Skizziertes Leben in Jerusalem
Guy Delisle hat schon früher mit seinen Comics aus China, Nordkorea und Birma überzeugt. Jetzt hat er seine Erfahrungen in Israel zu Papier gebracht und zeigt wertfrei und ohne Pathos skurrile Einzelheiten aus dem Alltagsleben zwischen Jerusalem und dem Westjordanland.
Guy Delisle ist der Comicreporter, so nimmt man ihn in Deutschland wahr. Seine Bücher "Shenzhen" (2005), "Pjöngjang" (2007) und "Aufzeichnungen aus Birma" (2009) haben ihm diesen Ruf eingebracht, herausragende Reportagen, in denen Guy Delisle von seinen Aufenthalten in China, Nordkorea und Birma erzählt. Delisles genaue, lakonische und leise ironische Berichte vom Alltag in diesen Ländern zeigen deren Gesellschaft und Politik eindringlicher als viele aufgeregte journalistische Arbeiten. Sein neues Buch führt diese Methode weiter, Guy Delisle war ab 2008 ein Jahr in Israel, seine "Aufzeichnungen aus Jerusalem" erzählen wie ein Comic-Tagebuch von diesem Jahr. Beim bedeutendsten europäischen Comicfestival in Angoulême wurde das Buch als bestes Album 2011 ausgezeichnet.
Guy Delisle war als Hausmann und freier Comicautor in Jerusalem, seine Frau hat dort für "Ärzte ohne Grenzen" gearbeitet. Delisle erlebt die Region aus zwei Perspektiven, durch seinen Alltag mit zwei Kindern und durch Streifzüge in und um Jerusalem, bei denen er nach Motiven und Bildern sucht. Er ist nicht wie ein klassischer Reporter auf der Jagd nach einer Geschichte, vielmehr finden die Geschichten ihn, in vielen einzelnen Momenten: Er sieht Jogger mit geschulterten Sturmgewehren, für Palästinenser gesperrte Straßen, sturzbetrunkene orthodoxe Juden beim Purimfest. Aus vielen cartoonartigen Szenen setzt sich nach und nach ein facettenreiches Bild von der Lage in Israel zusammen.
Eine Schlüsselszene ist ein Ausflug ins Westjordanland mit "Breaking the Silence", einer Organisation ehemaliger israelischer Soldaten, die ihre Erfahrungen in den besetzten Gebieten weitergeben wollen. Bei einer ihrer Führungen zu jüdischen Siedlungen beobachtet Delisle, wie drei junge Israelis einen Hügel besetzt halten, die erste Landnahme für eine weitere illegale Siedlung. Ein anderes Schlüsselereignis ist die Operation "Gegossenes Blei". Im Dezember 2008 hat die israelische Armee mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen begonnen. Während dort Bomben fallen, beobachtet Delisle konsterniert die ruhigen Straßen von Jerusalem, dabei ist der Krieg nur anderthalb Autostunden entfernt.
Die vielen Absurditäten des Lebens zwischen Israel und Westjordanland sind der rote Faden dieses Comic-Tagebuches, von den jüdischen Speisevorschriften und ihren Auswirkungen auf den Waffeleisverkauf bis zu Schikanen an den Grenzanlagen. Guy Delisle lässt all diese absurden Momente in ruhigen, reduzierten Schwarzweißzeichnungen aufscheinen, sie gehen in Blautöne über, wenn es Nacht wird, andere Farben kommen kaum vor. Die Einfachheit seines episodischen Zeichenstils korrespondiert mit seinem direkten, unvoreingenommenen Blick auf das Leben in Jerusalem. Es geht ihm nicht um eine Anklage oder eine Analyse der Situation in Israel, wie es andere Comicautoren mit ihren Arbeiten versucht haben. Guy Delisle zeigt ohne Pathos und mit poetischem Humor, wie er in diesem Land gelebt hat, das ist die beeindruckende Leistung seiner "Aufzeichnungen aus Jerusalem".
Besprochen von Frank Meyer
Guy Delisle: Aufzeichnungen aus Jerusalem
Aus dem Französischen von Martin Budde
Reprodukt Verlag, Berlin 2012
336 Seiten, 29,00 Euro
Guy Delisle war als Hausmann und freier Comicautor in Jerusalem, seine Frau hat dort für "Ärzte ohne Grenzen" gearbeitet. Delisle erlebt die Region aus zwei Perspektiven, durch seinen Alltag mit zwei Kindern und durch Streifzüge in und um Jerusalem, bei denen er nach Motiven und Bildern sucht. Er ist nicht wie ein klassischer Reporter auf der Jagd nach einer Geschichte, vielmehr finden die Geschichten ihn, in vielen einzelnen Momenten: Er sieht Jogger mit geschulterten Sturmgewehren, für Palästinenser gesperrte Straßen, sturzbetrunkene orthodoxe Juden beim Purimfest. Aus vielen cartoonartigen Szenen setzt sich nach und nach ein facettenreiches Bild von der Lage in Israel zusammen.
Eine Schlüsselszene ist ein Ausflug ins Westjordanland mit "Breaking the Silence", einer Organisation ehemaliger israelischer Soldaten, die ihre Erfahrungen in den besetzten Gebieten weitergeben wollen. Bei einer ihrer Führungen zu jüdischen Siedlungen beobachtet Delisle, wie drei junge Israelis einen Hügel besetzt halten, die erste Landnahme für eine weitere illegale Siedlung. Ein anderes Schlüsselereignis ist die Operation "Gegossenes Blei". Im Dezember 2008 hat die israelische Armee mit Luftangriffen auf den Gaza-Streifen begonnen. Während dort Bomben fallen, beobachtet Delisle konsterniert die ruhigen Straßen von Jerusalem, dabei ist der Krieg nur anderthalb Autostunden entfernt.
Die vielen Absurditäten des Lebens zwischen Israel und Westjordanland sind der rote Faden dieses Comic-Tagebuches, von den jüdischen Speisevorschriften und ihren Auswirkungen auf den Waffeleisverkauf bis zu Schikanen an den Grenzanlagen. Guy Delisle lässt all diese absurden Momente in ruhigen, reduzierten Schwarzweißzeichnungen aufscheinen, sie gehen in Blautöne über, wenn es Nacht wird, andere Farben kommen kaum vor. Die Einfachheit seines episodischen Zeichenstils korrespondiert mit seinem direkten, unvoreingenommenen Blick auf das Leben in Jerusalem. Es geht ihm nicht um eine Anklage oder eine Analyse der Situation in Israel, wie es andere Comicautoren mit ihren Arbeiten versucht haben. Guy Delisle zeigt ohne Pathos und mit poetischem Humor, wie er in diesem Land gelebt hat, das ist die beeindruckende Leistung seiner "Aufzeichnungen aus Jerusalem".
Besprochen von Frank Meyer
Guy Delisle: Aufzeichnungen aus Jerusalem
Aus dem Französischen von Martin Budde
Reprodukt Verlag, Berlin 2012
336 Seiten, 29,00 Euro