Slavek und Slavko feiern getrennt

Von Thomas Urban |
Auch kurz vor Beginn der EM gibt es keinen gemeinsamen Geist, der auf beiden Seiten der polnisch-ukrainischen Grenze spürbar wäre. Im Gegenteil: Die Blockbildung in Europa wird durch das Turnier noch verstärkt, meint Thomas Urban.
Nach all den Aufregungen der letzten Wochen ist es wenige Tage vor dem Anpfiff der Fußball-Europameisterschaft ruhig geworden. Die im ostukrainischen Charkiw inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko bestimmt nicht mehr die Schlagzeilen. Und in Polen herrscht innenpolitischer Burgfrieden. Abgeordnete des konservativen Regierungslagers und der weitgefächerten Opposition zeigen sich einmütig mit weiß-roten Schals. Die Europameisterschaft soll ein Fest werden, bei dem sich Polen der ganzen Welt, zumindest aber den unmittelbaren Nachbarn im Westen, als modernes und leistungsfähiges Land präsentiert.

Ähnliches hatte sich die ukrainische Führung vorgenommen, doch hat sie sich in den letzten Monaten in den Augen der Westeuropäer in beispielloser Weise selbst in Misskredit gebracht. Staatspräsident Viktor Janukowitsch und seine Gefolgsleute gelten nicht nur als rachsüchtig und kleingeistig, weil mittlerweile rund zwei Dutzend Mitglieder und Spitzenbeamte der Vorgängerregierung unter Julia Timoschenko im Gefängnis sind.

Doch nicht nur die Vertreter der Führung in Kiew fordern, Politik und Sport zu trennen. Auch die polnischen Spitzenpolitiker um den pro-europäischen konservativen Premierminister Donald Tusk tun es. Dass Bundespräsident Joachim Gauck und in seinem Gefolge mehrere Bundesminister erklärten, sie wollten nicht zu den EM-Spielen reisen, die in der Ukraine stattfinden, hat in Warschau Befremden ausgelöst, nicht nur, weil es zwischen beiden Hauptstädten nicht abgesprochen war.

An der Weichsel hält man es für falsch, die ukrainische Führung um Janukowitsch zu brüskieren. Wenn nämlich Kiew deshalb die letzten Drähte zur EU, nach Brüssel und vor allem nach Berlin kappen würde, so wäre dies aus polnischer Sicht fatal. Denn daraus folgte, dass Kiew sich wieder eng an Moskau anschließen würde.

Aus der Umarmung des Kremls würde sich die Ukraine kaum befreien können, sie fiele stattdessen unter den Schirm Moskaus zurück. Somit wären namentlich Polen und die meisten anderen ehemaligen Ostblockstaaten, die heute der Europäischen Union und der Nato angehören, nahezu hilflos einem Moskauer Preisdiktat vor allem für Erdgas ausgesetzt.

Doch zur Freude des wieder in den Kreml zurückgekehrten Wladimir Putin hat sich Janukowitsch weitgehend international isoliert. Dabei ist nicht auszuschließen, dass er selbst an eine große antiukrainische Verschwörung glaubt, wie es Mitglieder seiner Regierung nun behaupten. Dies schließen westliche Beobachter aus manchen seiner Bemerkungen, die von naiver und echter Empörung zeugen.

Bekannt ist, dass er selbst keine Akten liest, dass seine Kontakte zur Außenwelt von seinen Beratern streng reglementiert werden, dass er selbst nur durch vier Sicherheitsschleusen zu erreichen ist. Sein Volk meidet er schon lange. Seitdem Janukowitsch im vergangenen Herbst bei der Eröffnung des neuen Nationalstadions in Kiew vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen wurde, hat er sich nicht mehr an die Öffentlichkeit gewagt.

Allerdings hört er auch nicht auf die Mahnungen seiner einzigen Fürsprecher in der EU – in Warschau. Der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski hat hinter den Kulissen wiederholt versucht, Janukowitsch im Fall Timoschenko zum Einlenken zu bewegen, bislang vergeblich.

Daher spricht in der Summe alles dafür, dass die Europameisterschaft nicht das erreicht, was sich beide Seiten zunächst davon versprochen hatten: Sie soll die Ukraine näher an die EU heranführen. Stattdessen deutet nun alles darauf hin, dass die Blockbildung in Europa verstärkt wird: Polen als Mitglied der Europäischen Union und die Ukraine, die Putin in den von Moskau proklamierten "Gemeinamen Wirtschaftsraum" der ehemaligen Sowjetrepubliken holen möchte, werden getrennt voneinander feiern.

Es gibt bislang keinen gemeinsamen Geist, der auf beiden Seiten der polnisch-ukrainischen Grenze spürbar wäre.

Thomas Urban ist seit mehr als 20 Jahren Osteuropa-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". Er ist Autor mehrerer Bücher über die deutsch-polnischen sowie die deutsch-russischen Beziehungen.





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