Das Ende des Alpenplans?
Brauchen wir mehr Skilifte in den deutschen Alpen? Das meint offenbar die bayerische Staatsregierung und hat vor Kurzem den "Alpenplan" geändert, der vor einer Übererschließung der Alpen schützt. Das stößt bei vielen auf Missfallen - auch bei CSU-Mitgliedern.
Blauer Himmel. Der Schnee glitzert. Auf dem Parkplatz der Grasgehren-Lifte drängen sich Autos aus ganz Deutschland. Skifahrer wedeln in quietschbunten Anzügen die Piste herunter, die Lifte surren ununterbrochen. Ein Wintertag am Riedberger Horn, wie er in den letzten Jahren selten war. Fünf Schlepplifte ziehen die Urlauber hier auf fast 1700 Meter bis kurz vor den Gipfel hoch. Bis 2400 Personen in der Stunde.
Jetzt noch einen Lift über den Gipfel hinüber zur Nachbargemeinde Balderschwang. Seit über zwanzig Jahren kämpfen die Liftbetreiber und Politiker vor Ort für eine Skischaukel.
Verstoß gegen das Bodenschutzprotokoll?
Henning Werth schnallt sich seine Tourenski unter. Der Schutzgebietsbetreuer Allgäuer Hochalpen vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern hat ein Fernglas im Rucksack, eine Kamera und GPS-Gerät. Wie fast jede Woche schaut er nach den Birkhühnern, die am Riedberger Horn leben:
"Ich kann das ganze Gebaren nicht nachvollziehen. Denn wir haben hier den Fall, dass internationales und nationales Recht gebrochen werden könnte mit Realisierung der Verbindungsbahn. Da wird gegen das Bodenschutzprotokoll der Alpenkonvention verstoßen, da wird Artenschutzrecht missachtet: Hier sind es vor allem die gefährdeten Birkhühner, die in diesem Gebiet noch vorkommen."
Sagt er und stapft mit den Fellen unter den Skiern los. Gleich nach Vogelschützer Werth schnallen sich Gäste aus Obermaiselstein ihre Schneeschuhe an die Füße. Die geführte Tour wird vom Tourismusverband angeboten. "Entdecken Sie den Zauber von Schneeschuhwanderungen um die Grasgehrenhütte im Allgäu", heißt es auf der Webseite der Skihütte. Nachhaltiger Tourismus – immer häufiger fällt dieses Schlagwort in den bayerischen Tourismusorten.
Nachhaltiger Tourismus ja, aber mit mehr Komfort
Die Gäste erwarteten aber trotz aller Nachhaltigkeit ein Mehr an Komfort, meint Peter Stehle, Bürgermeister von Obermaiselstein unten im Rathaus:
"Wir erhoffen uns eine Qualitätssteigerung, einfach hin zu der Qualität, die man heute von einem Skigebiet erwartet. Wenn Sie Grasgehren oben anschauen, wir haben 50 Jahre alte Schlepplifte, und eine Modernisierung im Gebiet hängt natürlich schon mit dieser Anbindung ins Tal zusammen, weil wir an der höchsten Passtrasse Deutschlands liegen. Da haben wir im Winter 25 Tage, wo Schneekettenpflicht ist, und dann kommt da kein Mensch hoch."
Die Skischaukel als Chance für die Dörfer
"Ja, also, ich sehe das schon positiv, dass man was machen will."
Der junge Mann kommt gerade aus dem Rathaus, er wohnt in Obermaiselstein und fährt gern nach Feierabend Snowboard:
"Jetzt hat man halt die einmalige Chance, und die muss man für unsere Dörfer nutzen."
Die Chance Skischaukel. Eine ältere Frau mit Wolltuch um die Schultern erzählt von ihrem Mann, der da oben am Lift gearbeitet hätte und nicht mehr an den Bau glaubte:
"Ich meine, ich bin eine alte Frau, ich gehe nicht mehr Skifahren, aber ich würde es der Gemeinde vergönnen irgendwie. Man kann ja nicht immer nur im Kuhstall sitzen mit nur einer Kuh, so geht das heute nicht mehr."
Zwei kleine Gemeinden hebeln ein Landesgesetz aus
Seit am 9. November im bayerischen Landtag das LEP, Landesentwicklungsprogramm, und mit ihm der Alpenplan von der CSU-Mehrheit und gegen alle Stimmen der Opposition geändert wurde, herrscht so etwas wie Schockstarre über dem Land:
Die einen, vor allem Naturschützer, die immer noch nicht glauben wollen, dass tatsächlich der Alpenplan geändert wurde. Auf der anderen Seite die Gemeinden, die jahrzehntelang ihre Gewerbegebiete, Strassen, Wohngebiete rund um die Schutzzonen gebaut haben und nun unsicher sind, warum zwei kleine Gemeinden mit knapp 1000 Wählern ein bayernweit geltendes Gesetz aushebeln konnten.
"Es war bisher niemand so verrückt, den Alpenplan anzufassen. Ich glaube, da sind nicht nur die Naturschützer derzeit etwas verdattert, sondern auch die Antragsteller müssen sich neu orientieren. Denn sowas hat es noch nie gegeben."
Michael Finger schaut von seinem Haus in Oberstdorf direkt zum Riedberger Horn. Der "südlichste Leuchtturm der Naturschutzverbände", wie sich das ÖDP- und BUND-Naturschutz-Mitglied selbst nennt, organisierte Proteste gegen die Gesetzesänderung, mobilisierte Bürger vor Ort. Finger gehört nicht zu den Ultras, er hält Anteile an der schneekanonengespickten Nebelhorn AG - weil er mitreden will:
"Also, man weiß gar nicht, wie man damit umgehen soll, wenn ich mit Bahnbetreibern spreche, die sagen: Ja, da müssen wir erstmal gucken. Was wollen die damit bewirken?"
Das Thema droht die CSU zu spalten
Die CSU habe sich in eine Sackgasse manövriert, meint der frühere passionierte Skifahrer. Obermaiselstein und Balderschwang liegen im Wahlkreis Oberallgäu von Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag. Irgendwann vor Jahren habe die CSU den Bürgermeistern von Obermaiselstein und Balderschwang versprochen, dass der Lift kommt. Selbst Ministerpräsident Horst Seehofer reiste ins Allgäu, hörte Gegnern und Befürwortern zu, regte ein Ratsbegehren an. Nur: Ein Gutachten des Landesamtes für Umwelt, dem bayerischen CSU-Umweltministerium unterstellt, kam zum Schluss, dass die Skigebietserweiterung nicht zulässig ist.
Das Thema droht nun die CSU zu spalten, ausgerechnet im Landtagswahljahr, noch mehr als die Querelen um die Nachfolge des Ministerpräsidenten und die neue Doppelspitze, meint Leopold Herz, Sprecher für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Freien Wähler:
"Die Umweltgruppe der CSU unter Herrn Göppel aus Ansbach, Bundestagsmitglied, hat sich jetzt gemeldet und ist sehr dagegen. Das wird ein Stück die Pläne weiter verzögern und die Situation verändern."
Ein Geschenk für die Opposition?
"Also, es gab ja viele verschiedene Projekte, die in der Laufzeit des Alpenplanes bisher immer wieder versucht wurden und nicht zum Zuge kamen. Das ging von einer Seilbahn auf den Watzmann über ein Skigebiet am Geigelstein im Chiemgau, das ist wirklich ein ganz toller Blumenberg."
SPD-Politiker Florian von Brunn ist noch immer konsterniert. Die Änderung des Alpenplanes durch die CSU-Mehrheit – ein besseres Geschenk hätte die Staatsregierung den Oppositionsparteien zur anstehenden Landtagswahl im September 2018 gar nicht machen können. Die Umwelt steht bei bayerischen Bürgern noch vor Sicherheit und Migrationsfragen an erster Stelle, zeigt ein derzeit laufendes Bürgergutachten im Freistaat, wie Bayern im Jahr 2030 aussehen soll.
In den 1970er-Jahren sollten acht Großprojekte gebaut werden, die nur durch den Alpenplan verhindert wurden: eine Seilbahn am Watzmann an Königssee, ein Skigebiet an der Rotwand bei Schliersee, am Sonntagshorn bei Ruhpolding, am Geigelstein im Chiemgau, am Koblat bei Oberstdorf, die Skischaukel am Riedberger Horn, praktisch an allen größeren Abhängen in den bayerischen Alpen.
Wanderwege sind wichtiger als ein neuer Lift
Fragt man bei den Bürgermeistern der acht geplanten Projekte nach, ob sie nun die alten Pläne wieder aus den Schubladen holen, dann winkt man dort nur ab.
"Hallo, guten Morgen, grüß Gott."
"Nein, wir werden da keinen Lift mehr bauen. Für uns ist wichtiger, dass man die Wanderwege neu macht."
Josef Loferer, Bürgermeister von Schleching, CSU-Mitglied. Vor seinem Bürofenster erhebt sich der Geigelstein. Bis in die 1990er-Jahre bestanden hier Pläne für Skilifte, in der Gemeinde wurde gestritten, ein Riss ging durch die Bevölkerung. Der Alpenplan? Habe das Tal gerettet, meint Loferer heute:
"Das ist keine gute Entwicklung. Ich muss sagen, wenn es einen triftigen Grund gäbe, dass man aus irgendwelchen Gründen eine Entwicklung bräuchte, die der gesamten Bevölkerung dienen würde, dann hätte ich ja noch Verständnis dafür, aber nicht dass man den Alpenplan ändert, weil man da sagt, da möchte man jetzt ein Skigebiet machen, das in den nächsten Jahren durch die Klimaerwärmung sowieso wegrationalisiert ist. Also, ich muss schon fast vermuten, dass da was anderes dahinter steht."
Seit Juli 2017 gehört Schleching zusammen mit Sachrang zu den Bergsteigerdörfern in den Alpen. Die Gäste nutzen Räder im Sommer, im Winter ist die Langlaufloipe sehr gut besucht und wer unbedingt Alpinski fahren will, fährt ins nahe Tirol. Loferer sieht die CSU-Basis langsam, aber unaufhörlich wegbrechen auf dem Land. Wie genau man das aufhalten kann? Zumindest nicht mit einer Änderung ausgerechnet des Alpenplanes:
"Ich glaube nicht, dass man mit so einer Aktion Wählerstimmen gewinnen kann. Ausserdem haben wir eine Umbruchphase, immer weniger Bürger fühlen sich von den Politikern verstanden.
Das größte Problem, was wir haben, wir haben keine Bundesregierung, die gewählten Politiker waren nicht soweit, dass sie irgendwas zusammenbringen konnten, das einzige war die Diätenerhöhung, das kommt ganz schlecht an. Und die CSU wird nicht mit einem Skigebietsszusammenschluss Wahlen gewinnen. Man müsste sich wieder mehr auf die alten Werte zurückbesinnen, um vielleicht Wähler zurückzugewinnen."
Viel Lärm um Nichts?
Im Obermaiselsteiner Rathaus, gut drei Stunden Autofahrt von Schleching entfernt, versteht Bürgermeister Peter Stehle, politisch in einer Einheitsliste organisiert, die Aufregung nicht.
Schuld an der Situation seien die Naturschutzverbände. Die Änderung des Alpenplans sei aufgrund der Proteste der Naturschutzverbände notwendig geworden. Als Gemeinde wollte man nur lokal eine Zielabweichung beantragen, die aber abgelehnt wurde:
"Über was reden wir? Da wird ein kleiner Teil der Zone C in Zone B herabgestuft, aber die Zone B ist ja fast genauso geschützt wie die Zone C, nur dass in der Zone C solche Verkehrsmaßnahmen nicht erlaubt sind. Das ist nur der Unterschied. Und das ist in Zone B nur unter strengen Auflagen erlaubt, und daran werden wir uns halten. Weil ich überzeugt davon bin, dass wir kein Präzedenzfall sind. Wenn sie den ganzen Alpenkamm entlanggehen, dann werden sie keine zwei Gemeinden finden, die diese Fakten aufweisen können."
Für den "Erhalt einer unverfälschten Heimat"
Wird der Lift am Riedberger Horn nun tatsächlich gebaut, könnte das Schule machen: etwa an der Zugspitze, wo ein Tunnel geplant ist, oder am oberösterreichischen Warscheneck - auch dort soll in einem Naturschutzgebiet eine Skischaukel entstehen.
Beim Deutschen Alpenverein DAV schüttelt man nur den Kopf über die Entscheidung der Staatsregierung. Hanspeter Mair, verantwortlich für Hütten, Naturschutz und Raumordnung, vermutet, dass man das bei der CSU mittlerweile auch schon weiß:
"Es ist noch nicht aller Tage Abend, ja? Und die Verbände, die wie wir in der Cipra organisiert sind, wir überlegen uns die weiteren Schritte, wir werden arbeitsteilig arbeiten und werden dementsprechend, wie wir es auf der Hauptversammlung in Siegen getan haben, für die Erhaltung des Alpenplanes und für den Erhalt einer unverfälschten Heimat kämpfen."