Smarte Homefitness

Die Personal-Trainerin im eigenen Wohnzimmer

07:45 Minuten
Ein Mann macht Fitness vor einem Fitness-Spiegel.
Selbstbespiegelung im eigenen Wohnzimmer, mit dem Fitness-Spiegel. © Deutschlandradio / Gregor Lischka
Von Gregor Lischka · 11.01.2022
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Seit Beginn der Pandemie boomen Fitnessgeräte für das eigene Zuhause. Home-Bikes oder Fitness-Spiegel versprechen ein "vollkommen neues Sporterlebnis". Aber möchte man direkt vom Homeoffice zum Homefitness wechseln?
Was habe ich mit dem mächtigsten Mann der Welt gemeinsam? Wir beide, Joe Biden und ich, sind im Besitz eines digitalen Home-Gym-Geräts.
Bei Biden ist es ein Indoor-Spinning-Bike, bei mir ein etwa mannshoher Spiegel, der da für ein paar Wochen jetzt in meinem Wohnzimmer steht. Ein Spiegel, der in etwa so aussieht wie ein riesiges Iphone. Glatte Kanten, elegantes Schwarz, alles ist Touchscreen. Und: Er motiviert mich, Sport zu machen. Auf der spiegelschwarzen Oberfläche sehe ich nämlich nicht nur meine Reflektion, ich sehe eine Art digitales Fitnessstudio.

Etliche Fitness-Kurse zur Auswahl

Pilates, Bellicon Bootcamp, Meditation oder Latin Dance: Es gibt fast 1000 Fitness-Kurse on demand, durch die ich mich swipen und dann vor dem Gerät nachturnen kann, Live-Kurs-Angebote. Bewegungsanalysen: Alles erscheint virtuell vor mir im Spiegel. Was ich dann synchron vor dem Spiegel nachturne. Es ist tatsächlich ein Hauch von Science-Fiction. So stelle ich mir auch den Betriebssport auf der Enterprise vor.
Ein Mann wählt auf einem Fitness-Spiegel Parameter aus.
Etliche Kurse kann der Nutzer beim Fitness-Spiegel auswählen.© Deutschlandradio / Gregor Lischka
So eine Technologie hat natürlich ihren Preis. 2300 Euro kostet der Spiegel allein in der Anschaffung, 40 Euro bezahlt man dann noch jeden Monat zusätzlich für den Zugang zu den Fitnesskursen und sonstige Angebote. Ich nutze das Gerät des noch jungen deutschen Unternehmens Vaha. Den Umsatz des amerikanischen Konkurrenzunternehmens Mirror schätzt das Wirtschaftsmagazin Forbes bereits auf 100 Millionen US-Dollar. Für den Marktführer Peloton ist Home-Fitness bereits ein Milliardengeschäft. 
Janine ruft an. „Du kannst mich gut hören und sehen?”, fragt sie. Ja, kann ich. Von Kopf bis Fuß sichtbar erscheint Personal-Trainerin Janine vor mir im Spiegel. Mit ihr arbeite ich so – also von Spiegelbild zu Spiegelbild – einmal pro Monat an meiner “Journey”, also meinem Trainingsplan. Diese Motivationsrhetorik ist natürlich auch bei den digitalen Home-Gym-Geräten manchmal etwas drüber. 
Aber ganz ehrlich: Die kennt man auch genauso aus dem Fitnessstudio. Und im Vergleich zum Fitnessstudio-Abo haben die Home-Geräte laut meinem Personal Trainer Janine einen ganz klaren Vorteil, nämlich Flexibilität für die Kunden. „Es ist eine riesige Zeitersparnis, zu mir muss niemand fahren.“ Der Kurs sei zwar online, aber trotzdem mit Verbindlichkeit. „Wenn wir Trainingsziele vereinbaren, und du weißt, ich schau in dein Profil, und du weißt, wir sehen uns nächsten Monat wieder“, dann bleib ich halt auch eher dran am Training.

Selbstbeobachtung im Spiegel

Mittlerweile bin ich ganz schön fasziniert von den Möglichkeiten und Features dieser Heim-Geräte, und damit bin ich nicht allein. Per Videocall zeige ich einem “Fitness-Forscher” meinen Spiegel. „Ich bin total geflasht. Das bündelt ganz viele Dinge, die in der Geschichte der Fitness sehr wichtig sind“, sagt Professor Jürgen Martschukat. Er hat erforscht, wie sich die Fitnessbranche in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.
Er versucht mir und sich zu erklären, warum diese smarten Home-Fitness-Geräte so einen Reiz ausüben. Eins sei die visuelle Selbstbeobachtung. „Die Frage der Ästhetik ist total wichtig. Deswegen hängen ja auch die Studios voll mit Spiegeln, in denen sich die Leute selber trainieren sehen, um sich gewissermaßen immer selber zu vergewissern, wie ist eigentlich meine Performance?“

Flexibel zu Hause trainieren

Nebst der Selbstbeobachtung bietet so ein modernes Fitnessgerät laut Martuschek zweitens auch den Anreiz der Selbstkontrolle. Wann habe ich wie viel Sport gemacht?  Welche Muskelpartien habe ich wann wie lange beansprucht? Das alles wird erfasst und soll die Kundinnen und Kunden anspornen.
Der dritte interessante Aspekt sei der „eigene Trainer im Wohnzimmer“, sagt Martuschek. „Das ist ja auch etwas, das durchbricht mit Jane Fonda und der Aerobic-Bewegung und der Erfindung des Videorecorders in den 1970er-Jahren.“ Als man eine Videokassette einschieben und zu Hause trainieren konnte. „Es liegt alles in unserer Hand. Ich muss mich noch nicht mal mehr der Routine eines Trainingskurses unterwerfen, weil ich theoretisch ja abschalten kann, wenn ich will.“
Selbstbeobachtung, Selbstkontrolle und der flexible Heimzugang, alles in einem. Die neuen Geräte könnten die Fitness-Branche auf Dauer verändern. Und was ich bei mir zu Hause auch bemerke: Der Spiegel sieht auch einfach aus wie ein schickes Lifestyle-Produkt, dafür designed sich in jede Wohnung zu integrieren. 
Und dann ist es bei der Homefitness wie mit dem Homeoffice: Arbeit, Sport, das Zuhause verschmelzen miteinander. Die Frage ist natürlich, ob man das auch wirklich will? Den eigenen Trainingsplan immer vor Augen zu haben.
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