So allerlei Erschwingliches

Von Frank Politz |
"Es gibt aber auch allerlei Erschwingliches", sagt Sotheby's. Zum Beispiel Servietten mit eingesticktem Wappen der Welfen. Schätzpreis so um die 500 bis 800 Euro. Andere Sachen sind nicht gar so billig. Egal, etwa 20.000 Kunstwerke und Altertümer kommen vom 5. bis 15. Oktober auf Schloss Marienburg unter den Hammer. Die Söhne von Welfen-Chef Ernst-August führen Regie, weil die Welfen Geld brauchen. Onkel Heinrich ist über die Auktion entsetzt.
Und wieder was verkloppt. Buchstäblich. Im Minuten-Takt wird Kasse gemacht. Richtig satt. Kribbelnde Atmosphäre. Für Erstbesucher, aber auch erfahrene Versteigerungs-Gäste:

Frau: "Wenn man auf 'ner Auktion mal war, dann hat man Blut geleckt. Und im Vergleich zur Auktion beim Markgraf von Baden - ich glaube, vor fünf Jahren circa -, ist es für mich interessant zu wissen, wie es nun hier mit dem Haus Hannover ist. "

Das Haus Hannover, das sind die Welfen. Neben den Hohenzollern quasi so 'was wie der FC Bayern München des deutschen Adels: Tiefstes blaues Blut. Für die Familie trotzdem kein Hindernis für einen Streit wie unter Kesselflickern. Grund: Eben der Nobel-Flohmarkt. Auch Fachleute kritisieren den. Aber dazu später mehr. Erst mal zurück zur Auktion.

Einige bieten per Telefon, zumeist ganz Reiche, andere sind persönlich da. Auffallenderweise keine Promis. Nur ganz normale Leute, ohne Protz und Pracht. Doch oft täuscht das. Wer hier die Hand hebt, leistet keinen Offenbarungseid, sondern hat gut Geld in der Tasche. So wie eine ältere, graumelierte Dame. Zur Dekoration ihrer heimischen Diele sucht sie ein paar Kleinigkeiten:

Frau: "Zum Beispiel irgendwelche Ritter-Rüstungen, ne, oder so 'was. "

Alte blecherne Kampfes-Kleider kosten zwar mindestens 20.000 laut Anfangsgebot. Aber das sei kein Problem, sagt der Gatte der Dame:

Mann: "Da hat sie vollkommen freie Hand von mir. "

Großzügigkeit des gehobenen Bürgertums: Wer hat, der hat eben. Und wer nicht so viel hat, muss sich halt etwas einschränken. Wie zum Beispiel dieser junge Vater. Für seine kleine Familie müht er sich momentan um eine erste bescheidene Bleibe:
Mann: "Also, wir sind gerade dabei, 'ne alte Scheune auszubauen und wir suchen noch das eine oder andere Accessoire, vielleicht auch 'n schönes Möbelstück, oder so. Bis zu 5000 würd' ich mir das schon überlegen. "

Übrigens sind nicht nur solch Minderbemittelte unter den Auktionsbesuchern. Es gibt noch schlimmere Gruppen. Eine davon ist bei den Veranstaltern besonders unbeliebt; was man freilich nie offen sagen würde, aber es ist so. Gemeint sind jene Gäste, die bloß gucken, kein Geld da lassen und dann auch noch vor Journalisten rummäkeln:

Umfrage:
Frau: "Ich finde, es ist sehr viel schlechte Qualität dabei. "
Mann: "Ich habe den Eindruck, dass es nicht das Top-Angebot ist, das man hätte erwarten können. "
Frau: "Uninteressanter alter Plunder. Auf Deutsch gesagt: Flohmarkt-Artikel. "

Worte, die an Heinrich Graf von Spreti abtropfen wie Wasser von einer Teflon-Pfanne. Der Adels-Mann lässt solche Kritik nicht im Mindesten gelten. Das aber ist auch nicht weiter verwunderlich, bei seinem Job. Von Spreti ist nämlich Präsident von Sotheby's Deutschland, der bundesrepublikanischen Filiale des berühmten englischen Auktionshauses. Und seine Untergebenen erledigen für die Welfen diese - wie der Herr Graf betont haben möchte - äußerst bedeutungsvolle Versteigerung:

Von Spreti: "Das Volumen, das hier versteigert wird, ist größer wie das in Baden-Baden und auch größer wie das in Regensburg. Baden-Baden war die Auktion 1995, die Sammlung der Markgrafen und Groß-Herzöge von Baden. Und Thurn und Taxis, da mein ich die Auktion 1993 von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis in Schloss Regensburg. Und hier eine Auktion zu haben mit Objekten aus kurfürstlichem und königlichem Besitz, das hatten wir noch nicht. "

Das gräfliche "hier" heißt: Marienburg. Um genau zu sein übrigens keine Burg, sondern ein Schloss. Und was für eins:

Gäb's nicht schon das bayerische Neuschwanstein, die Marienburg wär dann wohl die Mutter aller Schlösser: Zinnen hier, Erkerchen da, Türmchen dort. Der Stammsitz der Welfen, auf einem bewaldeten Hang etwa eine halbe Stunde südlich von Hannover - ein Bau wie aus dem Märchenbuch. Und die Geschichte der Marienburg ist ebenfalls märchenhaft. Jedenfalls der Anfang. Es war einmal ein blinder Welfen-König, Georg der Fünfte. Und wie das bei Königs oft so war, hatte auch der, trotz seines Handicaps, eine schöne junge Frau. Die hieß - na, wie wohl? - Marie. Das Schloss war ein Geburtstagspräsent Georgs an Marie, jedoch mit einem kleinen Haken: Es war noch nicht gebaut, so der heutige Welfen-Bevollmächtigte Mauritz von Reden:

Von Reden: "Die Schenkung war 1857. Im gleichen Jahr wurde auch mit dem Bau begonnen, ging relativ schnell. Richtfest war 1859, und die Inneneinrichtung, die filigrane Feingestaltung, hat dann bis 1866 angedauert. Dann wohnte die Königin Marie ungefähr ein dreiviertel Jahr hier in diesem Haus, bis 1867. "

Danach jedoch ging's gar nicht märchenhaft weiter. Grund: Ähnlich wie heute gab's damals ein paar Probleme in punkto Regierungsbildung. Georg der Fünfte verschwand ins Exil nach Österreich, Marie folgte ihm.

Beide kehrten sie nie wieder zurück. Die Marienburg jedoch, die blieb als Privateigentum im Besitz der Welfen-Familie. Zugegeben: Alles Lexikon-Wissen. Das muss man nicht wirklich drauf haben. Höchstens für die Millionenfrage von Günter Jauch. Oder aber, man hört eben gerade diesen Beitrag. Dann ist das zum besseren Verständnis schon nötig. Weil die Welfen den Versteigerungserlös in eine Stiftung investieren wollen zum Erhalt ihrer Besitztümer, wie unter anderem eben der Marienburg. Und die ist gegenwärtig auch Schauplatz der Auktion. Für manche Gäste allerdings ein etwas gewöhnungsbedürftiger Ort:

Frau: "Ich find's hauptsächlich skurril. Also, man sitzt hier in so 'nem alten, schon beeindruckenden Gemäuer auf so 'nem Berg, und dann steht da so 'n Zelt mit blauem Teppich. Das ist alles so 'n bisschen lieblos oder unromantisch, würd' ich sagen. Und dann muss man da hinten irgendwie auf so Dixie-Klo's gehen, weil's hier nicht mal 'ne Toilette gibt (Lachen). "

Die gibt's zwar schon, aber natürlich nicht für's gewöhnliche Volk. Wär' ja auch noch schöner, wenn jeder einfach so auf dem Thron der Welfen Platz nehmen könnte. A propos Platz: Der wurde langsam knapp auf der Marienburg. Auf den Dachböden und in den Kellergewölben hatte sich im Lauf der Zeit so einiges angesammelt. Und bei Adeligen ist das ja meist doch immer ein klein bisschen mehr als bei Hartz-IV-Empfängern. So viel war's bereits, das man schon Depots außerhalb des Schlosses nutzen musste. Deswegen der Nobel-Flohmarkt mit vielen Stücken, die gut 100 Jahre, teils gar noch länger Staub angesetzt haben. Damit ist nun Schluss. Jetzt kommen sie unter den Hammer, werden zu Geld gemacht. Denn die Welfen, so der Frankfurter Kunstberater Christoph Graf Douglas, der die Auktion vorbereitet hat, die Welfen hätten sich gesagt:

Douglas: "Das ist genug, 100 Jahre, 150 Jahre diese Dinge hier zu bewahren. Wir können sie nicht gebrauchen, es ist zu viel. Aber die Lager, die wollen wir aufräumen. "

So wurde denn entrümpelt, und zwar kräftig. Um die 20.000 Gegenstände kamen dabei zusammen, aus der Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Alles Sachen, mit denen das heutige Prinzenhaus nichts mehr anfangen kann oder die doppelt und dreifach da sind: Gemälde, Ritter-Rüstungen, Schwerter und sonstige Waffen, Uniformen, Porzellan und Möbel, Bestecke, Uhren und Textilien. Ja, sogar ein Marschall-Stab mit Gold-Knauf wurde ausgesondert, und zwei silberne Kessel-Pauken will man ebenfalls verscherbeln. Sie gehörten einst zur berittenen Leibgarde eines Welfen, der nicht nur auf dem Kontinent regierte, sondern auch auf der englischen Insel: Georg der Dritte, König von Großbritannien und Irland. Allein diese beiden Pauken sollen etwa einhundert bis zweihunderttausend Euro bringen. Die teuersten Stücke aber sind das nicht. Den höchsten Preis, nämlich circa 750.000, den erhofft man sich von zwei russischen Vasen mit edlen Motiven. Zur angepeilten Käuferzielgruppe dabei die Sotheby's-Mitarbeiterin Nette Megens:

Megens: "Die neuen reichen Russen kaufen gern russische Sachen zurück, und dann nicht neuere Stücke, sondern wirklich die alten Stücke. Außerdem hat man hier natürlich eine wunderbare Bemalung nach Rubens-Gemälden hergestellt, von russischen Künstlern übrigens. Und das erklärt den Preis. "

Der ist auch keineswegs illusorisch, wie der bisherige Auktionswerdegang zeigt. Der adelige Räumungsverkauf läuft richtig gut:

20.000 - Kleinkram. Für manche Sachen, unter anderem Öl-Gemälde, wurden schon einige Hunderttausend hingeblättert. Bereits vorigen Freitag, am Tag 2 nach Versteigerungsbeginn, war der insgesamt erhoffte Auktionserlös von zwölf Millionen weit überstiegen. Bis zum Ende, am kommenden Samstag, werden jetzt rund 30 Millionen erwartet. Das wird Auktionsgeschichte machen, triumphierte Heinrich Graf von Spreti schon, der Präsident von Sotheby's Deutschland. Kunstexperten dagegen sprechen von einer inszenierten Jubelarie. Die Schätzungen und Mindestgebote seien extra niedrig angesetzt worden, um viele Käufer zu animieren. Das waren Lockpreise; so kann ich mir auch selber einen Erfolg basteln, sagt beispielsweise Hans Ottomeyer. Der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin hat für sein Haus selbst einige Stücke ersteigern lassen und bezeichnete die Auktion als Geschichtsvernichtung. Das Land Niedersachsen, moniert der Professor, hätte sich schon im Vorfeld intensiver einschalten müssen. Da gehe nämlich ein großes Stück Landeshistorie über den Tresen. Auch andere Fachleute wählten harsche Worte. Niedersächsisches Kulturgut werde einfach verscherbelt, hieß es, und: Mit der Auktion auf der Marienburg werde ein Gesamt-Kunstwerk zerschlagen. Das hannoversche Kultur-Ministerium hielt dagegen, vor der Versteigerung seien umfangreiche Prüfungen gemacht worden. Und Christoph Graf Douglas, der Frankfurter Kunstberater der Welfen, erwidert auf all die Kritik:

Douglas: "Das ist meiner Ansicht nach vollständiger Unsinn. Wir hatten alle Objekte nach Amsterdam gebracht, um sie zu katalogisieren, und dann haben wir alle Direktoren der Museen in Niedersachsen, der Hauptmuseen, nach Amsterdam eingeladen. Die haben sich alles angeschaut und haben das Recht gehabt, vor der Auktion zu kaufen. Und diejenigen, die kritisieren, wissen nicht, dass man hier mit privater Hand ein großes Schloss erhalten muss und noch ein Palais und noch ein Haus. Und diese Stiftung, die gegründet wird, und alles Geld wird ja in diese Stiftung fließen, werden diese Häuser erhalten. Also, wir haben das so oft durchgesprochen, so klar dargelegt, dass die Kritik wirklich unsinnig ist."

Aber unfruchtbar blieb sie nicht. Mehrere Objekte sind jetzt nämlich aus der Versteigerung gestrichen. Der Streit mit den Kunstexperten, er ist übrigens nicht der einzige Schatten über dem Räumungsverkauf der Welfen. Auch mit Strafverfolgern gab's Ärger. Beamte des Landeskriminalamtes Niedersachsen kamen dieser Tage auf die Marienburg und kassierten aus dem Auktionsgut diverse Waffen ein. Thomas Klinge, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover:

Klinge: "Es handelt sich insgesamt um 37 Schusswaffen, die sichergestellt worden sind. Das teilt sich auf in zehn Langwaffen, also Gewehre, mehrschüssige, und in 27 Kurzwaffen, Revolver und ähnliches, wobei man dazu sagen muss, dass es sich durchweg um historische Waffen handelt, die also schon sehr alt sind. Dennoch unterliegen diese Waffen aber dem deutschen Waffengesetz. Sie müssen eingetragen werden, wenn man sie besitzt, in eine Waffen-Besitzkarte. Dies ist offensichtlich nicht erfolgt."

Was ebenfalls nicht erfolgt ist, und zwar innerhalb der Welfen-Familie: eine harmonische Abstimmung über den Millionen-Flohmarkt. Deswegen herrscht ziemlich starker Zoff. Hintergrund: Veranstalter der Auktion sind offiziell zwar die beiden ältesten Söhne von Ernst-August, bekannt als schlagkräftiger Clan-Häuptling und in zweiter Ehe verheiratet mit Caroline von Monaco. Sein jüngerer Bruder aber, Prinz Heinrich von Hannover, vermutet, dass Ernst-August selbst hinter der Versteigerung steckt. Und die empfindet Hoheit Heinrich als ganz üble Nummer:

Heinrich: "Das ist eine wahnsinnige Schmieren-Komödie. Also, mein Bruder ist durch seinen Alkoholkonsum in die Fittiche von schmierigen Kunsthändlern gekommen, die glauben, meinen Bruder beraten zu müssen oder meine Familie zu beraten, um dann eben alles zu verbraten. Da sind jetzt Saugnäpfe an unserem Familienoberhaupt. Er merkt es nicht, und seine Söhne schon lange nicht."

Kulturelles Erbe werde jetzt in Bares umgesetzt, beklagt Heinrich, und das ärgere ihn. Manch' Otto Normalbürger in und um Hannover dagegen ärgert sich über was anderes. Nämlich darüber, dass die Welfen beim großen Geldzählen nach der Auktion keine Abzüge fürchten müssen. Die Riesen-Versteigerung ist laut niedersächsischem Finanzministerium eine Veräußerung von Privatvermögen - und wird daher vom Fiskus lediglich so behandelt, wie jeder kleine Garagen-Flohmarkt. Heißt: Die 30 oder noch mehr Millionen, die da bis Samstag zusammen kommen werden, sie bleiben komplett steuerfrei.
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