So entstehen Hörspiele fürs Radio
Wie funktioniert das Geschichtenerzählen im Radio? Und wie erarbeiten Sie eigentlich ein solches Stück? Das fragen wir die renommierten Schriftstellerinnen Esther Dischereit und Marlene Streeruwitz - beide wurden bereits für ihre Hörspiele ausgezeichnet.
Joachim Scholl: Die Schriftstellerin Esther Dischereit wurde als Lyrikerin und Essayistin bekannt, hat aber dabei immer – und das sehr erfolgreich – für den Rundfunk gearbeitet. Mit akustischen Inszenierungen, Hörspielen und Klangperformances, für die Esther Dischereit auch ausgezeichnet wurde. Sie ist jetzt für uns ins Studio gekommen, guten Tag, Frau Dischereit!
Esther Dischereit: Guten Tag!
Scholl: Ebenfalls für unseren Radiotag konnten wir Marlene Streeruwitz gewinnen. Die österreichische Schriftstellerin hat Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Essays geschrieben, wurde vielfach mit Preisen bedacht, auch für ihre Hörspiele, Hörwerke, wie sie diese Arbeiten auch nennt, als Autorin und Regisseurin. Heute erreichen wir Marlene Streeruwitz in London, von wo sie uns aus einem Studio der Kollegen der BBC zugeschaltet ist. Willkommen, Frau Streeruwitz!
Marlene Streeruwitz: Schönen Nachmittag, hallo, Esther!
Dischereit: Ja, guten Tag!
Scholl: Sie gehören beide der Generation an, die noch nicht mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, Anfang der 1950er-Jahre sind Sie beide geboren. Können Sie sich noch an Ihre ersten Erlebnisse mit dem Radio erinnern, Frau Streeruwitz?
Streeruwitz: Ja, das war der Fernseh-Krimi am Samstagabend, der nicht gehört werden durfte. Und natürlich waren da die Nachrichten zu dieser Zeit, also, die ersten Jahre überhaupt in der russischen Besatzungszone in Österreich waren die Nachrichten ganz wichtig als Lifeline der Identität und des Überlebens. Und wie gesagt, dann die ersten Hörspiele, die diese Kriminalgeschichten waren, die dann nur mein Vater mit seinen Söhnen angehört hat, und das Mädchen durfte nicht!
Scholl: Also gleich ein verbotenes Stück Literatur sozusagen, im Radio für Sie.
Streeruwitz: Ja, ja, richtig.
Scholl: Wie war das bei Ihnen, Frau Dischereit?
Dischereit: Also, ich erinnere mich überhaupt gar nicht zunächst an Radio, sondern an Schallplatten, an Claire Waldoff, auch an Elvis Presley. Und meine Erinnerung an Radio setzt eigentlich etwas später ein mit Beatles und Rolling Stones.
Scholl: Das heißt, Musik war da das Entscheidende.
Dischereit: Da war Musik das Entscheidende und da ging es auch darum, ob man die jetzt hören darf oder eben nicht, und ob das irgendwie nicht so das Richtige ist für so junge Ohren und solche Sachen.
Scholl: Wann wurde das Medium bei Ihnen, Frau Dischereit, dann sozusagen auch zum Künstlerischen, ab wann entdeckten Sie das Radio für Ihre Arbeit? Ab wann spielte das eine Rolle?
Dischereit: Ja, merkwürdigerweise vermittelt dadurch, dass Radiostücke ich nicht etwa hörte, sondern las. Das war ja früher sehr üblich, dass dann so wichtige Stücke wie von Günter Eich oder Marie Luise Kaschnitz, auch Max Frisch, die wurden gedruckt. Und ich las die. Und das ist auch lange Zeit so geblieben, ich habe überhaupt gar kein Hörstück live gehört, sondern ich habe es gedruckt gesehen und es hat mich immer total angeregt.
Scholl: Wie war das bei Ihnen, Frau Streeruwitz? Ihr literarischer Weg hat, wenn ich richtig informiert bin, im Theater und auch im Radio begonnen?
Streeruwitz: Der hat im Radio begonnen und das war so, dass ich in meinem eigenen Schreiben an einem Punkt angekommen war, an dem es nicht weiterging. Das war so Mitte 30. Und ich musste dann sehr lange im Krankenhaus liegen, und im Krankenhaus gab es damals noch kein Fernsehen, sondern – was auch, glaube ich, ganz gut ist – nur so ein seltsames Ding, das herunterhing, und da war auch ein Radiosender. Man konnte an einem Ohr hören. Und da habe ich dann in diesen Wochen jeden zweiten Abend ein Hörspiel gehört und habe da so eine Art Schule durchgemacht, und habe aber daraus auch ein Begehren entwickelt, das zu machen. Natürlich, in einer etwas schwierigen Situation erreichen einen Emotionen anderer ja leichter, aber da war dieses … Das hat etwas richtig aufgebrochen, dieses viele Hörspielhören, und ich wollte das selber machen. Weil die Sinnlichkeit einfach schon da ganz klar war.
Scholl: Das verwirrt mich jetzt gerade, Frau Streeruwitz, das finde ich interessant, weil Sie sagen, Sie waren schon in den 30ern, als Sie wirklich das Medium erstmals entdeckten. Sie wurden dann wirklich auch ja eine gefeierte Hörspielautorin, relativ schnell, aus dem Stand, aber vorher gab es noch gar keine Bezüge oder Beziehungen?
Streeruwitz: Nicht so, dass ich sagen könnte, es wäre jetzt eine Neigung gewesen, sondern etwas, was so mitgenommen wurde. Sie müssen sich das aber auch so vorstellen, dass eine alleinerziehende Mutter, die Geld verdient und schreibt, relativ wenig Hörspiele hört.
Dischereit: Kann ich auch nur bestätigen!
Streeruwitz: Und dass da dann auch, was ich sehr gerne habe, dass eine Gattung sich mir einmal so ganz klar darstellt und dann überwinde ich sie.
Scholl: Dieser Faktor ist natürlich von einer stupenden Realität, alleinerziehende Mütter haben keine Ruhe und keine Zeit, Hörspiele zu hören, Frau Dischereit hat sofort genickt und zugestimmt. Wo sind Sie denn in die Radioakustikschule gegangen, wenn es überhaupt eine gab, Frau Dischereit?
Dischereit: Ja, das ist schwer zu beschreiben, es gab eigentlich keine. Ich glaube, dass es so rum gewesen ist, dass mein literarisches Schreiben, also die Prosa, schon sehr stark stimmlich konstruiert war und ich eigentlich immer das Gefühl hatte, ich schreibe Stimmen. Und eines Tages hielt ich es einfach nicht mehr aus und dachte, jetzt muss ich ein Stück schreiben. Konnte das überhaupt noch nicht irgendwie zuordnen mit Rollen oder sonst wie, sondern sagte einfach, hier sind die Stimmen! Und dann traf ich auf Stefanie Hoster von Deutschlandradio, die sofort in der Lage war …
Scholl: Unsere Hörspielchefin.
Dischereit: Ja, sie war sofort in der Lage zu erkennen, erstens dass es Stimmen sind und zweitens dass es Szenen sind. Und ja, ab da war ich ermutigt, weiterzumachen.
Scholl: Wir wollen uns ein erstes Klangbeispiel anhören, einen Auszug aus einem Hörspiel von Marlene Streeruwitz, 1989 vom ORF – vom Österreichischen Rundfunk – produziert, und Sie haben selbst Regie geführt, Frau Streeruwitz, bei dem Stück "Kaiserklamm. Und. Kirchenwirt". Und dort geht es um den Karli, der versucht, einen neuen Weltrekord im Klammüberqueren auf dem Seil aufzustellen, und dabei sind verschiedene Beobachter mit im Spiel, die entweder mitzittern oder zynisch-voyeuristisch schauen, ob er stürzt oder nicht, und ob der Rekord natürlich gelingt. Hören wir daraus ein, zwei Minuten!
(Auszug)
Scholl: Ein Auszug aus dem Hörspiel "Kaiserklamm. Und. Kirchenwirt" von Marlene Streeruwitz aus dem Jahr 1989, die Kollegen des ORF haben uns diesen Auszug zur Verfügung gestellt. Frau Streeruwitz, Sie haben einmal von Ihren Hörspielen als "Hörwerken" gesprochen. Das heißt, es ist mehr als nur inszeniertes Erzählen, sondern da kommt alles hinzu, Klang, Geräusch, die Modulation der Stimmen. Wie erarbeiten Sie eigentlich ein solches Stück?
Streeruwitz: Ja, wenn ich das alleine machen darf und kann, dann gibt es eine ganz kalte Aufnahme von allem, also alles extra, alles allein, niemand spricht mit jemandem, das mache dann alles ich im Studio. Und dadurch entsteht so eine schöne, klirrende Kälte und Genauigkeit. Und, ja, da war es jetzt so, dass ich dann auch einspringen musste, weil wir keine Schauspielerin für die Selbstmörderin hatten Das sind auch, das sind für mich auch Hochzeiten. Also, das ist für mich eine wunderbare Zeit, in der mit Sinnlichkeit geschrieben wird. Und das ist einfach wunderbar und macht auch großen Spaß.
Scholl: Das heißt aber auch, das Erzählen fürs Radio in dieser Form unterscheidet sich gänzlich vom traditionellen Schreiben, Erzählen für den Leser, das gedruckte Buch?
Streeruwitz: Na ja, ich schreibe auch Texte, die dann von einem Regisseur oder einer Regisseurin umgesetzt werden, das können die dann auch besser, während ich mit einem Zettel, einer Einkaufsliste und drei Szenen ins Studio gehe und mir das dann im Studio erst zusammen baue. Das heißt, ich kann dann auf die Stimme der Schauspielerin oder des Schauspielers ganz genau eingehen, was die nun bedeutet, und daraus weiterbauen. Das heißt, ich gehe nicht mit einem fixen Text hin, sondern … Also, bei einem Hörspiel hat sich auch zum Beispiel das Machtverhältnis bei Schwestern vollkommen verändert, weil die eine Stimme, also, die eine Schauspielerin hat das einfach übernommen. Und dadurch musste ich alles umstellen. Da folge ich dem Material einfach gerne.
Scholl: Das Radio konserviert ja die älteste literarische Tradition, die es gibt, das mündliche Erzählen nämlich. Eine Geschichte geht von Mund zu Mund. Frau Dischereit, wir wollen uns gleich auch von Ihnen eine Kostprobe anhören, aber zuvor: Wie gehen Sie mit dieser mündlichen Form um, wenn Sie an eine Arbeit gehen, die nicht nur oder vielleicht gar nicht auf dem Papier steht?
Dischereit: Ich glaube nicht, dass ich so ohne Weiteres an die Erzähltradition da anknüpfen könnte in der Art, wie ich arbeite. Ich komme ja auch gewöhnlich nicht mit Geschichten im Sinne eines Anliegens, dass ich jetzt, wie man das eben Kindern erzählt, also von A bis B und dann das Ende, sondern ich komme tatsächlich mit diesem Bündel an Stimmen, mit lyrischen Versetzungen, mit dem Heraustreten aus jedem realen Raum. Und das finde ich auch das ganz Besondere dieses Mediums, dass ich gleichzeitig real und irreal … Ich kann bewusst und unbewusst, ich kann innen und außen sein. Das gibt ungeheure Möglichkeiten.
Scholl: Jetzt hören wir uns mal an, wie das beispielsweise klingt, Frau Dischereit! Sie haben uns etwas mitgebracht, es hat einen wundervollen Titel, "Nothing to Know but Coffee to Go". Sagen Sie uns ein paar Worte dazu?
Dischereit: Ja, das ist ein Hörstück, das 2007 von Deutschlandradio produziert wurde. Und das Besondere an diesem Stück ist, dass zunächst mal, als es auf dem Tisch erschien, gesagt wurde, das kann man gar nicht machen. Nicht machen, also, nicht im Sinne, das gefällt mir nicht – das darf ja auch sein –, sondern das kann man gar nicht machen! – Warum denn nicht? Man wird merken, wenn man das ganze Stück vor sich hat, dass das Radio es fertiggebracht hat, 31 Menschen zu besetzen in diesem Stück! Und ich denke, dass es großartig funktioniert! Inhaltlich geht es um eine bestimmte Form von Ortlosigkeit von Leuten, die ihre vielleicht sicher geglaubten Identitäten eigentlich immer nur auf der Reise haben oder im Koffer. Also Menschen, die eigentlich faktisch nichts bei sich haben außer diesem Coffee to go!
((Ausschnitt))
Scholl: "Nothing to Know but Coffee to Go", ein Auszug aus dem Hörspiel von Esther Dischereit, opulent produziert von uns, von Deutschlandradio Kultur. Frau Dischereit, Frau Streeruwitz, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte mit Ihnen noch ein wenig in die Zukunft der Produktionsbedingungen schauen. Sie beide sind in jener Epoche des Radios groß geworden, als das Hörspiel, auch die Literatur im Radio, in seiner Blüte stand. Und so wie ich von Ihnen beiden jetzt höre, ist das auch immer noch so, dass Sie die Möglichkeiten durchaus haben, dass das Erzählen im Radio in dieser Form, ja, mit diesen wunderbaren Collagen und Stimmen, dass das durchaus möglich ist. Wie erleben Sie das?
Streeruwitz: Ich habe das nicht mehr.
Scholl: Sie haben das nicht mehr?
Streeruwitz: Nein, die Dramaturgin Angela Sustow ging im WDR in Pension und seither gibt mir niemand mehr die Gelegenheit, weil es natürlich ein riesiger Aufwand, Vorschuss …
Scholl: … Aufwand ist …
Streeruwitz: … und niemand letzten Endes damit dann auch seine eigene Karriere aufbauen kann. Und da gibt es einen, glaube ich, für mich sehr starken Paradigmenwechsel, sodass ich jetzt eigentlich die Hörspieltexte einfach weggebe. Ich würde das sehr gern machen, aber ich sehe da jetzt mal keine …
Scholl: Was heißt weggeben?
Streeruwitz: Ja, für Regie. Also, da macht das wer anderer.
Scholl: Aber das ist durchaus noch weiterhin gefragt?
Streeruwitz: Das ist vorhanden, ja. Das geht auch, wie gesagt, das geht gut, aber das Selbst-Machen, da gibt es jetzt also sozusagen niemanden, der das mit vertritt. Das war beim WDR und das war großartig, weil die Studios da ganz toll sind!
Scholl: Wie ist das bei Ihnen, Frau Dischereit?
Dischereit: Ich möchte gerne noch nachtragen, dass die Regie für diesen Ausschnitt von "Nothing to Know but Coffee to Go" Robert Schoen gemacht hatte. Ich arbeite ja nicht so, dass ich die Regie selber mache, insofern habe ich jetzt an diesem Punkt auch nicht ein anderes oder neues Problem. Ich denke, dass die Rolle des Radios, eben auch eine Plattform zu sein, um Kunstformen zu kreieren, um Kunstformen Raum zu geben, auch Sachen, die eben nicht Mainstream-mäßig gebraucht werden oder – das ist ja überhaupt ein merkwürdiger Ausdruck, der Zusammenhang von Kunst und Brauchen –, da wäre eine ganz wichtige Aufgabe. Ich meine, im digitalen Zusammenhang stellen sich natürlich neue Fragen, also wie die Rechte der Autoren auf der einen Seite dastehen und auf der anderen Seite Verwertungsrechte und der freie Zugang, eigentlich Teilhabe am kulturellen Schaffen, und zwar für die breite Öffentlichkeit. Technisch ist das ja jetzt möglich und da muss es, glaube ich, auch andere Formen, neue Formen geben.
Scholl: Ich danke Ihnen beiden! Frau Dischereit, vielen Dank, dass Sie bei uns waren, Frau Streeruwitz, einen Gruß nach London.
Streeruwitz: Gerne, schönen Tag noch in Berlin!
Scholl: … schön, dass Sie Zeit für uns hatten! Alles Gute für Ihre Arbeit und wir wünschen uns natürlich von Ihnen beiden noch weiterhin schöne Hörstücke und dass Sie die Möglichkeit haben, sie zu produzieren!
Streeruwitz: Danke!
Dischereit: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Esther Dischereit: Guten Tag!
Scholl: Ebenfalls für unseren Radiotag konnten wir Marlene Streeruwitz gewinnen. Die österreichische Schriftstellerin hat Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Essays geschrieben, wurde vielfach mit Preisen bedacht, auch für ihre Hörspiele, Hörwerke, wie sie diese Arbeiten auch nennt, als Autorin und Regisseurin. Heute erreichen wir Marlene Streeruwitz in London, von wo sie uns aus einem Studio der Kollegen der BBC zugeschaltet ist. Willkommen, Frau Streeruwitz!
Marlene Streeruwitz: Schönen Nachmittag, hallo, Esther!
Dischereit: Ja, guten Tag!
Scholl: Sie gehören beide der Generation an, die noch nicht mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, Anfang der 1950er-Jahre sind Sie beide geboren. Können Sie sich noch an Ihre ersten Erlebnisse mit dem Radio erinnern, Frau Streeruwitz?
Streeruwitz: Ja, das war der Fernseh-Krimi am Samstagabend, der nicht gehört werden durfte. Und natürlich waren da die Nachrichten zu dieser Zeit, also, die ersten Jahre überhaupt in der russischen Besatzungszone in Österreich waren die Nachrichten ganz wichtig als Lifeline der Identität und des Überlebens. Und wie gesagt, dann die ersten Hörspiele, die diese Kriminalgeschichten waren, die dann nur mein Vater mit seinen Söhnen angehört hat, und das Mädchen durfte nicht!
Scholl: Also gleich ein verbotenes Stück Literatur sozusagen, im Radio für Sie.
Streeruwitz: Ja, ja, richtig.
Scholl: Wie war das bei Ihnen, Frau Dischereit?
Dischereit: Also, ich erinnere mich überhaupt gar nicht zunächst an Radio, sondern an Schallplatten, an Claire Waldoff, auch an Elvis Presley. Und meine Erinnerung an Radio setzt eigentlich etwas später ein mit Beatles und Rolling Stones.
Scholl: Das heißt, Musik war da das Entscheidende.
Dischereit: Da war Musik das Entscheidende und da ging es auch darum, ob man die jetzt hören darf oder eben nicht, und ob das irgendwie nicht so das Richtige ist für so junge Ohren und solche Sachen.
Scholl: Wann wurde das Medium bei Ihnen, Frau Dischereit, dann sozusagen auch zum Künstlerischen, ab wann entdeckten Sie das Radio für Ihre Arbeit? Ab wann spielte das eine Rolle?
Dischereit: Ja, merkwürdigerweise vermittelt dadurch, dass Radiostücke ich nicht etwa hörte, sondern las. Das war ja früher sehr üblich, dass dann so wichtige Stücke wie von Günter Eich oder Marie Luise Kaschnitz, auch Max Frisch, die wurden gedruckt. Und ich las die. Und das ist auch lange Zeit so geblieben, ich habe überhaupt gar kein Hörstück live gehört, sondern ich habe es gedruckt gesehen und es hat mich immer total angeregt.
Scholl: Wie war das bei Ihnen, Frau Streeruwitz? Ihr literarischer Weg hat, wenn ich richtig informiert bin, im Theater und auch im Radio begonnen?
Streeruwitz: Der hat im Radio begonnen und das war so, dass ich in meinem eigenen Schreiben an einem Punkt angekommen war, an dem es nicht weiterging. Das war so Mitte 30. Und ich musste dann sehr lange im Krankenhaus liegen, und im Krankenhaus gab es damals noch kein Fernsehen, sondern – was auch, glaube ich, ganz gut ist – nur so ein seltsames Ding, das herunterhing, und da war auch ein Radiosender. Man konnte an einem Ohr hören. Und da habe ich dann in diesen Wochen jeden zweiten Abend ein Hörspiel gehört und habe da so eine Art Schule durchgemacht, und habe aber daraus auch ein Begehren entwickelt, das zu machen. Natürlich, in einer etwas schwierigen Situation erreichen einen Emotionen anderer ja leichter, aber da war dieses … Das hat etwas richtig aufgebrochen, dieses viele Hörspielhören, und ich wollte das selber machen. Weil die Sinnlichkeit einfach schon da ganz klar war.
Scholl: Das verwirrt mich jetzt gerade, Frau Streeruwitz, das finde ich interessant, weil Sie sagen, Sie waren schon in den 30ern, als Sie wirklich das Medium erstmals entdeckten. Sie wurden dann wirklich auch ja eine gefeierte Hörspielautorin, relativ schnell, aus dem Stand, aber vorher gab es noch gar keine Bezüge oder Beziehungen?
Streeruwitz: Nicht so, dass ich sagen könnte, es wäre jetzt eine Neigung gewesen, sondern etwas, was so mitgenommen wurde. Sie müssen sich das aber auch so vorstellen, dass eine alleinerziehende Mutter, die Geld verdient und schreibt, relativ wenig Hörspiele hört.
Dischereit: Kann ich auch nur bestätigen!
Streeruwitz: Und dass da dann auch, was ich sehr gerne habe, dass eine Gattung sich mir einmal so ganz klar darstellt und dann überwinde ich sie.
Scholl: Dieser Faktor ist natürlich von einer stupenden Realität, alleinerziehende Mütter haben keine Ruhe und keine Zeit, Hörspiele zu hören, Frau Dischereit hat sofort genickt und zugestimmt. Wo sind Sie denn in die Radioakustikschule gegangen, wenn es überhaupt eine gab, Frau Dischereit?
Dischereit: Ja, das ist schwer zu beschreiben, es gab eigentlich keine. Ich glaube, dass es so rum gewesen ist, dass mein literarisches Schreiben, also die Prosa, schon sehr stark stimmlich konstruiert war und ich eigentlich immer das Gefühl hatte, ich schreibe Stimmen. Und eines Tages hielt ich es einfach nicht mehr aus und dachte, jetzt muss ich ein Stück schreiben. Konnte das überhaupt noch nicht irgendwie zuordnen mit Rollen oder sonst wie, sondern sagte einfach, hier sind die Stimmen! Und dann traf ich auf Stefanie Hoster von Deutschlandradio, die sofort in der Lage war …
Scholl: Unsere Hörspielchefin.
Dischereit: Ja, sie war sofort in der Lage zu erkennen, erstens dass es Stimmen sind und zweitens dass es Szenen sind. Und ja, ab da war ich ermutigt, weiterzumachen.
Scholl: Wir wollen uns ein erstes Klangbeispiel anhören, einen Auszug aus einem Hörspiel von Marlene Streeruwitz, 1989 vom ORF – vom Österreichischen Rundfunk – produziert, und Sie haben selbst Regie geführt, Frau Streeruwitz, bei dem Stück "Kaiserklamm. Und. Kirchenwirt". Und dort geht es um den Karli, der versucht, einen neuen Weltrekord im Klammüberqueren auf dem Seil aufzustellen, und dabei sind verschiedene Beobachter mit im Spiel, die entweder mitzittern oder zynisch-voyeuristisch schauen, ob er stürzt oder nicht, und ob der Rekord natürlich gelingt. Hören wir daraus ein, zwei Minuten!
(Auszug)
Scholl: Ein Auszug aus dem Hörspiel "Kaiserklamm. Und. Kirchenwirt" von Marlene Streeruwitz aus dem Jahr 1989, die Kollegen des ORF haben uns diesen Auszug zur Verfügung gestellt. Frau Streeruwitz, Sie haben einmal von Ihren Hörspielen als "Hörwerken" gesprochen. Das heißt, es ist mehr als nur inszeniertes Erzählen, sondern da kommt alles hinzu, Klang, Geräusch, die Modulation der Stimmen. Wie erarbeiten Sie eigentlich ein solches Stück?
Streeruwitz: Ja, wenn ich das alleine machen darf und kann, dann gibt es eine ganz kalte Aufnahme von allem, also alles extra, alles allein, niemand spricht mit jemandem, das mache dann alles ich im Studio. Und dadurch entsteht so eine schöne, klirrende Kälte und Genauigkeit. Und, ja, da war es jetzt so, dass ich dann auch einspringen musste, weil wir keine Schauspielerin für die Selbstmörderin hatten Das sind auch, das sind für mich auch Hochzeiten. Also, das ist für mich eine wunderbare Zeit, in der mit Sinnlichkeit geschrieben wird. Und das ist einfach wunderbar und macht auch großen Spaß.
Scholl: Das heißt aber auch, das Erzählen fürs Radio in dieser Form unterscheidet sich gänzlich vom traditionellen Schreiben, Erzählen für den Leser, das gedruckte Buch?
Streeruwitz: Na ja, ich schreibe auch Texte, die dann von einem Regisseur oder einer Regisseurin umgesetzt werden, das können die dann auch besser, während ich mit einem Zettel, einer Einkaufsliste und drei Szenen ins Studio gehe und mir das dann im Studio erst zusammen baue. Das heißt, ich kann dann auf die Stimme der Schauspielerin oder des Schauspielers ganz genau eingehen, was die nun bedeutet, und daraus weiterbauen. Das heißt, ich gehe nicht mit einem fixen Text hin, sondern … Also, bei einem Hörspiel hat sich auch zum Beispiel das Machtverhältnis bei Schwestern vollkommen verändert, weil die eine Stimme, also, die eine Schauspielerin hat das einfach übernommen. Und dadurch musste ich alles umstellen. Da folge ich dem Material einfach gerne.
Scholl: Das Radio konserviert ja die älteste literarische Tradition, die es gibt, das mündliche Erzählen nämlich. Eine Geschichte geht von Mund zu Mund. Frau Dischereit, wir wollen uns gleich auch von Ihnen eine Kostprobe anhören, aber zuvor: Wie gehen Sie mit dieser mündlichen Form um, wenn Sie an eine Arbeit gehen, die nicht nur oder vielleicht gar nicht auf dem Papier steht?
Dischereit: Ich glaube nicht, dass ich so ohne Weiteres an die Erzähltradition da anknüpfen könnte in der Art, wie ich arbeite. Ich komme ja auch gewöhnlich nicht mit Geschichten im Sinne eines Anliegens, dass ich jetzt, wie man das eben Kindern erzählt, also von A bis B und dann das Ende, sondern ich komme tatsächlich mit diesem Bündel an Stimmen, mit lyrischen Versetzungen, mit dem Heraustreten aus jedem realen Raum. Und das finde ich auch das ganz Besondere dieses Mediums, dass ich gleichzeitig real und irreal … Ich kann bewusst und unbewusst, ich kann innen und außen sein. Das gibt ungeheure Möglichkeiten.
Scholl: Jetzt hören wir uns mal an, wie das beispielsweise klingt, Frau Dischereit! Sie haben uns etwas mitgebracht, es hat einen wundervollen Titel, "Nothing to Know but Coffee to Go". Sagen Sie uns ein paar Worte dazu?
Dischereit: Ja, das ist ein Hörstück, das 2007 von Deutschlandradio produziert wurde. Und das Besondere an diesem Stück ist, dass zunächst mal, als es auf dem Tisch erschien, gesagt wurde, das kann man gar nicht machen. Nicht machen, also, nicht im Sinne, das gefällt mir nicht – das darf ja auch sein –, sondern das kann man gar nicht machen! – Warum denn nicht? Man wird merken, wenn man das ganze Stück vor sich hat, dass das Radio es fertiggebracht hat, 31 Menschen zu besetzen in diesem Stück! Und ich denke, dass es großartig funktioniert! Inhaltlich geht es um eine bestimmte Form von Ortlosigkeit von Leuten, die ihre vielleicht sicher geglaubten Identitäten eigentlich immer nur auf der Reise haben oder im Koffer. Also Menschen, die eigentlich faktisch nichts bei sich haben außer diesem Coffee to go!
((Ausschnitt))
Scholl: "Nothing to Know but Coffee to Go", ein Auszug aus dem Hörspiel von Esther Dischereit, opulent produziert von uns, von Deutschlandradio Kultur. Frau Dischereit, Frau Streeruwitz, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte mit Ihnen noch ein wenig in die Zukunft der Produktionsbedingungen schauen. Sie beide sind in jener Epoche des Radios groß geworden, als das Hörspiel, auch die Literatur im Radio, in seiner Blüte stand. Und so wie ich von Ihnen beiden jetzt höre, ist das auch immer noch so, dass Sie die Möglichkeiten durchaus haben, dass das Erzählen im Radio in dieser Form, ja, mit diesen wunderbaren Collagen und Stimmen, dass das durchaus möglich ist. Wie erleben Sie das?
Streeruwitz: Ich habe das nicht mehr.
Scholl: Sie haben das nicht mehr?
Streeruwitz: Nein, die Dramaturgin Angela Sustow ging im WDR in Pension und seither gibt mir niemand mehr die Gelegenheit, weil es natürlich ein riesiger Aufwand, Vorschuss …
Scholl: … Aufwand ist …
Streeruwitz: … und niemand letzten Endes damit dann auch seine eigene Karriere aufbauen kann. Und da gibt es einen, glaube ich, für mich sehr starken Paradigmenwechsel, sodass ich jetzt eigentlich die Hörspieltexte einfach weggebe. Ich würde das sehr gern machen, aber ich sehe da jetzt mal keine …
Scholl: Was heißt weggeben?
Streeruwitz: Ja, für Regie. Also, da macht das wer anderer.
Scholl: Aber das ist durchaus noch weiterhin gefragt?
Streeruwitz: Das ist vorhanden, ja. Das geht auch, wie gesagt, das geht gut, aber das Selbst-Machen, da gibt es jetzt also sozusagen niemanden, der das mit vertritt. Das war beim WDR und das war großartig, weil die Studios da ganz toll sind!
Scholl: Wie ist das bei Ihnen, Frau Dischereit?
Dischereit: Ich möchte gerne noch nachtragen, dass die Regie für diesen Ausschnitt von "Nothing to Know but Coffee to Go" Robert Schoen gemacht hatte. Ich arbeite ja nicht so, dass ich die Regie selber mache, insofern habe ich jetzt an diesem Punkt auch nicht ein anderes oder neues Problem. Ich denke, dass die Rolle des Radios, eben auch eine Plattform zu sein, um Kunstformen zu kreieren, um Kunstformen Raum zu geben, auch Sachen, die eben nicht Mainstream-mäßig gebraucht werden oder – das ist ja überhaupt ein merkwürdiger Ausdruck, der Zusammenhang von Kunst und Brauchen –, da wäre eine ganz wichtige Aufgabe. Ich meine, im digitalen Zusammenhang stellen sich natürlich neue Fragen, also wie die Rechte der Autoren auf der einen Seite dastehen und auf der anderen Seite Verwertungsrechte und der freie Zugang, eigentlich Teilhabe am kulturellen Schaffen, und zwar für die breite Öffentlichkeit. Technisch ist das ja jetzt möglich und da muss es, glaube ich, auch andere Formen, neue Formen geben.
Scholl: Ich danke Ihnen beiden! Frau Dischereit, vielen Dank, dass Sie bei uns waren, Frau Streeruwitz, einen Gruß nach London.
Streeruwitz: Gerne, schönen Tag noch in Berlin!
Scholl: … schön, dass Sie Zeit für uns hatten! Alles Gute für Ihre Arbeit und wir wünschen uns natürlich von Ihnen beiden noch weiterhin schöne Hörstücke und dass Sie die Möglichkeit haben, sie zu produzieren!
Streeruwitz: Danke!
Dischereit: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.