Sleaford Mods: "Spare Ribs"

Den Frust Englands auskotzen

06:06 Minuten
Ein Mann mit Dreitagebart schreit auf einer Bühne in ein Mikrofon. Er trägt ein bedrucktes dunkelgraues T-Shirt. Auf den Unterarmen sind viele verschiedene Tattoos zu erkennen.
"Diese Arschlöcher, die uns den Brexit eingebrockt haben“: Sänger Jason Williamson rechnet mit der britischen Politik ab. © Gonzales Photo - Jarle H. Moe / picture alliance / Photoshot
Von Christine Franz |
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Wenn man zum Brexit-Drama der letzten Jahre einen Soundtrack sucht, kommt man an einer Band nicht vorbei: Sleaford Mods aus Nottingham. Auf ihrem neuen Album „Spare Ribs“ zeigen sie sich maximal verärgert über die Lage in Großbritannien.
"Was zur Hölle habt ihr euch nur dabei gedacht? Wie soll der Brexit euer Leben besser machen? Indem euer Land wieder ‚englisch‘ wird? Was für ein Schwachsinn!"
Jason Williamson ist auf Betriebstemperatur bei unserem Videotelefonat kurz vor Weihnachten. Der Tag, an dem Frankreich die Grenzen zu Großbritannien wegen der neuen Virusmutation schließt und die Briten immer noch voll in den Brexit-Verhandlungen stecken.
"Mich macht das alles einfach nur noch wütend. Und was mich noch wütender macht: Diese Arschlöcher, die uns den Brexit eingebrockt haben, kommen einfach mit allem durch. Für sie gibt es keine Konsequenzen. Es wird einfach keine ausgleichende Gerechtigkeit geben. Die leben weiterhin ihr unberührtes Leben, egal welchen Schaden sie anrichten. Das pisst mich so an. Es wird wieder diejenigen treffen, die eh schon unten sind. Menschen die von Mindestlohn oder von Sozialhilfe abhängig sind. Es ist einfach nur furchtbar."

Ein Album gegen all den Frust

Sleaford Mods im Lockdown-Modus. Eigentlich sollte es 2020 auf eine lange geplante USA-Tour und zum Coachella Festival gehen. Stattdessen sah man Jason Williamson auf Social Media beim Backen und Beatmaker Andrew Fearn beim veganen Kochen.
Natürlich entstand auch ein neues Album, ihr sechstes Studioalbum in nur acht Jahren. Irgendwo musste er schließlich hin, der ganze Frust über den Brexit, über neuen Nationalismus und seine Lieblingsfeinde: Indiebands aus der Mittelschicht, die sich als Working-Class ausgeben. Von abgeschliffenen Ecken und Kanten bei Sleaford Mods also keine Spur. Im Gegenteil.
Herzstück des neuen Albums ist der Song "Mork & Mindy", den Sleaford Mods mit ihrer Freundin, der britischen Newcomerin Billy Nomates aufgenommen haben. Ein Kitchen Sink-Drama, eine düstere Sozialstudie, über eine andere triste Zeit in England: die frühen 80er. Passend dazu der träge schleppende Beat von Andrew Fearn:
"Es geht um meine Kindheit. Die frühen 80er, eine trostlose Zeit. Ich hatte als Kind eine Operation, weil ich mit einer Fehlbildung der Wirbelsäule zur Welt gekommen bin. Die Operation war erfolgreich und als Teenager hatte ich das alles schon wieder vergessen. Aber das Thema hat sich jetzt wieder gemeldet, weil ich falsch trainiert habe. Da kam alles wieder hoch, es war ziemlich emotional: die Operation, das Verhältnis zu meiner Mutter und warum ich der geworden bin, der ich heute bin. Ich habe versucht, das alles in dem Song zu verarbeiten. Aber das kann auch total nach hinten losgehen und peinlich klingen. Aber ich glaube, es ist doch ganz okay geworden."
Neben Billy Nomates haben sich Sleaford Mods noch eine zweite Duett-Partnerin an Bord geholt: Amy Taylor von der australischen Punk-Band Amyl And The Sniffers.

Fluchen, brüllen, bellen

Ansonsten ist alles wie immer bei Sleaford Mods: Es wird geflucht, gebrüllt und gebellt. Die Beats rumpeln und um Songstrukturen scheren sie sich meistens einen Dreck.
"Das Album ist eigentlich genau wie unsere anderen. Darüber denke ich schon manchmal nach. Nach dem Motto: ‚Leg mal eine andere Platte auf, Jason!‘ Aber vielleicht muss man irgendwann einfach akzeptieren, dass man ist, wer man ist, dass man macht, was man macht. Aber man muss der Musik natürlich immer wieder neues Leben einhauchen, durch die Kollaborationen zum Beispiel. Andrew wird auch immer besser. Solange das alles passiert, glaube ich, werden wir weiterhin Alben rausbringen."
Gut so. Irgendjemand muss den Frust Englands ja auskotzen. Das schafft noch immer keiner so scharf und konsequent wie Sleaford Mods. "Spare Ribs" ist ein Album, das bohrt, brennt und auch mal bewusst nervt. Eben ein Album zur Zeit – und eines ihrer besten. Reizthemen gibt es für Sleaford Mods schließlich gerade mehr als genug auf der Insel.
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