Skupelloser Chemiekonzern
John Grishams neuer Roman startet mit dem Sieg der "Guten" gegen die "Bösen": Anwohner haben erfolgreich eine Pestizidfabrik verklagt, die das Grundwasser jahrzehntelang verseucht hat. Doch der Boss der Firma dreht den Spieß um und kauft Richter und Zeugen. Knietief im Klischeesumpf watend, zeichnet John Grisham ein Bild von einer zerrissenen US-Gesellschaft, das bis zur Kenntlichkeit verzerrt ist.
Sagen wir mal so: Ein Sprachkunstwerk ist "Berufung", der neue Roman von John Grisham, sicher nicht. Aber hat das jemand ernstlich erwartet, bei Grishams großem, aber schlichten Dauerthema: Davids Kampf gegen Goliath?
In Bowmore, Mississippi, sterben die Leute wie die Fliegen an Krebs. Keine Frage - eine Pestizid-Fabrik, die zur mächtigen Trudeau-Gruppe gehört, hat jahrzehntelang das Grundwasser vergiftet. Die Fabrik ist inzwischen längst nach Mexiko umgezogen, wo sie noch billiger produzieren kann und noch weniger von Umweltgesetzen belästigt wird.
Denn als Belästigung empfinden die Großen und Mächtigen zunehmend die Justiz. Vor allem, wenn Schadensersatzklagen in astronomischen Höhen erfolgreich sind. Wie im Fall Bowmore - da gewinnen doch glatt die Vertreter der Klage - eine kleine, lokale Anwaltskanzlei ohne finanzielle Ressourcen und schwer idealistisch handelnd - gegen die Riesenkanzlei aus der großen Stadt.
41 Millionen Dollar soll das ganze Schlamassel die Trudeau Gruppe kosten, wenn das Urteil durch das fast automatisch erfolgende Berufungsverfahren bestätigt wird. Damit würde die Aktie in den Keller rauschen, und das Investitionsklima würde sich verschlechtern. Weltuntergang fürs "big business". "Kein Cent für die in Trailern hausenden Provinzler", tobt der fiese Oberboss Carl Trudeau und rüstet zum Gegenschlag.
Wo andere Romane aufhören - mit dem Sieg der Guten gegen die Bösen - fängt Grisham diesmal erst an. Und erklärt uns, wie man sich die Gunst von Justitia kauft. Wie man unbequeme Richter einfach diskreditiert - in vielen amerikanischen Bundesstaaten werden die Richter in ihre Ämter gewählt und müssen von Wählern bestätigt werden -, indem man auf niedrige Instinkte setzt, und wie man ganz einfach große Geldmengen und die Medien einsetzt, um erheblich größere Geldmengen erst zu sparen, und dann zu verdienen, wenn das Recht erst einmal gekauft und gebeugt ist.
Das hört sich für einen Roman etwas spröde an, aber Grishams Buch ist ja auch eher eine Art Sachbuch mit Spielhandlung. Die Reichen sind superreich, haben superdürre, aber supersexy Frauen, sammeln durchgedrehte Kunst von "gequälten argentinischen Genies" und gewinnen am Ende immer.
Die Armen sind schrecklich arm und krank und lieb und nett - außer sie stehen im Dienst der Reichen beziehungsweise fallen auf die Propaganda der Reichen herein - dann sind auch die Armen rechte Hinterwäldler, fies, haben was gegen Schwule, sind für die Todesstrafe und bestehen auf ihren Schusswaffen. Grisham greift bis weit über die Ellenbogen so tief in die Klischeekisten, dass man es manchmal fast nicht glauben mag …
Aber wenn er die USA als politisch zerrissen zeichnet, geteilt in "die Rechte", repräsentiert von religiösen Fundamentalisten, dem "big business", den Banken, den Medien, dem militärisch-industriellen Komplex und den großen Law Firms, den Riesenkanzleien - und in "die Linke", repräsentiert von Lehrern, Gewerkschaftern, Prozessanwälten (also die, die für ihre Mandanten kämpfen und nicht für ihre Profitmaximierung), dann überzeichnet er in seiner ganzen Drastik schon fast wieder bis zur Kenntlichkeit.
Wie gesagt: Als Sprachkunstwerk wollen wir auch diesen Grisham-Roman nicht behandeln. Aber als Versuch, die unschönen Verhältnisse auf den Punkt zu bringen, dem Publikum noch ein paar fiese Tricks mehr vorzuführen und damit nicht nur zu belehren, sondern trotzdem zu unterhalten - denn man will ja wissen, wie es ausgeht, wenn man schon an der Angel hängt. So gesehen kann man "Berufung" ohne Schamesröte und mit gutem Gewissen wegknabbern.
Rezensiert von Thomas Wörtche
John Grisham: Berufung
Roman, Deutsch von von Dr. Bernhard Liesen, Bea Reiter, Kristiana Ruhl und Imke Walsh-Araya
Heyne Verlag, München 2008
464 Seiten, 19,95 Euro
In Bowmore, Mississippi, sterben die Leute wie die Fliegen an Krebs. Keine Frage - eine Pestizid-Fabrik, die zur mächtigen Trudeau-Gruppe gehört, hat jahrzehntelang das Grundwasser vergiftet. Die Fabrik ist inzwischen längst nach Mexiko umgezogen, wo sie noch billiger produzieren kann und noch weniger von Umweltgesetzen belästigt wird.
Denn als Belästigung empfinden die Großen und Mächtigen zunehmend die Justiz. Vor allem, wenn Schadensersatzklagen in astronomischen Höhen erfolgreich sind. Wie im Fall Bowmore - da gewinnen doch glatt die Vertreter der Klage - eine kleine, lokale Anwaltskanzlei ohne finanzielle Ressourcen und schwer idealistisch handelnd - gegen die Riesenkanzlei aus der großen Stadt.
41 Millionen Dollar soll das ganze Schlamassel die Trudeau Gruppe kosten, wenn das Urteil durch das fast automatisch erfolgende Berufungsverfahren bestätigt wird. Damit würde die Aktie in den Keller rauschen, und das Investitionsklima würde sich verschlechtern. Weltuntergang fürs "big business". "Kein Cent für die in Trailern hausenden Provinzler", tobt der fiese Oberboss Carl Trudeau und rüstet zum Gegenschlag.
Wo andere Romane aufhören - mit dem Sieg der Guten gegen die Bösen - fängt Grisham diesmal erst an. Und erklärt uns, wie man sich die Gunst von Justitia kauft. Wie man unbequeme Richter einfach diskreditiert - in vielen amerikanischen Bundesstaaten werden die Richter in ihre Ämter gewählt und müssen von Wählern bestätigt werden -, indem man auf niedrige Instinkte setzt, und wie man ganz einfach große Geldmengen und die Medien einsetzt, um erheblich größere Geldmengen erst zu sparen, und dann zu verdienen, wenn das Recht erst einmal gekauft und gebeugt ist.
Das hört sich für einen Roman etwas spröde an, aber Grishams Buch ist ja auch eher eine Art Sachbuch mit Spielhandlung. Die Reichen sind superreich, haben superdürre, aber supersexy Frauen, sammeln durchgedrehte Kunst von "gequälten argentinischen Genies" und gewinnen am Ende immer.
Die Armen sind schrecklich arm und krank und lieb und nett - außer sie stehen im Dienst der Reichen beziehungsweise fallen auf die Propaganda der Reichen herein - dann sind auch die Armen rechte Hinterwäldler, fies, haben was gegen Schwule, sind für die Todesstrafe und bestehen auf ihren Schusswaffen. Grisham greift bis weit über die Ellenbogen so tief in die Klischeekisten, dass man es manchmal fast nicht glauben mag …
Aber wenn er die USA als politisch zerrissen zeichnet, geteilt in "die Rechte", repräsentiert von religiösen Fundamentalisten, dem "big business", den Banken, den Medien, dem militärisch-industriellen Komplex und den großen Law Firms, den Riesenkanzleien - und in "die Linke", repräsentiert von Lehrern, Gewerkschaftern, Prozessanwälten (also die, die für ihre Mandanten kämpfen und nicht für ihre Profitmaximierung), dann überzeichnet er in seiner ganzen Drastik schon fast wieder bis zur Kenntlichkeit.
Wie gesagt: Als Sprachkunstwerk wollen wir auch diesen Grisham-Roman nicht behandeln. Aber als Versuch, die unschönen Verhältnisse auf den Punkt zu bringen, dem Publikum noch ein paar fiese Tricks mehr vorzuführen und damit nicht nur zu belehren, sondern trotzdem zu unterhalten - denn man will ja wissen, wie es ausgeht, wenn man schon an der Angel hängt. So gesehen kann man "Berufung" ohne Schamesröte und mit gutem Gewissen wegknabbern.
Rezensiert von Thomas Wörtche
John Grisham: Berufung
Roman, Deutsch von von Dr. Bernhard Liesen, Bea Reiter, Kristiana Ruhl und Imke Walsh-Araya
Heyne Verlag, München 2008
464 Seiten, 19,95 Euro