Sklaverei

Höchste Zeit für Reparationen

04:35 Minuten
Sklaven arbeiten in einer Zuckerrohrplantage, bewacht von Aufsehern auf Pferden und Hunden.
Gewalt und Diskriminierung infolge der Sklaverei: Die USA sollten für das Unrecht um Vergebung bitten, meint der Historiker Max Paul Friedman. © imago images / United Archives International
Ein Kommentar von Max Paul Friedman |
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Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat jüngst zu Wiedergutmachung für die Sklaverei aufgefordert. Die Proteste in den USA fachen die Debatte zusätzlich an. Der Historiker Max Paul Friedman findet, es sei höchste Zeit für Reparationen.
Immerhin: Lloyd’s of London hat angekündigt, Wiedergutmachung für seine historische Rolle im transatlantischen Sklavenhandel zu leisten. Aus gutem Grund, denn der Versicherungsriese profitierte von Sklavenarbeit in der Karibik.
So versicherte das Unternehmen Sklaventransporte, was dazu führte, dass Schiffskapitäne, denen die Nahrung ausging, verkettete Menschen lebendig in den Ozean warfen, weil die Policen den Tod durch Ertrinken abdeckten, aber nicht den durch Hunger.

Ein blutroter Faden bis zum Mord an George Floyd

Die Regierung der Vereinigten Staaten hingegen bewegt sich nicht: Es gibt keine Entschuldigung und keine Aussicht auf Wiedergutmachung. Dabei stellten Sklaven einst die größte Wohlstandsquelle des Landes dar, mehr als alle Fabriken und Eisenbahnen zusammen. Ein blutroter Faden zieht sich vom Sklavensystem bis zum Mord an George Floyd.
Zur Zeit der Sklaverei war es illegal, einer schwarzen Person das Lesen beizubringen. Heute sind Schulen in schwarzen Vierteln systematisch unterfinanziert. Nach dem Bürgerkrieg wurden befreiten Sklaven 40 Morgen Land und ein Maultier versprochen – bekommen haben sie nichts. Millionen weißer Amerikaner erhielten hingegen 160 Morgen, um sich westlich des Mississippi niederzulassen.
Während schwarze Nachkommen und Angehörige von Sklaven in Armut blieben, zahlte die US-Regierung Renten an die Verwandten weißer Südstaatensoldaten, die den Krieg zur Verteidigung der Sklaverei geführt hatten.

Es gibt eine rassistische Wohlstandslücke

Heute besitzt die durchschnittliche weiße Familie in Amerika zehnmal mehr Vermögen als die durchschnittliche schwarze Familie. Warum? Nach dem Bürgerkrieg schränkten die Black Codes - lokale und bundesstaatliche Gesetze – die freigelassenen Sklaven ein und bestimmten, wer wo leben, arbeiten und reisen konnte – so etwa wie die Apartheid in Südafrika.
Südstaatliche Regelungen und Disziplinmechanismen, bekannt als das Jim-Crow-System, nutzten Gewalt und Gesetz nicht nur, um die Rassentrennung durchzusetzen, sondern um den Zugang zu hochwertiger Bildung und politischer Macht zu blockieren – die Schlüsselelemente für das Gedeihen einer Gemeinschaft.
Gesetze und Regeln, die schwarze Familien daran hinderten, Häuser in weißen Vierteln zu kaufen oder Darlehen von Banken zu bekommen, trugen dazu bei, die rassistische Wohlstandslücke bis ins 21. Jahrhundert aufrechtzuerhalten.

Reparationen könnten heilen

Es ist Zeit für mein Land, um Vergebung zu bitten. Um Vergebung für die Sklaverei und alles, was folgte. Ich weiß, meine Vorfahren wurden damals in einem Schtetl in Litauen geknechtet, aber ich habe mein ganzes Leben lang von weißen Privilegien profitiert, von den guten Schulen über die guten Jobs bis zur guten Behandlung durch die Polizei. Reparationen würden nicht nur anerkennen, dass schwarze Amerikaner das Land gebaut haben, sondern dass das Land sie seitdem dafür bestraft hat.
Deutschland war einst Weltmeister in Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seitdem ist Deutschland Musterschüler in Wiedergutmachung geworden, mit Milliarden für Holocaust-Opfer und Israel, und die Entwicklung eine Kultur des Gedenkens und der Versöhnung. Und das hat, bei allen Problemen, die es gibt und über die wir gerade diskutieren, immerhin dazu geführt, dass ich mich hier sicherer fühle als irgendwo anders in der Welt.
Reparationen könnten heilen. Es geht dabei sowohl um individuelle Zahlungen an Afroamerikaner, die von Sklaven abstammen, als auch um Mittel für Bildungs- oder Gemeinschaftsorganisationen und kleine Unternehmen.
Die Georgetown University in Washington leistet heute schon finanzielle Hilfe an die Nachkommen jener Sklaven, die sie einst gebaut haben. Katholische Nonnen und protestantische Priesterseminare haben, weil ihre Organisationen Sklaven hielten, Stipendien für deren Nachkommen eingerichtet. Ein notwendiger und überfälliger Akt der Buße und Reue. Nostra culpa, nostra maxima culpa!

Max Paul Friedman ist Geschichtsprofessor an der American University in Washington. Im Januar erhielt er den Friedrich-Wilhelm-Bessel-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Derzeit forscht er als Gast am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Sein bekanntestes Buch "Rethinking Anti-Americanism" erschien bei Cambridge University Press.

Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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