Der Philosoph Slavoj Žižek ist der meistübersetzte Autor Sloweniens – und fast der einzige, der über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Seine Rede zur Eröffnung
führte allerdings zu regelrechten Tumulten, auch wenn Buchmesse-Direktor Jürgen Boos die Wogen anschließend zu glätten suchte.
Was die kleine Republik literarisch sonst noch zu bieten hat, davon können sich die Besucher der
75. Frankfurter Buchmesse ein Bild machen. 75 Autoren, Übersetzer, Verleger und Illustratoren aus Slowenien sind zur größten Buchmesse der Welt angereist. Zur Vorbereitung des Branchentreffs wurden 600 Bücher aus dem Slowenischen in andere Sprachen übersetzt, mehr als hundert davon ins Deutsche.
Im Westen angekommen
Slowenien ist etwa so groß wie Hessen und hat rund zwei Millionen Einwohner. Früher Teil des sozialistischen Jugoslawiens, ist das Land nach seiner Unabhängigkeit 1991 im Westen angekommen: Slowenien ist EU- und NATO-Mitglied, gezahlt wird mit Euro.
Beliebt ist das kleine Land zwischen Alpen und Adria vor allem als Reiseziel. Dabei kommt die wachsende Zahl der Touristen vor allem wegen der Natur. Slowenien hat Berge und Meer, es gibt sehenswerte Höhlen und Karstlandschaften. Neben dem Nationalpark Triglav ist die Hauptstadt Ljubljana ein weiterer Besuchermagnet.
Kulturell ist das Land geprägt von den Einflüssen seiner vielen Nachbarländer Italien, Österreich, Ungarn und Kroatien. Vor allem der italienische Westen und der deutsche Norden hatten nachhaltig Einfluss auf die slowenische Kultur. Vor der Gründung des ersten jugoslawischen Staates 1918 bestimmten die Habsburger mehr als sechs Jahrhunderte lang die Geschicke des Landes.
Nirgendwo und überall zugleich
Für den Schriftsteller, Übersetzer und Verleger Aleš Šteger ist Slowenien „ein Land in der Mitte“. Doch es gibt auch eine andere, weniger positive Selbstwahrnehmung, berichtet er. „Man fühlt sich am Rand von Mitteleuropa, von Westeuropa, am Rand vom Balkan, am Rand des mediterranen Raumes. Also nirgendwo und überall zugleich.“
Der Autor glaubt, dass seine Landsleute einen wichtigen Teil ihrer Identität ausblenden: „Die Politik sagte, wir gehören zu Europa, waren Teil von k. und k. Das hatte den Effekt, dass die Leute den anderen, den jugoslawischen Teil verdrängen wollten. Das ist sehr kontraproduktiv. Entweder Europa oder der wilde Balkan: Das ist falsch. Man müsste das Gute von beiden vereinen – auch mit einer Souveränität, die aber oft fehlt.“
Nur 75 Buchhandlungen, aber 280 Bibliotheken
Die literarische Szene des kleinen Slowenien ist vergleichsweise überschaubar: Pro Jahr werden rund 3.500 Bücher in der Landessprache publiziert, weiß Miha Kovač, Kurator von Sloweniens Gastlandauftritts auf der Frankfurter Buchmesse. In Deutschland sind es jährlich mehr als 50.000 Titel.
Gerade einmal 75 Buchhandlungen gebe es im ganzen Land, so Kovač, von denen 50 zu einer Kette gehörten. Dafür genießen öffentliche Bibliotheken einen hohen Stellenwert bei den Slowenen: 280 öffentliche Bibliotheken zählt das Land. Wo keine Bibliothek in der Nähe ist, kommt ein bis zwei Mal die Woche der „Biblio-Bus“ vorbei.
Besonderen Stellenwert in Slowenien hat die Lyrik. Seine Heimat sei „das Land mit der dichtesten Dichte an Dichtern“, sagt Aleš Šteger, der eine literarische „Gebrauchsanweisung für Slowenien“ herausgebracht hat.
Anschreiben gegen das Vergessen
Während Sloweniens Gesellschaft sich stark nach Mitteleuropa orientiert, schreiben viele Autoren gegen das Vergessen Jugoslawiens an. Die Comic-Autorin Samira Kentrić beispielsweise erzählt in ihrer Graphic Novel „Balkanalien“ vom Heranwachsen in der Föderation und von ihrem Zusammenbruch. Jugoslawien sei für sie nicht verschwunden, sagt Kentrić. Sie fühle sich in allen Ländern zu Hause, die früher zu Jugoslawien gehört hätten.
Jugoslawien ist auch das Thema des 1980 in Ljubljana geborenen Schriftstellers Goran Vojnović. Der Autor ist das Kind einer Kroatin und eines Bosniers. Seine Eltern hätten das Land geliebt und ihm selbst sei elf Jahre lang beigebracht worden, dass Jugoslawien sein Land sei, sagt er. „Als diese Welt zerstört wurde, hatten meine Eltern das Gefühl, dass sie viel verloren haben. Sie haben eine Welt verloren. Dieses Gefühl teile ich mit ihnen und mit vielen anderen.“
Die Möglichkeit eines anderen Lebens
Einerseits sei er sehr zufrieden, so Vojnović, er wolle nirgendwo anders leben als in Slowenien. „Aber zugleich ist da die Möglichkeit eines anderen Lebens, die ich verloren habe. Meine Literatur schafft und erkundet diese anderen Möglichkeiten.“
In Vojnovićs Roman „18 Kilometer bis Ljubljana“ kehrt der Held heim nach Fužine, einer Trabantensiedlung am Rande der Stadt. Doch dort ist nichts mehr, wie es früher war. Die Gegend ist dem Heimkehrer fremd geworden: „Ich gehöre nicht mehr hierher. Ich bin hier ein Außerirdischer, und es ist alles fürn Arsch. Überall bin ich ein Außerirdischer, aber dass ich in Fužine ein Außerirdischer bin, geht mir wirklich auf den Sack.“
In Deutschland sind slowenische Autoren bisher wenig bekannt.
Das hat zwei Gründe, glaubt Katja Stergar, die Direktorin der slowenischen Buchagentur: zum einen die slowenische Vorliebe für Lyrik, die hierzulande wie Blei in den Regalen liegt. Zum anderen sind knapp ein Drittel der slowenischen Titel Kinderbücher.
Um die Literatur Sloweniens bekannter zu machen, ist im Vorfeld der Messe einiges geschehen. Zwischen 2019 und 2022 wurden rund 600 Bücher aus dem Slowenischen in Fremdsprachen übersetzt, sagt die Übersetzerin Amalija Maček – fast drei Mal so viel wie sonst. Mehr als hundert davon sind Übertragungen ins Deutsche. 65 deutschsprachige Verlage haben zur Messe slowenische Titel im Programm.
Die Frankfurter Buchmesse ist das weltweit größte Branchentreffen von Autoren, Verlagen und Lesepublikum. Mehr als 4000 Aussteller aus aller Welt werden zur 75. Messe im Jahr 2023 erwartet. Das erste Mal fand das Branchentreffen 1949 statt. Seit 1988 stellt jeweils ein Gastland die eigene Literatur vor, begleitet von einem kulturellen Programm. Während der Buchmesse werden zahlreiche Preise verliehen, darunter der
Deutsche Buchpreis
. Den Höhe- und zugleich Schlusspunkt bildet die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche. 2023 geht der Friedenspreis an den vor rund einem Jahr bei einem Attentat schwer verletzten indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie.
Als Publikumsmagnet des Gastlandauftritts in Frankfurt galt der Philosoph Slavoj Žižek, der meistübersetzte Autor Sloweniens. Mit seiner Rede am Eröffnungsfestakt der Buchmesse am 17. Oktober löste er jedoch einen „veritablen Eklat“ aus, sagte Literaturkritiker Carsten Hueck in Deutschlandfunk Kultur.
In seiner Rede verurteilte Žižek zwar den Angriff der Hamas mit deutlichen Worten, betonte aber auch, es sei notwendig, „den komplexen Hintergrund der Situation zu analysieren“. Es werde keinen Frieden in Nahost ohne eine Lösung der Palästina-Frage geben können. Aus Protest verließen einige Gäste während Žižeks Rede den Saal.
Kanzler Olaf Scholz wurde von Kulturstaatssekretärin Claudia Roth vertreten, weil er sich zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel gereist war.
Bei den Besuchern auf dem Messegelände wirbt Slowenien für sich mit einem Pavillon, der komplett aus recyceltem oder wiederverwendbarem Material gebaut worden ist. Jeder Tag soll mit einem Gedicht beginnen. Außerdem will das Gastland einen „Poesieautomaten“ mit nach Frankfurt bringen, der bei Münzeinwurf Gedichte von slowenischen Autoren im Original und in Übersetzung ausdruckt.