An den Menschen vorbei geplant
23:57 Minuten
Trennt die Hausgemeinschaft den Müll richtig? An welcher Ampel hat es gerade gekracht? Wo braucht jemand Hilfe? In der Smart City Songdo wird all das kontrolliert. Doch das Vorzeigeprojekt offenbart viele Schwächen.
Elisabeth Jung schaut aus ihrem Apartment im 36. Stock auf die neue Stadt. Unten sieht man einen kleinen Park, durch den sich ein Kanal schlängelt, nicht weit weg der internationale Flughafen, und in der Ferne glitzert das Meer. Die Wohnung ist neu – und bietet viele technische Besonderheiten. Die Koreanerin Elisabeth Jung und unsere österreichische Dolmetscherin erklären, was sich über ein in der Wand eingelassenes Tablet steuern lässt.
"Man kann das mit dem Smartphone verbinden und man kann die Tür zusperren. Öffnen. Man kann auch telefonieren. Oder das Licht – hier: Ein und Aus."
Über den Bildschirm lässt sich vieles überwachen. Elisabeth Jung verirrt sich noch oft in den Menüpunkten des Tablets. Das Interessanteste für sie ist, dass sie ihren Energieverbrauch genau kontrollieren kann.
"Der Energieverbrauch wird dort angezeigt. Im Gegensatz zu anderen Wohnungen in dem Gebäude, wieviel sie verbraucht. Dass sie 80 Prozent weniger verbraucht. Weil sie gerne Energie spart, deshalb schaltet sie oft aus und ist 80 Prozent niedriger als die anderen."
Ansonsten nutzt Elisabeth Jung die technischen Möglichkeiten ihrer Apartment-Steuerung kaum. Sie habe gar keine Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, als Managerin eines größeren Unternehmens.
Guter Standort für Forschungseinrichtungen
Viele Menschen, die in Songdo leben, haben gute Jobs, oft in der Biotechnologie oder der IT-Branche. Songdo sieht sich nämlich nicht nur als Modell-Stadt, sondern auch als Technologie- und Wissenschafts-Standort.
Auf den ersten Blick wirkt Songdo nicht sehr lebendig. Es gibt nur vereinzelt Spaziergänger auf den Gehsteigen. Die breiten Straßen scheinen zu groß geraten für den eher spärlichen Verkehr. Und überall ragen Glas- und Betonfassaden bis in den Himmel. Es mag subjektiv sein und es mag auch an den winterlichen Temperaturen liegen, aber die Momentaufnahme zeigt ein eher tristes Bild von Songdo.
Ein paar Kilometer weiter steht der Universitäts- und Forschungscampus. Dilruk De Silva von der belgischen Ghent University führt über das Gelände. Gleich neben der belgischen haben sich mehrere andere Unis, etwa aus den USA, niedergelassen. Viele Forschungseinrichtungen sehen Songdo als guten Ausgangspunkt, um Kontakte in andere asiatische Länder zu knüpfen. Japan und auch China sind nicht weit und der internationale Flughafen von Seoul ist nur ein paar Kilometer entfernt. Das Stadtzentrum von Seoul selbst liegt rund 40 Kilometer östlich. Für Dilruk da Silva ist Songdo ein idealer Standort – und ein interessanter Versuch. Denn die Smart City wurde von Grund auf neu gebaut:
"Diese Stadt wurde förmlich aus dem Boden gestampft. Alles wurde gezielt und geplant hochgezogen. Die ganze Infrastruktur wurde extra groß aufgebaut… und zwar so, dass Straßen und Fußgängerwege auch in Zukunft, also in zehn oder 15 Jahren noch passen. Das ist das Schlaue an der Stadt."
Songdo gab es vor 20 Jahren noch gar nicht. Dort wo jetzt reihenweise Hochhäuser aus dem Boden schießen, war bis 2003 noch das Meer. Dieses Wattgebiet wurde einfach aufgeschüttet und das neu gewonnene Terrain zur Smart City erklärt. Bedenken von Naturschützern wurden beiseite geschoben, die Stadtplaner hatten ehrgeizige Pläne.
Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Songdo sollte eine Stadt werden, in der dank technischer Hilfsmittel alles reibungslos funktioniert. Bestes Beispiel: die Abfallentsorgung.
"Das ist das Abfallsystem. Von hier aus geht das zur zentralen Sammelstelle, wo immer die auch ist. Das weiß keiner."
Strenge Abfallkontrolle
Der Abfall wird streng kontrolliert. Wer etwas wegwerfen möchte, braucht einen Badge mit einem Chip, den man an den Schacht mit der Klappe halten muss. Nur wenn der Chip erkannt wird, öffnet sich die Klappe und man kann den Müll hineinlegen. Die Tüte wird dann weggesaugt und in eine zentrale Müllentsorgungsstation geschickt. Dabei darf nur der Restmüll in den Schacht.
Es gibt eine strikte Mülltrennung, vieles kommt in spezielle Container und nicht in die Absauganlage. Wer etwas Falsches wegsaugen lässt, muss darauf gefasst sein, dass er Post von der Stadtaufsicht bekommt.
Die Daten, die bei Dilruk da Silva, Elisabeth Jung und den rund 100.000 anderen Bewohnern von Songdo anfallen, werden größtenteils zentral verwaltet.
Hyonkon Lee ist einer der Verantwortlichen für die Technik der koreanischen Smart City. Er überwacht gemeinsam mit seinem Team die Stadt, rund um die Uhr, jeden Tag. Eine kleine Halle mit unzähligen Bildschirmen, auf denen die Videos tausender Kameras zu sehen sind. Die Objektive stehen überall in Songdo, an jeder Straße, jeder Ampel, an jedem Fußgängerübergang und in den Tiefgaragen.
"Wenn eine der Bildschirmkräfte etwas Auffälliges bemerkt, dann arbeiten hier die Polizisten", erklärt Hyonkon Lee. "Wenn der Operator glaubt, dass es eine gefährliche Situation gibt, ruft der die Einsatzkräfte an und sagt, passt mal auf, an dieser oder jener Stelle stimmt was nicht, schaut da mal hin. Und das dauert dann weniger als zehn Minuten."
Geräuschanalyse in der ganzen Stadt
In Songdo stehen nicht nur überall Kameras, sondern auch Mikrofone. Jedes Geräusch wird registriert. Die Aufnahmen werden mit Hilfe künstlicher Intelligenz analysiert und nach auffälligen Mustern durchsucht.
"Das ist unser Geräuschanalysesystem. Wenn ungewöhnlicher Lärm festgestellt wird, ein Fenster kaputt geht zum Beispiel oder ein Auto crasht, so krchh, krchhh, dann wird beim Operator sofort ein Alarm angezeigt."
Sicherheit auf hohem Niveau dank ausgefeilter Technik. Doch nicht alle sind zufrieden mit dem Konzept von Songdo.
Chunga Cha ist der Gründer einer Stiftung mit dem Namen Reimaging Cities, die mehrere Smart City Projekte in verschiedenen Ländern betreut. Cha, ein älterer Herr im Architektenlook mit schwarzer Brille und dunklem Rollkragenpulli, lädt zum Cappuccino in sein Atelierhaus in einer Villengegend von Seoul. Er kommt viel herum in der Welt, wie er erzählt und er hat vielleicht auch deshalb einen etwas kritischeren Blick. Die Macher von Songdo glaubt er, würden viele Möglichkeiten verschenken. Die Steuerungs-Tablets in den Appartements sind seiner Ansicht nach überflüssig.
"Ich finde, das braucht es nicht wirklich. Das sind lustige Spielereien. Aber ich denke, es gäbe bessere Möglichkeiten, um in einer Smart City Technologie einzusetzen. Eine der wesentlichen Fragestellungen wäre doch, wie können wir Daten sammeln und auswerten, so dass dadurch verbesserte Abläufe entstehen. Also Daten verwenden, um den Energieverbrauch wirklich zu senken oder den Verkehr oder den Lärm oder den Feinstaub. Wie können wir den Feinstaub aus den Gebäuden draußen halten, so dass die Leute drinnen gesünder leben und arbeiten."
Die Technik für die Smart City hat zum Teil der US-Konzern Cisco geliefert. Nach Überzeugung mancher Experten ein weiterer Fehler, den Songdo, aber auch andere Smart Cities machen. Sie begeben sich in Abhängigkeit von großen Unternehmen. Was aber passiert, wenn die Konzerne irgendwann keine Updates mehr für ihre digitale Technik liefern können oder wollen? Weil es unrentabel ist oder weil der Konzern vielleicht sogar Pleite gegangen ist. Lassen sich dann Türen nicht mehr öffnen, bleiben dann Aufzüge stecken oder die Räume kalt?
Kein guter Ort für Fußgänger
Songdo ist ein von oben verordnetes Vorzeigeprojekt. Auch diesen Top-Down-Ansatz, wie Cha es nennt, kritisiert der Stadtplaner. Seiner Ansicht nach geht dabei vieles unter, was für Bewohner in Songdo wichtig wäre.
"Warum ist Songdo kein Erfolg? Erstens ist es sehr schlecht an die öffentlichen Verkehrsmittel angeschlossen. Es liegt zwar nahe am Flughafen, aber wenn ich von Songdo nach Seoul in die Stadtmitte will, dann dauert das eine Stunde und 40 Minuten. Das ist katastrophal. Die sollten alles tun, um eine Verbindung von 45 Minuten zu schaffen, so dass die Leute da einfach hinkommen.
Zweitens: Songdo ist nicht sehr fußgängerfreundlich. Da gibt es zehnspurige Strassen. Aber keiner geht zu Fuss. Nur in einem kleinen Teil der Stadt, wo viele Cafes und Restaurants sind, ist das besser. Und dann gibt es diesen Central Park. Der ist schön. Da gibt's einen Fahrradweg und breite Gehwege. Aber man kommt von da aus nirgens hin. Diese Verbindungen für Fußgänger und Radfahrer fehlen ganz."
Songdo hat den Schwerpunkt auf Kontrolle und Verwaltbarkeit gesetzt, nicht unbedingt auf Bürgernähe ... auch wenn Elisabeth Jung in ihrem Apartment noch eine Anwendung praktisch findet. Als wir uns verabschieden, ruft sie über ihr Wandtablet den Aufzug.