Skurrile Aktionen

Rezensiert von Rudolf Walther |
Tim Weiner erzählt im ersten Teil seines Buches die Geschichte des amerikanischen Geheimdienstes CIA von 1945 bis 1977. Für die Zeit danach stützt sich der Reporter auf Augenzeugenberichte. Sein Buch liefert auch Details über Essens-, Trink- und Arbeitsgewohnheiten der handelnden Personen.
Der Mangel an Transparenz, der allen Aktivitäten von Geheimdiensten eignet, führt in der Regel dazu, dass Bücher über sie hauptsächlich davon erzählen, wie es ungefähr gewesen sein könnte. Sie arbeiten mit mehr oder weniger gut begründeten Vermutungen und mit gewagten Analogieschlüssen. Für das Buch des Reporters Tim Weiner von der New York Times über die "Central Intelligence Agency" trifft das über weite Strecken nicht zu.

Der unbescheidene Titel "CIA. Die ganze Geschichte" ist für große Teile des Buches wörtlich zu nehmen, denn Weiner stützt sich nicht auf Gerüchte, Vermutungen und Konstrukte, sondern auf Augenzeugenberichte, Interviews und vor allem auf die in den letzten Jahren zugänglich gewordenen Akten.

Die CIA ist aus dem während des Zweiten Weltkriegs von General William Donovan aufgebauten "Office of Strategic Services" (OSS) hervorgegangen, der nach 1945 "Central Intelligence Group" (CIG) hieß. Daraus wurde im Herbst 1947 die CIA. Ein Konzept oder gar ein ausformuliertes Pflichtenheft für den Dienst gab es zunächst nicht. Die Freiwilligen - zum größten Teil Weltkriegsoffiziere – vertrauten auf das Learning-by-doing und folgten einem Motiv, das Weiner so umschreibt:

"Die Hauptmission der CIA bestand darin, den Präsidenten vor einem Überraschungsangriff, einem zweiten Pearl Harbor, rechtzeitig zu warnen."

Das gelang nur in Ausnahmefällen. In der Regel bemerkten die Agenten nicht, was sich zusammenbraute und wurden überrascht - von der ersten Atombombe der Sowjetunion 1949 über den 6-Tagekrieg Israels 1967 bis zu den Attentaten vom 11. September 2001.

Von Anfang an widmete sich der Geheimdienst zwei Hauptaufgaben - der Nachrichtenbeschaffung und subversiven oder verdeckten Aktionen. Vor allem letztere sind ein hochriskantes Gewerbe. Bereits die erste verdeckte Operation der CIA misslang und blieb bis heute ein Menetekel. Im Sommer 1946 kursierte das Gerücht, Stalin wolle in die Türkei einmarschieren. Die CIA schickte einige Mitarbeiter nach Rumänien mit dem Auftrag, die kleine Bauernpartei in eine Sabotage- und Widerstandsgruppe umzubauen. Die dilettantisch durchgeführte Operation entging dem sowjetischen Geheimdienst nicht. Innerhalb von zwei Wochen wurden alle rumänischen Aktivisten verhaftet und zum Teil hingerichtet.

Mit der von Präsident Truman am 12. März 1947 verkündeten Doktrin, wonach jeder Angriff, den Feinde Amerikas in einem beliebigen Staat unternähmen, auch als Angriff auf die USA betrachtet würde, wurde das Operationsgebiet der CIA global ausgedehnt. Der Geheimdienst war damit zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz überfordert. Oft war die CIA in der Folgezeit fast ausschließlich damit beschäftigt, misslungene verdeckte Operationen zu vertuschen und Kollateralschäden kleinzureden. Kernbereiche geheimdienstlicher Aktivität – Nachrichtenbeschaffung und Spionage – wurden dagegen vernachlässigt.

Im Zuge des Kalten Krieges wuchs die CIA schnell. 1948 bestanden bereits 47 Auslandsbüros, von denen aus Politiker bestochen, Parteien und Gewerkschaften unterwandert und Propagandainstrumente wie der "Kongress für kulturelle Freiheit" mit Koffern voller Bargeld gesponsert wurden. Das CIA-Gesetz vom 27. Mai 1949 verbot dem Geheimdienst zwar Aktivitäten im Inland, war aber sonst eine Art Freibrief - mit Weiners Worten:

"Das Gesetz gab dem Nachrichtendienst das Recht, fast alles zu tun, was er wollte, solange der Kongress das Geld dafür in Jahresrationen bewilligte. Schon wenn ein kleiner Streitkräfte-Unterausschuss dem Geheimbudget zustimmte, hieß das für die Eingeweihten, dass sämtliche Geheimoperationen rechtlich abgesichert waren."

Nach einer fatalen Logik wurde in der Folgezeit aus der Tatsache, dass etwas als geheim galt, kurzgeschlossen, es sei damit automatisch auch rechtmäßig. Weiner demonstriert dies an einer Vielzahl von misslungenen Operationen mit einer überwältigenden Fülle an quellenmäßig gesicherten Details. Nur ein Beispiel: Die Sowjetunion, der Hauptfeind im Kalten Krieg, war für die CIA buchstäblich ein schwarzer Fleck. Zunächst versuchte der Geheimdienst, Spione aus der Luft in der Ukraine abzusetzen. Das misslang völlig, kostete aber etwa 200 Menschen das Leben.

Von 1953 bis 1961 war Allen Dulles Direktor der CIA, während sein Bruder John Foster das State Departement, also die Außenpolitik, leitete. Zusammen dirigierten sie allein in den ersten fünf Jahren ihrer Amtszeit rund 200 Geheimaktionen in der ganzen Welt. Die CIA organisierte und finanzierte den nach drei Jahren schließlich erfolgreichen Putsch im Iran ebenso wie die Rebellionen von Offizieren im Kongo, in Indonesien, Honduras, Nicaragua und Guatemala. Die Bilanz war, wie Weiner präzis nachzeichnet, für die betroffenen Länder wie für die USA verheerend. Für Guatemala etwa begannen nach dem von der CIA inszenierten Putsch

"(…) 40 Jahre unter Militärherrschern, Todesschwadronen und bewaffneter Repression. Die für Geheimaktionen in Übersee erforderlichen Vertuschungsgeschichten wurden zum integralen Bestandteil des politischen Verhaltens, das sich die Agency in Washington angewöhnte."

Vieles, was Weiner darlegt, ist in Umrissen längst bekannt, aber dank seiner Kärrnerarbeit hat man jetzt belastbare Aktenbelege. Spektakuläre Fehlschläge und Fehleinschätzungen von der gescheiterten Invasion Kubas in den 50er bis zur massiven Aufrüstung der Mudschaheddin und Taliban in den 80er Jahren ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der CIA.

Der Geheimdienst entglitt zunehmend der politischen Kontrolle durch das Parlament und die Präsidenten. Alle 19 CIA-Direktoren waren direkt in Putsch- und Mordpläne - seit Nixons "Watergate"-Abenteuer auch in die illegale Inlandaufklärung, die erst nach dem 11. September 2001 legalisiert wurde - involviert. Übereilte oder fingierte Alarmrufe, in diesem oder jenem Land drohe eine kommunistische Machtübernahme, genügten, diesen Glauben zur Grundlage für subversive Aktionen, Morde und militärische Interventionen zu machen. Ein Sonderberater Eisenhowers sprach nach einem unbequemen Wahlergebnis entlarvend von "Subversion per Stimmzettel".

Zu keiner Zeit hatte die CIA ein auch nur halbwegs realistisches Bild von den tatsächlichen politischen und militärischen Verhältnissen in der ehemaligen Sowjetunion und in China. Zu der an Skurrilitäten reichen Geschichte der CIA gehört das Projekt, in Panama eine Kommunistische Partei mit der Hoffnung zu gründen, die Kader dieser Partei nach deren Moskaureisen geheimdienstlich abzuschöpfen. Seit dem Vietnamkrieg und vollends mit Bushs weltweit geführtem "Krieg gegen den Terrorismus" wurde der Geheimdienst schamlos politisch instrumentalisiert. Für den Krieg in Vietnam wie für jenen im Irak gilt:

"Nie zuvor hatte so viel Information so wenig Bedeutung. Geführt wurde der Krieg im Rahmen einer Reihe von Lügen, die die Politiker sich selbst und dem amerikanischen Volk auftischten."

Weiners Darstellung der Geschichte der CIA zerfällt in zwei Teile. Für die Amtszeiten der Präsidenten Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson, Nixon und Ford - also bis 1977 - wird das Buch dem Anspruch durchaus gerecht, den Weiner so formuliert:

"In diesem Buch wird alles belegt - keine anonymen Quellen, keine Zitate ohne Nachweise, keine bloßen Gerüchte."

Weiner kann den Anspruch erfüllen, weil für die Zeit von 1945 bis 1977 reichlich Primärquellen gedruckt und Archive zugänglich gemacht wurden. Für die Zeit danach gilt dies nur sehr eingeschränkt. Für die jüngere Vergangenheit ist Weiner auf die Aussagen von Augenzeugen, das heißt ehemaligen Mitarbeitern der CIA, und Politikern angewiesen, die natürlich nicht dieselbe Aussage- und Beweiskraft haben.

Unnötig aufgebläht wird das Buch außerdem durch Weiners Hang, die sachliche Darstellung von Abläufen und Zusammenhängen durch atmosphärische Details über Essens-, Trink- und Arbeitsgewohnheiten der handelnden Personen journalistisch aufzulockern. Der Gewinn an Lockerheit geht aber gelegentlich auf Kosten der Konsistenz der Argumentation. Trotz dieser Einschränkungen zeichnet das Buch ein realistisches Bild des mächtigen Geheimdienstes jenseits von Verteufelung und Verharmlosung.

Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte
Aus dem Amerikanischen von Elke und Ulrich Enderwitz, Monika Noll, Rolf Schubert,
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte© S. Fischer Verlag
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