Info: Das neue Album der Sleaford Mods "English Tapas" ist am 3. März 2017 bei Rough Trade Records erschienen.
"Die Briten sind paranoid und gelähmt vor Angst"
Das Duo Sleaford Mods aus Nottingham liefert seit zehn Jahren wütende Songs über den Alltag der britischen Arbeiterklasse, untermalt mit minimalistischer Musik aus Drumcomputer, Bass und Gesang im breitesten Dialekt. Das neue Album spiegele die ängstliche Stimmung in England wider, sagt Sänger Jason Williamson.
Dirk Schneider: Die Sleaford Mods haben eigentlich wenige explizit politische Songs, sie berichten eher aus dem Alltag, doch ein solch expliziter Song ist auf dem neuen Album und heißt B.H.S. Jason Williamson hat mir erklärt, worum es darin geht.
Jason Williamson: Die Kaufhauskette B.H.S. wurde von dem Tycoon Philip Green aufgekauft, dem Eigentümer der Modekette Topshop. "British Home Stores" war eine alteingesessene Kaufhauskette für Inneneinrichtung. Green hat sie gekauft, soviel Geld wie möglich herausgeholt und sie dann für ein Pfund weiterverkauft an jemanden, der sie zugrunde gehen ließ.
Und mit der Kette sind nicht nur alle Arbeitsplätze verloren gegangen, sondern auch die Pensionen, in die die Beschäftigten eingezahlt hatten. Und das ist ja durchaus übliche Praxis im Spätkapitalismus. Und natürlich vollkommen legal. Ich dachte mir, das ist schon einen Song wert, um deutlich zu machen, wie die, die an der Macht sind, mit den Leuten umgehen. Es gibt im Kapitalismus einfach keine Sicherheiten, und der Song soll diese Angst auf den Punkt bringen.
Dirk Schneider: Ich selbst habe mich immer etwas schwer getan mit Ihrer Musik, da ich es immer etwas seltsam fand, dass die Leute Sie hierzulande abfeiern, aber die meisten von Ihnen gebildete Mittelschichtsangehörige sind, denen ich unterstellt habe, dass Sie in Ihrer Musik etwas Dreckiges, irgendwie Authentisches zu finden meinen, was mit ihrem eigenen Leben aber gar nichts zu tun hat.
Jason Williamson: Ja, man kann das so sehen. Man kann auf verschiedenste Arten etwas Schlechtes daran finden, aber ich versuche, das zu vermeiden. Benutzen die Leute uns, oder benutzen wir sie –nutzen die Medien uns aus, oder nutzen wir sie aus? Man kann es immer von zwei Seiten sehen. Man steigt ja in dieses Spiel ein in dem Bewusstsein, dass man nicht die Kontrolle behalten wird.
Manchmal ärgert es mich schon, wenn die Presse den Leuten etwas in die Köpfe pflanzt, das gar nichts mit uns zu tun hat, und die Leute sich dann eine falsche Vorstellung von uns machen. Aber wir nehmen es sehr ernst, was wir machen, und ich versuche, mich so gut und deutlich auszudrücken, wie es mir möglich ist.
Und gleichzeitig ist es halt einfach verdammtes Showbiz, und so läuft‘s halt. Letztendlich machen wir genau das, was wir wollen, und wir haben es als Musiker damit zu etwas gebracht, und das hat lange genug gedauert.
Dirk Schneider: Also sehen wir dieses Interview als Win-Win-Situation, in der wir uns gegenseitig benutzen, oder nutzen. Eine Frage möchte ich trotzdem noch in diese Richtung stellen: Ich finde es sehr bezeichnend, dass zum Beispiel Kate Tempest in Deutschland gerne als Arbeiterklasse-Kind rezipiert wird, dabei hat sie einen bürgerlichen Hintergrund. Was halten Sie von ihr?
Jason Williamson: Ich bin kein großer Fan von ihr, aber ich habe auch nichts gegen sie. Sie versucht, was Gutes zu machen, auch wenn es nicht mein Geschmack ist. Sie selbst geht jedenfalls nicht mit einer vermeintlichen Arbeiterklasse-Herkunft hausieren.
Wir machen das übrigens auch nicht. Es ist ohnehin fragwürdig, was der Begriff "Arbeiterklasse" heute noch bedeutet. England ist von dem Begriff besessen, ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist. Diese Zuschreibung kann ein ganz schöner Klotz am Bein sein.
Dirk Schneider: Unterstützen Sie den Labourchef Jeremy Corbyn?
Jason Williamson: Nicht mehr. Ich war mal Mitglied der Labour Party, aber man hat mich rausgeworfen, nachdem ich mich auf Twitter böse über ein Parlamentsmitglied von Labour geäußert habe, das war zu der Zeit, als Corbyn um den Chefposten gekämpft hat. Ich mag Corbyn, aber er hat leider nicht viel erreicht. Die Linke ist am Boden, und die dunkle Wolke der Rechten zieht übers Land. Im Moment hat es jeder mit einer alternativen Weltsicht sehr schwer, Gehör zu finden, und andere Ideen werden nicht diskutiert, nicht in der Presse, nicht im Parlament. Alternativen findet man höchstens im eigenen Kopf.
Dirk Schneider: Gibt es irgendetwas, in das Sie Hoffnung setzen, für Ihr Land, für Europa, für wen auch immer?
Jason Williamson: Im Moment nicht. Ich glaube nicht, dass sich in den nächsten zehn Jahren etwas Grundlegendes ändern wird. Ich sehe da keine Hoffnung. Laut Umfragen liegen die Tories weit vor der Labour Party. Und Labour ist Mist, die Partei ist tot. Ich kann wirklich nichts sehen, das in absehbarer Zeit irgendeine Wendung zum Besseren verspricht. Es sieht gerade nicht gut aus, was?
Dirk Schneider: Geben Sie den Leuten Hoffnung mit Ihrer Musik? Ich habe ein Video beim Guardian gesehen, in dem es um ein Konzert der Sleaford Mods geht, es wurden Besucher des Konzerts befragt, und die waren ganz glücklich, sagen zu können, dass Sie ihnen eine Stimme verleihen.
Jason Williamson: Das ist wichtig, aber geben wir den Leuten wirklich eine Stimme? Ja, es gibt Leute, die zu den Konzerten kommen und wirklich glücklich sind. Aber ich glaube, wir machen vor allem gute Musik, bieten eine gute Liveshow, unsere Musik ist live sicher besser als auf Platte. Ein Teil unserer Musik hat politische Inhalte, in anderen Songs geht es um gesellschaftliche Beobachtungen, vieles davon ist auch einfach lustig, also, ich denke jeder kann da was für sich drin finden.
Ich hoffe schon, dass wir damit etwas bewirken, aber wir bieten auf keinen Fall irgendwelche Lösungen an. Wir sind keine Experten für irgendwas, sondern vor allem Musiker. Wir wollen nicht irgendwas darstellen, was wir nicht sind. Das wichtigste ist, dass unsere Musik aus der echten Leidenschaft entsteht, gute Musik zu machen und auch etwas damit zu erzählen.
Und wenn wir uns nach dem nächsten Album verkaufen und zu Wichsern werden, na schön. Aber das wird nicht passieren!
Dirk Schneider: Ich habe gelesen, dass Sie bei einem jüngeren Publikum in Großbritannien auch nicht so gut ankommen. Dass die jungen Leute Sie abschätzig als Säufer und Koksnasen bezeichnen, was früher für Popmusiker eher ein Kompliment gewesen wäre. Was ist denn da los?
Jason Williamson: Die ticken ganz anders, die nehmen keine Drogen. Ich glaube die sagen so was über uns, weil wir nicht mehr jung sind, weil wir uns nicht gut kleiden. Wir sind eine andere Generation. Ich bin mit den Ravepartys aufgewachsen, wir haben alle Drogen genommen und gesoffen. Womit ich übrigens aufgehört habe, ich habe seit sieben Monaten keinen Tropfen getrunken.
Ich bin nicht stolz darauf, dass ich so viele Drogen genommen habe, aber ich werde es auch nicht leugnen. Und es hat auch meine Musik beeinflusst. Und es liegt sicher auch daran, wie wir aussehen, Andrew und ich, dass wir als Junkies, als Obdachlose bezeichnet werden.
Dirk Schneider: Wie sehr hat die aktuelle Lage in Großbritannien Ihr neues Album beeinflusst? Es ist Ihr erstes Album nach dem Brexit-Referendum, wir bekommen hier politisch einiges mit aus Großbritannien, gesellschaftlich eher weniger. Wie ist die Lage in Großbritannien, und, wie gesagt, wie hat sie Ihr Album beeinflusst?
Jason Williamson: Die gesellschaftliche Lage unseres Landes hat alle unsere Alben beeinflusst. Aber ohne Frage war 2016 eine Menge los, die Dinge haben sich überschlagen, vor allem im Sommer. Dann gab es europaweit Terroranschläge, und auch der Schatten der Pariser Attentate im November 2015 hängt noch über uns. Diese Dinge, und unsere Landsleute, die sich verhalten, als hätte man die Luft aus ihnen herausgelassen. Sie sind paranoid und gelähmt vor Angst. Das wollten wir mit unserer Musik einfangen, und ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen.
Dirk Schneider: Eigentlich wollte ich Sie nach Ihrer Vorstellung von Großbritannien in zehn Jahren fragen, aber die wird wohl ziemlich alptraumhaft sein...
Jason Williamson: (Lacht) Das wird großartig! Keine Ahnung. Wir werden es schon irgendwie schaffen. Gab es schon schlimmere Zeiten? Ich glaube ja. Unsere beiden Länder wurden ja schon mal platt gemacht und an die Wand gefahren, oder wenigstens Teile davon. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg muss verdammt schrecklich gewesen sein.
Trotzdem gibt es viel Leid im Moment. Wenn wir den Fernseher anmachen, schauen wir einem Krieg zu, der gar nicht so weit weg von uns im Gange ist. Das ist deprimierend. Eigentlich ist es derselbe Scheiß wie immer, und es ist keine Besserung in Sicht.
Aber es ist schon interessant, wie sich Großbritannien wohl in zehn Jahren verändert haben wird. Wir haben jetzt seit sieben Jahren eine konservative Regierung, aber es fühlt sich an, als sei sie gerade mal sieben Stunden an der Macht, das ging alles so schnell. Und sie hat die Dinge so fest in der Hand, und die Bevölkerung ist absolut machtlos, eigentlich ist keine echte Veränderung in Sicht. Aber wer weiß, die menschliche Spezies ist immer wieder für Überraschungen gut. Ich habe immer noch Hoffnung.
Ich bin aber auch ruhiger geworden in den letzten Monaten, seit ich die Drogen aufgegeben habe. Ich nehme auch meinen Job als Musiker ernster, ich kümmere mich mehr darum und habe mehr Zuversicht. Auf meine Weise bin ich meistens ganz glücklich.