Slobodan Šnajder: "Die Reparatur der Welt"
Roman. Zsolnay Verlag, Wien 2019
543 Seiten, 26 Euro
Ein Mann zwischen allen Fronten
05:33 Minuten
In den Wirren des Zweiten Weltkriegs versucht Djuka Kempf, Kroate deutscher Herkunft, seine Haut zu retten. "Die Reparatur der Welt" erzählt nicht nur von den Zurichtungen des Krieges, sondern auch eine deutsch-kroatische Familiengeschichte.
1993, mitten im Jugoslawien-Krieg, liest der kroatische Schriftsteller Slobodan Šnajder einen Brief, der an seinen gerade verstorbenen Vater gerichtet war. Ein Onkel des Vaters, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Bayern lebt, will der Familie in Kroatien helfen. Er fragt, ob der Großneffe, mit anderen Worten Slobodan Šnajder, nach Deutschland kommen und bei Opel anfangen wolle. Nur gesund müsse er sein und lesen und schreiben können.
Slobodan Šnajder schlägt das Angebot aus. Er ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein bekannter Schriftsteller.
Loyaler Bürger und guter Nachbar
Der Brief seines Großonkels hat den Autor Slobodan Šnajder vor einigen Jahren zu einem Roman inspiriert, der unter dem Titel "Die Reparatur der Welt" nun auch auf Deutsch vorliegt. Es ist die Geschichte deutscher Kolonisten, die Ende des 18. Jahrhunderts auf der Suche nach einem besseren Leben ins damals habsburgische Kroatien einwandern.
Nach dem Ende Österreich-Ungarns werden sie loyale Bürger des jugoslawischen Königreichs. Sie sind zweisprachig und leben in gutem Einvernehmen mit ihren südslawischen Nachbarn. Seit den 30er-Jahren und vor allem nach Hitlers Überfall auf Jugoslawien 1941 vereinnahmen sie jedoch die Nationalsozialisten.
In dieser Zeit wächst der Vater des Erzählers heran, der im Roman den Namen Georg oder Djuka Kempf trägt. Vor allem ihm ist dieses Buch gewidmet.
Djuka hat gerade ein paar Semester Medizin in Belgrad hinter sich, ist vor allem der Literatur und dem Alkohol zugetan, als ihn die Waffen-SS im Frühjahr 1943 als Deutschen rekrutiert und ins besetzte Polen schickt. Dort desertiert er mit Hilfe der Polin Ania, die er im Lazarett als Krankenschwester kennengelernt hat und die sich als nationalpolnische Untergrundkämpferin entpuppt.
Auf mehr als der Hälfte der 543 Romanseiten beschreibt der Autor, wie sein Held im kriegszerstörten Land zwischen Krakau und Treblinka versucht, seine Haut zu retten – bis ihn die Rote Armee zu sich nimmt. Die Sowjets lassen Djuka nach Kriegsende wieder nach Jugoslawien ziehen. Sie stellen ihm einen "Persilschein" aus, eine Bescheinigung, Djuka habe auf der richtigen Seite gekämpft.
Zurück in Zagreb
Dennoch: Mit der SS-Tätowierung auf der Innenseite seines Oberarms wird Djukas Leben in Titos Jugoslawien zum Versteckspiel, zu einer nie endenden Flucht in die Halbwahrheit. Die Erinnerung an die geflohenen oder vertriebenen Deutschen ist in diesem Jugoslawien tabu. Djuka arrangiert sich und scheitert immer wieder.
Seine Ehe mit der kroatischen Partisanenkämpferin und ehemaligen KZ-Gefangenen Vera zerbricht nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes. Die eher halbherzige Karriere als Schriftsteller endet im Suff. Šnajders Romanheld lebt im Nachkriegszagreb das Leben eines notdürftig angepassten, mitunter zynischen Intellektuellen. An eine Reparatur der Welt glaubt Djuka nicht.
Šnajders Erzähldramaturgie ist überaus fesselnd, die Sprache manchmal obszön und niemals pathetisch. Zuweilen erweist sich "Die Reparatur der Welt" als phantastisch überhöhtes Erzählwerk.
Andererseits dokumentiert der Roman mithilfe von Texten und Briefen aus dem Familienarchiv, darunter jenem Schreiben des Großonkels aus Bayern, die kroatisch-deutsche Familiengeschichte des Autors. So präsentiert er ein europäisches Schicksal im 20. Jahrhundert.