand auf dem Friedhof

"Die ersten Jahre sind wir im Auslauf noch hundert Meter bis zur damaligen Tankstelle gefahren. Dann hat die Post Garagen gebaut. Über einen Gegenhang auf das Dach der Garagen gesprungen, auf Strohballen rauf. Und dann, in der letzten Phase, `n Gegenhang angeschüppt, dann noch Mal 20, 30 Meter ausgefahren sind."
Die erste Anklamer Schanze stand auf dem Friedhof, die zweite auf dem Turnplatz und die letzte, die größte, am Stadion. Für die DDR sprang von den beiden keiner, Dieter Hannig, Siegfried Hannigs Bruder, war in der B-Nationalmannschaft, ein paar weitere schafften es im Eisschnelllauf aus Anklam bis an die Spitze.
Der Springer auf dem Bild im Skisprungschanzen-Archiv? "Det könnte Seppl gewesen sein." Der Vater. "So `ne Figur, die Hände nach vorne, gibt´s heute nich´ mehr."
Siegfried Hannig war leichter als Jürgen Zelm. "Heute ooch, heute auch noch." Somit sprang Hannig weiter.
Seinem Vater wurde immerhin die Ehre zuteil, dass eine Rollsportanlage nach ihm benannt wurde. "Ja, das ist die Rollsportanlage hier, oder Mehrzwecksportanlage Alfred Hannig - '71, '72 gebaut. Deutsche Meisterschaften im Speedskating - wird sich Seppl Hannig sehr freuen drüben."
Mehr zum Thema