Skizzen, Notationen, Partituren
Was passiert auf dem Weg zwischen Konzept und Werk? Hinter dem Titel "Notation. Kalkül und Form in den Künsten" verbirgt sich eine faszinierende Ausstellung, die tiefe Einblicke in den prozessualen Charakter der Kunst gewährt. An den dort versammelten Skizzen, Notationen und Partituren präsentieren sich viele bekannte Künstler von einer ganz neuen, unbekannten Seite.
"Es ist keine Ausstellung, wie Sie jetzt immer mehr sehen. Es sind keine Franzosen, die aus New York kommen, es ist keine, bei der Sie irgendwelche Inkunabeln, die Sie schon tausend Mal gesehen haben, wiedersehen werden, sondern es ist eine Ausstellung, für die Sie sich Zeit nehmen müssen."
Wohl wahr. Als ausgewiesener Medienwissenschaftler ist Kurator Hubertus von Amelunxen stolz, etwas ganz anderes am Berliner Hanseatenweg zeigen zu können. Seine Ausstellung verlässt Glitzer und Glamour und führt schnurstracks in die Werkstatt der Moderne. Es ist ein Blick hinter die Kulissen. Und so versteht es auch Dieter Appelt, Co-Kurator der Ausstellung.
"Ich bin bildender Künstler, und die erste Idee, die ich hatte, war, eine Ausstellung aus diesem Hintergrund zu machen, dass aus der bildenden Kunst plötzlich eine Begegnung stattfindet mit der Musik, mit der Architektur, mit der Skulptur sowieso, mit der reinen Handzeichnung, mit der Partitur der Filmemacher - die natürlich wirklich mit der Musikpartitur sehr viel zu tun haben, weil es natürlich auch ein metrisches System ist.
Man zählt die einzelnen Filmkader, man muss genau berechnen, wie lang ist das Stück, was ist da für eine Zeitspanne zu sehen - genauso wie bei Xenakis, über diese Anreihung von Farben, die zu einem Ton werden. Aber gleichzeitig könnte man denken, das ist ein Paul Klee."
Vor 40 Jahren hatte John Cage schon einmal über die Bedeutung der Partitur für die Kunst nachgedacht.
"Was ist eine Partitur? Ist eine Partitur eine Spielanleitung? Ist eine Partitur eine Grafik? Ist eine Partitur ein Mittel zum Zweck? Ist eine Partitur eine Kommunikation? Das sind Fragen, enorm wichtige Fragen, die von den anderen Künsten leider ignoriert worden sind."
Das soll sich jetzt ändern. Hubertus von Amelunxen stellt die Partitur erneut in den Mittelpunkt. In seiner Ausstellung will er jene Zwischenräume zeigen, in denen die kreative Kraft der Kunstproduktion sichtbar wird. Es geht ihm um die Übersetzbarkeit des Ausdrucks zwischen den einzelnen Medien.
"Wenn wir heute sagen, alle Medien werden zusammengemischt, das ist ein Melting Pot über das binäre Medium oder über den Computer, dann sagen wir hier in der Ausstellung ja und nein, eben auch binär, wenn Sie so wollen. Ja, sie können alle zusammengeführt werden, und an der Kunst liegt es jetzt, die Differenzierung in dieser Zusammenführung zu halten.
Nicht im Kunstwerk, sondern zwischen den Kunstwerken findet die Übersetzung statt, in dem Zwischenraum, denn da ereignet sich das. Nicht in dem geschaffenen Kunstwerk, sondern in dem Schatten - wenn Sie so wollen - oder in dem Licht, in das das Kunstwerk gestellt wird. Das sind die Zwischenräume, und das haben wir, glaube ich, in der Ausstellung - muss ich Ihnen sagen, ich bin sehr froh - ganz gut geschafft."
Gezeigt werden Werke, Partituren und Notationen von weit über 100 Künstlern. Es sind Maler, Choreographen und Komponisten, Theater- und Filmemacher, Schriftsteller und Architekten. Die Ausstellung wird zu einem Doppelspiel: Zwar werden die Künstler entzaubert - schließlich zeigt man einzelne Arbeitsschritte im Produktionsprozess -, doch auf der anderen Seite gewinnen all die Zettel, Schnipsel und Partituren ein ganz wunderbares Eigenleben und eine faszinierende Aura. Das begeistert auch Dieter Appelt.
"Da gibt es eine Partitur, die wie eine Künstlerzeichnung ist, wie eine Zeichnung von einem bildenden Künstler, aber es ist eines der berühmtesten Orgelwerke von Ligeti. Also, das heißt, die Ausstellung ist durchdrungen von schon fertigen Arbeiten, Hinweise auf Arbeiten, die entstanden sind, die umgesetzt wurden, und welche, die darin steckengeblieben sind und die sich aber so emanzipiert haben, dass man sie als Kunstwerke und als großes Meisterwerk ansehen muss."
Die Exponate gestatten einen neuen Blick auf den künstlerischen Prozess. Und in der Gesamtschau ergeben sich unvermutet ganz neue Konstellationen. Exponate, die sich zunächst nichts zu sagen haben, treten in einen Dialog und befördern sich gegenseitig.
"Ich wollte Zonen bilden, wo Musik, Architektur und Künstlerzeichnung und Skulptur sich versammeln, obwohl sie miteinander nichts zu tun haben. Da steigert sich plötzlich so ein Phänomen. Das sehen Sie zum Beispiel bei Mary Wigman: Diese Tanzzeichnung, bevor Sie das lesen, dass das Choreographien sind, denken Sie, das hat ein bildender Künstler gemacht. Es ist tatsächlich durchdrungen von solchen Chiffren, die die Disziplinen gar nicht verraten, wenn man nicht genau weiß, wer das gemacht hat."
Bertholt Brecht filmte eine Theateraufführung und dokumentierte sein eigenes Stück, indem er die Standbilder in ein Album klebte. In der großen Halle trifft der Maler Paul Klee den Philosophen Walter Benjamin, der sein undurchschaubares Passagenwerk auf schmalen Zetteln skizziert hat. Marcel Proust zerschnitt die Korrekturfahnen seiner Prosa, klebte leere Zettel dazwischen und schrieb weiter an seinem Roman.
Die Exponate kommen von überall her, aus Bern und Utrecht, aus Paris und Amerika, doch vor allem wurde das Archiv der Berliner Akademie geplündert. Eine unglaubliche Schatzkammer, gerät Dieter Appelt ins Schwärmen.
"Man kann sich wirklich vertiefen. Und das ist meine Hoffnung, dass man hier rausgeht und plötzlich neue Dinge begriffen hat. Es ist eine Zeitmaschine, es hat sehr viel mit Zeit zu tun. Vielleicht ist das eine Wunderkammer, was wir hier aufbauen, es ist eine Wundermaschine."
Wer etwas Zeit und Neugier mitbringt, wird in dieser Ausstellung reichlich belohnt, denn der Gedanken- und Formenreichtum in den geheimnisvollen Zwischenwelten der Moderne ist unerschöpflich.
Wohl wahr. Als ausgewiesener Medienwissenschaftler ist Kurator Hubertus von Amelunxen stolz, etwas ganz anderes am Berliner Hanseatenweg zeigen zu können. Seine Ausstellung verlässt Glitzer und Glamour und führt schnurstracks in die Werkstatt der Moderne. Es ist ein Blick hinter die Kulissen. Und so versteht es auch Dieter Appelt, Co-Kurator der Ausstellung.
"Ich bin bildender Künstler, und die erste Idee, die ich hatte, war, eine Ausstellung aus diesem Hintergrund zu machen, dass aus der bildenden Kunst plötzlich eine Begegnung stattfindet mit der Musik, mit der Architektur, mit der Skulptur sowieso, mit der reinen Handzeichnung, mit der Partitur der Filmemacher - die natürlich wirklich mit der Musikpartitur sehr viel zu tun haben, weil es natürlich auch ein metrisches System ist.
Man zählt die einzelnen Filmkader, man muss genau berechnen, wie lang ist das Stück, was ist da für eine Zeitspanne zu sehen - genauso wie bei Xenakis, über diese Anreihung von Farben, die zu einem Ton werden. Aber gleichzeitig könnte man denken, das ist ein Paul Klee."
Vor 40 Jahren hatte John Cage schon einmal über die Bedeutung der Partitur für die Kunst nachgedacht.
"Was ist eine Partitur? Ist eine Partitur eine Spielanleitung? Ist eine Partitur eine Grafik? Ist eine Partitur ein Mittel zum Zweck? Ist eine Partitur eine Kommunikation? Das sind Fragen, enorm wichtige Fragen, die von den anderen Künsten leider ignoriert worden sind."
Das soll sich jetzt ändern. Hubertus von Amelunxen stellt die Partitur erneut in den Mittelpunkt. In seiner Ausstellung will er jene Zwischenräume zeigen, in denen die kreative Kraft der Kunstproduktion sichtbar wird. Es geht ihm um die Übersetzbarkeit des Ausdrucks zwischen den einzelnen Medien.
"Wenn wir heute sagen, alle Medien werden zusammengemischt, das ist ein Melting Pot über das binäre Medium oder über den Computer, dann sagen wir hier in der Ausstellung ja und nein, eben auch binär, wenn Sie so wollen. Ja, sie können alle zusammengeführt werden, und an der Kunst liegt es jetzt, die Differenzierung in dieser Zusammenführung zu halten.
Nicht im Kunstwerk, sondern zwischen den Kunstwerken findet die Übersetzung statt, in dem Zwischenraum, denn da ereignet sich das. Nicht in dem geschaffenen Kunstwerk, sondern in dem Schatten - wenn Sie so wollen - oder in dem Licht, in das das Kunstwerk gestellt wird. Das sind die Zwischenräume, und das haben wir, glaube ich, in der Ausstellung - muss ich Ihnen sagen, ich bin sehr froh - ganz gut geschafft."
Gezeigt werden Werke, Partituren und Notationen von weit über 100 Künstlern. Es sind Maler, Choreographen und Komponisten, Theater- und Filmemacher, Schriftsteller und Architekten. Die Ausstellung wird zu einem Doppelspiel: Zwar werden die Künstler entzaubert - schließlich zeigt man einzelne Arbeitsschritte im Produktionsprozess -, doch auf der anderen Seite gewinnen all die Zettel, Schnipsel und Partituren ein ganz wunderbares Eigenleben und eine faszinierende Aura. Das begeistert auch Dieter Appelt.
"Da gibt es eine Partitur, die wie eine Künstlerzeichnung ist, wie eine Zeichnung von einem bildenden Künstler, aber es ist eines der berühmtesten Orgelwerke von Ligeti. Also, das heißt, die Ausstellung ist durchdrungen von schon fertigen Arbeiten, Hinweise auf Arbeiten, die entstanden sind, die umgesetzt wurden, und welche, die darin steckengeblieben sind und die sich aber so emanzipiert haben, dass man sie als Kunstwerke und als großes Meisterwerk ansehen muss."
Die Exponate gestatten einen neuen Blick auf den künstlerischen Prozess. Und in der Gesamtschau ergeben sich unvermutet ganz neue Konstellationen. Exponate, die sich zunächst nichts zu sagen haben, treten in einen Dialog und befördern sich gegenseitig.
"Ich wollte Zonen bilden, wo Musik, Architektur und Künstlerzeichnung und Skulptur sich versammeln, obwohl sie miteinander nichts zu tun haben. Da steigert sich plötzlich so ein Phänomen. Das sehen Sie zum Beispiel bei Mary Wigman: Diese Tanzzeichnung, bevor Sie das lesen, dass das Choreographien sind, denken Sie, das hat ein bildender Künstler gemacht. Es ist tatsächlich durchdrungen von solchen Chiffren, die die Disziplinen gar nicht verraten, wenn man nicht genau weiß, wer das gemacht hat."
Bertholt Brecht filmte eine Theateraufführung und dokumentierte sein eigenes Stück, indem er die Standbilder in ein Album klebte. In der großen Halle trifft der Maler Paul Klee den Philosophen Walter Benjamin, der sein undurchschaubares Passagenwerk auf schmalen Zetteln skizziert hat. Marcel Proust zerschnitt die Korrekturfahnen seiner Prosa, klebte leere Zettel dazwischen und schrieb weiter an seinem Roman.
Die Exponate kommen von überall her, aus Bern und Utrecht, aus Paris und Amerika, doch vor allem wurde das Archiv der Berliner Akademie geplündert. Eine unglaubliche Schatzkammer, gerät Dieter Appelt ins Schwärmen.
"Man kann sich wirklich vertiefen. Und das ist meine Hoffnung, dass man hier rausgeht und plötzlich neue Dinge begriffen hat. Es ist eine Zeitmaschine, es hat sehr viel mit Zeit zu tun. Vielleicht ist das eine Wunderkammer, was wir hier aufbauen, es ist eine Wundermaschine."
Wer etwas Zeit und Neugier mitbringt, wird in dieser Ausstellung reichlich belohnt, denn der Gedanken- und Formenreichtum in den geheimnisvollen Zwischenwelten der Moderne ist unerschöpflich.