"Stärker als Kokain"
Die Stadt Vilnius hat einen Fußgängerweg extra für Smartphone-Junkies eingeführt, damit die nicht vor ein Auto laufen. Für den Journalisten Simon Straus sind Smartphones wie harte Drogen. Verteufeln will er sie dennoch nicht.
Dieter Kassel: Eigentlich sollte man ja, wenn man eine Straße entlangläuft, aufmerksam gucken, was vor einem und neben einem liegt, man muss es aber nicht mehr unbedingt überall ständig. Vilnius zum Beispiel hat jetzt auch einen Fußgängerweg für Menschen eingerichtet, die immer auf ihr Smartphone gucken. Das gibt es schon unter anderem in Antwerpen und einer chinesischen Millionenstadt, und auch in Vilnius hat man jetzt einen großen Pfeil eingezeichnet, sodass man auch mit dem Blick nach unten sich nicht verlaufen kann und auch sich selbst und andere nicht gefährden. Das sind 300 Meter in Vilnius, aber woanders ist es schon viel mehr, und die Frage ist: Wird das ein Trend, zu sagen, anstatt die Leute wirklich dazu zu zwingen, doch mal wegzugucken vom Handy, Städte so zu bauen, dass es möglich ist, immer aufs Handy zu gucken.
Wir wollen darüber mit Simon Strauss reden. Er ist Historiker, Schriftsteller und Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", und er hat vor Kurzem einen Text veröffentlicht, in dem er schon in der Überschrift das Smartphone als die totalitärste Erfindung und das totalitärste Produkt der Geschichte bezeichnet hat. Schönen guten Morgen, Herr Strauss!
Simon Strauss: Guten Morgen!
Kassel: Man muss in Vilnius mal ganz kurz die ganze Geschichte erzählen. Es gibt diesen Weg, der Handynutzer-Dauerdraufgucker-optimiert ist, und gleichzeitig mit der Eröffnung dieses Weges ist ein Gesetz in Kraft getreten, das besagt, dass man beim Übertreten oder
-fahren einer Kreuzung gar nicht mehr aufs Handy gucken darf. Diese Kombination müsste eigentlich ganz in Ihrem Sinne sein, oder?
-fahren einer Kreuzung gar nicht mehr aufs Handy gucken darf. Diese Kombination müsste eigentlich ganz in Ihrem Sinne sein, oder?
Strauss: Ja, das mag sozusagen von der Gesamtheit alles stimmen. Ich finde, es ist nur eine Metapher auf das ganze Problem, und das lautet: Diktieren wir eigentlich sozusagen der Technik, wo es langgeht oder diktiert die Technik uns die Marschrichtung? Und da ist es natürlich eine unfreiwillig komische Metapher auf das Ganze, was nämlich heißt, dass es schon lange keine technologische Frage mehr alleine ist, mit der wir uns hier zu beschäftigen haben, sondern eine psychologische, wenn nicht gar emotionale, geschichtliche Frage.
Funktionale Möglichkeiten nicht unterschätzen
Kassel: Wobei Sie aber ja schon weitergegangen sind in Ihrem Text. Sie sagen ja, wenn – und den Eindruck kann man ja haben – Appelle, Diskussionen nichts nutzen, dann brauchen wir eine staatliche Regulierung der Handynutzung. Ist das Provokation, um die Diskussion in Schwung zu kriegen oder meinen Sie das ernst?
Strauss: Natürlich ist es erst mal Provokation. Ich meine, das Ganze war eine sogenannte Glosse, das heißt, da geht es immer um Überspitzung, Übertreibung. Aber ich glaube in der Tat, dass man nicht unterschätzen darf, dass es neben den enormen funktionalen Möglichkeiten, die uns die Handynutzung bietet, die sie auch mir bietet – ich benutze sie wie jeder andere auch mit großem Vergnügen für die Funktionen, die man dadurch hat ..., aber man darf eben nicht unterschätzen, dass dadurch auch ein gehöriger psychologischer Einschnitt verbunden ist, der, glaube ich, in der ganzen, sozusagen im Überblick der Erfindungen der Menschheitsgeschichte nur mit der Elektrizität zu vergleichen ist, in der eben, wie Sie schon sagten, totalitären Ummantelung des Individuums, die dadurch einhergeht.
Erfindungen müsse Kulturkritik aushalten können
Kassel: Aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann mich noch an Debatten erinnern, so alt bin ich zwar auch noch nicht, 50 Jahre, aber ich kann mich an Debatten erinnern, da wurde fast ein bisschen ähnlich über das Fernsehen geredet. Okay, das kann man nicht mitnehmen, wenn man die Straße überquert, oder damals konnte man das nicht, aber da wurde auch gesagt, es ist ab einer bestimmten Zeit zu viel, die Leute glotzen und verdummen. Sicherlich kann man heutzutage sagen, es war vielleicht nicht ganz falsch, aber die Welt ist damals nicht untergegangen, es ist nicht immer bei allen Erfindungen, die sehr intensiv genutzt wurden, so, dass dann immer irgendjemand kam und sagte, früher ohne das Ding war es besser?
Strauss: Ja, das ist sicherlich richtig, nur ich würde sagen, keine Erfindung ist dann reif für die Moderne, wenn sie nicht auch eine gewisse Kulturkritik aushält, und so ist es natürlich auch mit dem Telefon. Man kann natürlich immer rufen, ach, das ist langweilige Kulturkritik, aber, wie gesagt, eine Erfindung ist erst dann stark und widersprüchlich genug, wenn sie auch die Kritik aushält. Ich würde trotzdem sagen, es handelt sich bei dem Telefon, bei dem Mobiltelefon, beim tragbaren Telefon mit Internetnutzung schon noch mal um einen anderen Punkt.
Es geht einfach darum, dass man ein ganz bestimmtes Zeitregiment dadurch aufgestülpt bekommt. Wir leben alle unser normales alltägliches Leben und merken doch, dass das Telefon uns – gibt es ja Statistiken zu – alle drei Minuten einen Blick abverlangt, und das ist natürlich etwas, was radikal sich unterscheidet zu vorherigen Erfindungen, weil sie unsere Zeitpolitik völlig durcheinander bringt und uns auch das Gefühl gibt, wir haben immer weniger Zeit, obwohl das ja objektiv natürlich Quatsch ist. Wir haben genauso viel Zeit wie vorher, aber das ist ein entscheidender Punkt. Es ist ein psychologisches Problem und ein temporales Problem beziehungsweise eine Herausforderung, so würde ich es nennen, mit der man klug und natürlich auch provokativ umgehen muss.
Die Abhängigkeit akzeptieren
Kassel: Aber nun zieht sich ja gerade diese Kritik, dass die Zeit, die uns ein Handy ja durchaus auch sparen kann durch einige praktische Funktionen, wir mindestens komplett, wenn nicht sogar viel mehr als die wieder loswerden, weil wir eben, wie Sie eben gerade gesagt haben, ständig draufgucken, weil immer was piept, diese Kritik zieht sich ja von den Feuilletons bis hin zu psychologischen Fachbüchern. Nur was ich mich frage, ist, was sollen wir denn dagegen tun? Ich meine, jeder einzelne wird Ihnen wahrscheinlich erzählen, na ich mach das nicht, ich guck da nicht immer drauf, aber die meisten tun es ja doch.
Strauss: Ja, also wie gesagt, Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, deswegen würde ich sagen, keiner von uns, die das kritisieren, sind frei davon. Man muss erst mal akzeptieren, das ist eine wirklich relativ große Mache, ich würde fast auch sagen Droge ist, die stärker ist als jedes Kokain oder jede Ideologie, die man heute so zu sich nehmen kann. Das ist eine leichtere und gleichzeitig viel schwerere Droge, weil man merkt die Konsequenzen nicht sofort. Also erst mal akzeptieren, dass man drogenabhängig ist, würde ich sagen, und dann muss man schauen, gibt es Möglichkeiten, wie man sich selbst reglementieren kann und wie man merken kann auch, dass bestimmte Konzentration auf Sachlagen und auf Texte und so weiter dann erst herstellbar sind, wenn man das Ding mal weglegt oder ausmacht. Das ist sehr schwierig, aber wie gesagt, ich würde sagen, jeder Drogenabhängige muss auch erst mal damit klarkommen, dass er merkt, dass er abhängig ist.
Kassel: Ich erwähne normalerweise bei solchen Gespräche wie diesem nicht das Alter meiner Gesprächspartner, meistens ist es ja auch ziemlich wurscht. Bei Ihnen – man kann das bei der "FAZ" nachlesen, ich verrate hier kein Geheimnis –, Sie sind Jahrgang 1988. Dann frage ich mich ein bisschen, Herr Strauss, haben Sie nicht, wenn Sie sagen, Handy viel zu viel, und so ein bisschen Sehnsucht nach einer Welt, die Sie doch eigentlich selber gar nicht mehr so richtig miterlebt haben, Sie sind doch eigentlich mit diesen Dingern fast so knapp schon aufgewachsen?
"Ein hochinteressantes Paradoxon"
Strauss: Ja, natürlich, und ich würde auch niemals verhehlen, dass es eine ganz bestimmte, sozusagen eine Sehnsucht dabei gibt zu sagen, wie war das eigentlich, als man sich noch vollständig auf Gespräche konzentrieren konnte, als man noch sozusagen von Texten und meinetwegen Bildern alle Kraft gezogen hat und vor allem eine ganz bestimmte Konzentrationsebene erreicht hat, die dann auch produktiv wurde, weil das ist ja noch ein weiterer Punkt: Die Frage, die ich mir schon stelle, ist, inwieweit ist die Nutzung des Smartphones … führt zu Produktivität, zu produktiven Veränderungen, sagen wir mal im Politischen oder auch Sozialen.
Ich meine, das ist ja ein hochinteressantes Paradox: Wir kommunizieren viel mehr als früher, und wir haben das Gefühl, wir sind viel politischer als früher, weil wir viel mehr Informationen über das Smartphone erhalten und von viel mehr Kenntnis nehmen und viel mehr Menschen untereinander zu tun haben, aber was folgt wirklich daraus, das ist doch die interessante Frage, die gerade für eine jüngere Generation doch hochrelevant sein müsste. Wo ist sozusagen ihre Verantwortung, und wo ist auch ihre Produktivität, und da bin ich im Zweifel. Ich würde ja nicht sagen, dass ich es weiß, überhaupt nicht, ich bin einfach nur im Zweifel und frage mich, ob dieses technologische Instrument uns wirklich dabei hilft, Verantwortung zu übernehmen, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, ja oder nein.
Kassel: Bleiben halt immer Fragen offen, ob mit oder ohne Handy. Simon Strauss war das, Feuilletonautor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Schriftsteller, Historiker über das, was er durchaus ganz ernsthaft als Sucht bezeichnet, nämlich unseren – nicht alle, es gibt immer Ausnahmen, aber –, den Umgang vieler Menschen mit ihrem Smartphone. Herr Strauss, herzlichen Dank für dieses Gespräch über das Mobilfunknetz!
Strauss: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.