Das bakterielle Örtchen
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Aus Angst vor Keimen tragen immer mehr Menschen kleine Fläschchen mit Desinfektionsgel mit sich herum. Als ein besonders gefährlicher Bakterienherd gilt das Smartphone. Immer dabei, in der Hand und im Gesicht – und auf dem Klo. Ist das ein absolutes No-Go?
Die Warnungen sind seit vielen Jahren immer wieder zu hören. In regelmäßigen Abständen scheinen Studien herauszukommen, die ein und dasselbe Ergebnis haben: Smartphones sind Bakterienschleudern. Schlimmer als Klobrillen, Türklinken oder Spülschwämme.
Die Hauptschuld ist schnell ausgemacht: Wir nehmen das Smartphone mit aufs Klo, schreiben dort Nachrichten, scrollen durch Instagram und verteilen Likes.
Allerdings: Die Panikmache ist völlig übertrieben.
Das Smartphone ist keine bakterielle Supergefahr und es erscheinen auch nicht wöchentlich Studien dazu. Meistens beziehen sich die Artikel auf andere Artikel, die sich auf wenige, dafür oft zitierte Studien beziehen.
Eher mäßig belastet
Die am meisten zitierte Studie wurde im Jahr 2012 von der Universität Arizona veröffentlicht. Der deutsche Forscher Markus Egert von der Universität Furtwangen ist da viel zurückhaltender. Deren eigene Studie von 2014 ergab eine eher mäßige Belastung, wie er gegenüber dem Südwestrundfunk erklärt.
"Das Smartphone ist gar nicht so ein Hotspot wie man immer denken könnte. Da geht zwar viel durch die Presse, aber wir haben selber mal Untersuchungen gemacht, die zeigen, eine Mikrobe fühlt sich doch recht einsam auf einer Handyoberfläche. Handys sind trocken, sehr glatt und man reinigt sie ja doch häufig, in dem ichs an der Hose abwische, am T-Shirt, das ist kein wirklich guter Lebensraum für Mikroben."
Ein Befragung des Medien und Design Instituts der Universität Toronto ergab schon im Jahr 2013, dass fast 75 Prozent der unter 30-Jährigen auf der Toilette surfen oder texten. Seitdem hat diese Praxis in allen Altersklassen zugenommen. Es scheint bei vielen Menschen gute Gründe für das Smartphone auf dem Klo zu geben, das einstmals stille Örtchen zum Hot Spot zu machen.
Kontamination des stillen Örtchens
"Als ich das zum ersten Mal reflektiert und auch bei anderen beobachtet habe, da ging es mir so, dass das eine merkwürdige Vermischung ist, die dort stattfindet. Auch eine Art von Kontamination. Eigentlich, wie ich das aus der Literatur auch kannte, ist das Klo eher ein möglichst leerer Raum in den man sich eher zurückziehen kann, in die eigene Gedankenwelt."
Michael Holzwarth ist Künstler und Essayist. Er hat 2018 ein kleines Büchlein über die Toilette geschrieben: "Das Gute Klo. Erkundungen eines psychosozial unterschätzen Ortes." Dort reflektiert er diesen Raum anhand persönlicher und literarischer Erfahrungen. Georges Hyvernaud beispielsweise schrieb in "Haut und Knochen" von 1949:
"Wenn ich ein prägnantes und mustergültiges Bild des Glücks zeichnen will, denke ich an Klosetts. Klosetts, umgeben von weißen Wänden, hell gekachelt und mit einem Riegel davor. Eine weiße, glänzende, cremige Stille (...) Ich habe reichlich Zeit und alle Freiheit der Welt. Ich kann Selbstgespräche führen, Gedichte lesen. Oder über die Unsterblichkeit der Seele nachdenken, wenn ich Lust dazu habe…"
Die Träume des Kriegsgefangenen Hyvernaud, der sich vor allem den privaten Ort des Klos wünschte, steht in Kontrast zum heutigen Gebrauch mit dem Smartphone.
Wir nehmen die ganze Welt mit. Doch vielleicht fühlen wir uns eben auf dem Klo so wohl mit dem Telefon, weil der abgeschlossene und private Raum genau der richtige ist für das privateste Gerät, das die Menschheit jemals besaß.
"Klo heißt ja, kommt von closed, klosett. Es ist ein geschlossener Raum", sagt Michael Holzwarth. "Und genau das machen wir ja, wenn wir überhaupt das Smartphone vor die Nase halten, begeben wir uns eigentlich in ein imaginäres Klo, wir schließen uns ab, wir schließen uns aus."
Die Toilette als private Telefonzelle
Das Telefon ist ein kurzer Abschied in andere Kommunikationsorte. Und so alltäglich es geworden ist, so gilt es doch in manchen Situationen immer noch als unhöflich. Wer bei Freunden zu Gast ist, im Restaurant sitzt oder auf der Tanzfläche steht. Der Gang zur Toilette dagegen ist immer gesellschaftlich akzeptiert. Der Journalist Moritz Stadler rief schon 2016 auf Spiegel Online dazu auf, dieses Verhalten nicht mehr zu stigmatisieren.
"Es gibt keinen Grund, sich für die Smartphone-Zuwendung am stillen Örtchen zu schämen oder gar zu versuchen, sie zu unterlassen. Es ist nicht nur praktisch, sondern sogar umsichtig, auf der Toilette das Smartphone zu benutzen, um Nachrichten zu lesen oder zu chatten."
In Clubs deutscher Großstädte, die besonderen Wert auf Privatsphäre legen, ist das fotografieren verboten. Im Berghain oder im Institut für Zukunft in Leipzig müssen Gäste ihre Kameralinsen am Eingang abkleben. Ähnliche Verbote gibt es aber auch in Wuppertal, Köln und Hamburg. Das Smartphone als Kanal nach draußen, innen nur die Club-Realität. Damit wird die Toilettenkabine, seit jeher ein mystischer Ort in Techno-Clubs, nun auch private Telefonzelle.
Smartphones und Toiletten sind bei näherer Betrachtung eine passende Symbiose. Regelmäßige Reinigung vorausgesetzt. Ansonsten hat der Mikrobiologe Markus Egert noch einen ganz einfachen und weit verbreiteten Tipp.
"Die Hände waschen. Das reicht. Da ist man vor vielen Krankheiten, Magen-Darm-Infekten, aber auch Erkältungskrankheiten im Winter, gut geschützt."