"Er ist in der Luft, breites V!!!"
09:17 Minuten
Mitte der 80er-Jahre begann beim Skisprung eine Revolution: Ein schwedischer Sportler sprang erstmals statt im Parallel-, im Froschstil – später V-Stil genannt. Auch Jens Weißflog musste umstellen, und schaffte das, und wie! Die Skilegende erinnert sich.
Jetzt springen wir mal direkt in den Schnee, landen idealerweise mit formvollendetem Telemark, die Skispring-Freunde sind sofort ganz Ohr: Denn auch beim Skispringen gibt es eine Sache, die absoluter Schnee von gestern ist. Bis Mitte der 80er-Jahre führten die Springer ihre Ski nach dem Absprung parallel nebeneinander. Doch dann kam jemand, der etwas ganz Neues versuchte, erinnert sich Skilegende Jens Weißflog. Er sprang unter zwei deutschen Flaggen, vier Mal gewann er die Vier-Schanzen-Tournee, zwei Mal Olympia.
"Mitte bis Ende der 80er-Jahre kam ein gewisser Jan Boklöv, ein schwedischer Skispringer, mit einer völlig anderen Art des Skisprungs in den Weltcup. Er wurde aber am Anfang aufgrund mangelnder Leistung als zweiter Eddie the Eagle bezeichnet. Und zweiter Eddie the Eagle ist nicht besser als der erste und das zeigt eigentlich, das Jan Boklöv mit seinem damaligen Froschstil, der dann in den V-Stil umgewandet wurde, erstmal nicht erfolgreich war", sagt Jens Weißflog. "Aber innerhalb von zwei Jahren hat er sich vom absoluten Mittelklasse-Springer zum Weltklassespringer entwickelt. Also musste ja was an dem Stil dran sein, der zwar komisch aussah, aber irgendwo wahrscheinlich doch effektiv war."
Bis 1991 gewannen vor allem die Parallelspringer
Untersuchungen im Windkanal kamen zu dem Ergebnis, dass ein optimaler V-Sprung tatsächlich bis zu 15 Meter mehr Weite bringen kann. Doch es dauerte dann noch ein bisschen: 1989 ging ein Weltcup-Sieg an Boklöv, aber im Wesentlichen gab es die Medaillen bis 1991 immer noch für die Parallelspringer –, auch für Weißflog. Doch dann kam zum neuen Sprung-Stil noch eine Material-Weiterentwicklung.
"Beides zugleich hat quasi dann den V-Stil auf die Überholspur gebracht, und wer damals gesagt hätte: 'In zwei Jahren hast du im Parallelstil keine Chance mehr' – der hätte die Glaskugel gehabt, aber es war dann so. Dass man quasi vom absolute Weltklasse Springer – 1991 hab ich die Vierschanzentournee zum dritten Mal gewonnen, zwei WM-Medaillen – dann plötzlich sieben Monate später sich im Mittelfeld wiedergefunden hat. Und das zeigt natürlich, wie schnelllebig die Zeit war und man dann ja schon mal leistungsmäßig zum 'Schnee von gestern' gehörte und wir dann natürlich versuchen mussten, so schnell wie möglich umzustellen."
Weißflog war in beiden Sprungarten erfolgreich. Sven Hannawald hat diese Umstellung von Jens Weißflog auf eine andere Stilart als dessen "größten Sieg" bezeichnet.
"Na gut, weil ein Großteil der Weltspitze ist an der Umstellung gescheitert. Und Namen wie Matti Nykänen zum Beispiel, herausragender Springer der 80er-Jahre bis Anfang der 90er-Jahre, hat sich nicht umgestellt oder hat es nicht geschafft, sich umzustellen. Nebenher gab es noch ein paar andere, die das nicht geschafft haben. Und quasi in beiden Stilarten erfolgreich zu sein, war 'mein Pluspunkt', könnte man sagen."
"Olympiasieger ist Jens Weißflog, jawooohl!"
Bei den Olympischen Winterspielen im Jahr 1994 in Lillehammer war Jens Weißflog als vorletzter Springer an der Reihe. Hier der Live-Kommentar des Reporters von damals:
"Jetzt hoffen wir auf den Sprung, er ist in der Luft, breites V!!! Und da liegt er drauf und da zieht er weit hinunter, weit hinunter, Riesen-Satz von Jens Weißflog und die Arme sind oben und Silber ist es auf alle Fälle. … Oh, der Wind ist schlecht, der Wind ist schlecht, jetzt muss Bredesen zeigen was er drauf hat, ob er wirklich so ein Weltklasse-Mann ist, dass er auch da groß gewinnen kann. Er ist am Hang und er ist weit aber nicht weit genug. … Und jetzt müssen wir aufpassen, 122 Meter, Olympiasieger ist Jens Weißflog, jawooohl!"
Seit 23 Jahren ist der ehemalige Skispringer Jens Weißflog jetzt schon Hotelier. Erst hingen seine Skier noch über der Eingangstür – doch nach einem Umbau blieb dafür kein Platz mehr.
"So ist quasi das ganze Leben", überlegt Jens Weißflog. "Es verändert sich so viel und somit ist eben manches 'Schnee von gestern'."