"So etwas darf nicht noch einmal passieren"

Friedrich Schneider im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Friedrich Schneider, Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Johannes-Keppler-Universität in Linz, hat sich für internationale Unterstützung von Griechenland ausgesprochen. Es sei "die wesentlich schwierigere und gefährlichere Situation", das Land Pleite gehen zu lassen, sagte Schneider.
Gabi Wuttke: Berlin lässt die Griechen zappeln. Wo möglich sei der EU-Partner ein Fass ohne Boden, und deshalb heißt es knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, kein Risiko für deutsche Steuergelder. Stellen wir uns also mal vor, Griechenland wird in den Bankrott geschickt. Würde die Welt dann wirklich untergehen? Diese und andere Fragen zum Thema hat Professor Friedrich Schneider beantwortet. Zunächst habe ich mit dem Leiter des Fachbereichs Wirtschaft der Johannes-Kepler-Universität in Linz aber darüber gesprochen, dass es ja nicht das erste Mal wäre, dass Griechenland bankrott ginge.

Friedrich Schneider: Griechenland ist schon fünfmal bankrott gegangen, aber auch Deutschland ist schon siebenmal bankrott gegangen und Ähnliches gilt für Österreich, Ungarn. Also dass es Staatspleiten gibt, ist historisch überhaupt nichts Neues, Ungewöhnliches. Das passiert immer wieder, zuletzt Argentinien im Jahr 2001. Ich würde mal hier sehr stark dafür plädieren, etwas mehr Gelassenheit und etwas mehr Augensinn und etwas mehr Kühle im Kopf, bevor man die Volksseele hier zum Kochen bringt, dass hier irgendjemand Pleite geht.

Wenn wir Griechenland wirklich Pleite gehen lassen, ist das nicht nur für Griechenland, sondern auch für den Euro-Raum die wesentlich schwierigere und gefährlichere Situation, weil wir ein EU-Mitglied ja nicht in die Zahlungsunfähigkeit schicken können, dass Anarchie dort ausbricht, und zum anderen, weil dann die Kredite, die ja auch deutsche, Schweizer und andere Banken haben mit griechischen Staatsanleihen, nichts mehr wert wären und diese bereinigt werden müssen, sodass die Banken erneut wieder in Schwierigkeiten gerieten.

Eine rasche gezielte Hilfe mit strengen Auflagen ist aus meiner Sicht unumgänglich und auch die effizienteste und würde auch letztlich dem deutschen Steuerzahler am wenigsten Geld kosten. Griechenland hat zwei Prozent des BIP der Europäischen Union, und Griechenland will ja nichts geschenkt haben, und wenn wir Staatspleiten aus der Vergangenheit betrachten, war es nie so, dass das Geld zu 100 Prozent verloren war. Vielleicht waren mal 20, 30, im Maximalfall 40 Prozent verloren, aber dies wurde meistens auch nach etlichen Jahren wieder zurückgezahlt.

Wuttke: Das heißt, wenn die deutsche Bundesregierung jetzt auf Zeit setzt, tut sie genau das falsche?

Schneider: Ich meine ja, weil dann die Spekulation noch mehr losgeht, weil natürlich dann entsprechend es noch schwieriger wird, die Zinsaufschläge noch weiter steigen und das griechische Dilemma noch stärker vergrößert wird, den Haushalt zu konsolidieren. Ich sehe die Situation Deutschlands, ich sehe die Landtagswahlen, ich bin politischer Ökonom, ich weiß sehr wohl, dass hier für die Regierung viel auf dem Spiel steht.

Ich glaube aber, wenn man nüchtern und sachlich auch der deutschen Bevölkerung erklärt, was Sache ist, wenn man der deutschen Bevölkerung erklärt, wie viel Deutschland von der EU durch den freien Binnenmarkt und durch die Exporte von Deutschland profitiert hat, dass davon fast jeder dritte Arbeitsplatz abhängt, dass die Einsicht bei der Bevölkerung viel größer ist wie die Panikmache bei der Politik.

Wuttke: Wer Griechenland verteidigt, der benutzt das Argument, wir können auf Griechenland nicht verzichten, denn dann geht der Euro den Bach herunter und, weil das Land systemrelevant ist, möglicherweise noch viel mehr. Was sagen Sie?

Schneider: Der Euro würde nicht den Bach heruntergehen ohne Griechenland, aber ich finde, wir sind in der EU auch eine gewisse Solidargemeinschaft mit strengen Spielregeln. Die müssen noch strenger gemacht werden. So etwas darf nicht noch einmal passieren. Da bin ich einverstanden.

Jetzt haben wir eine Notsituation wie beim großen Finanzcrash, wo wir auch sehr rasch den Banken geholfen haben, und da ist ein Teil des Geldes weg. Das war viel, viel mehr, da hat auch niemand gesagt, wer zahlt das, das zahlen ja alle wir, der deutsche Steuerzahler jetzt.

Da wurde ja auch rasch und unbürokratisch geholfen. Das muss jetzt auch geschehen, auch wegen des Euros und auch deswegen, dass man in einer Gemeinschaft nicht einen, wie man so schön sagt, den Bach heruntergehen lässt. Das kann man doch nicht machen. Ich meine, Hilfe mit strengen Auflagen, eine rasche Änderung der Maastrichter Verträge, dann würde so etwas nicht passieren, und ich bin überzeugt: Griechenland hat seine Lektion gelernt.

Wuttke: Sie haben am Anfang unseres Gesprächs darauf hingewiesen, dass Griechenland schon mehrmals Bankrott gegangen ist, genauso wie Deutschland und andere Länder auch. Wie würde so eine geordnete Pleite vonstatten gehen?

Schneider: Na ja, geordnet ist sie nicht immer, wenn man an Argentinien denkt. Es kann Unruhen geben, es kann zu Regierungswechseln, zu Umstürzen kommen. Geordnet wäre eben, dass ich eine neue Währung einführe beispielsweise, dass ich Umschuldungsziele vereinbare, dass ich mit meinen Gläubigern langfristige Rückzahlungen verpflichtend vereinbare und diese dann auch einhalte. So ist es auch in der Geschichte immer gewesen.

Dann halten sich die Verluste auch in Grenzen. Je rascher Griechenland auf die Beine kommt, ein Wirtschaftswachstum hat, desto eher kann es seine Staatsschulden bedienen, desto eher kann es auch garantierte Darlehen mit Zinsen zurückzahlen. Dann hat der deutsche Steuerzahler gar keinen Schaden. Geordnet wäre Hinsetzen mit dem IWF, der hat sehr viel Erfahrung, einen geordneten Finanzplan zu erstellen und etwas längerfristige Rückzahlungsziele hier zu machen.

Dann könnte Griechenland auch im Euro verbleiben. Aber mein Plädoyer geht dahin, eine Änderung der Maastrichter Verträge, dass man jedem Land die Rute ins Fenster stellen kann, wenn du die Spielregeln missachtest, dann können wir dich, wenn auch nur temporär oder auch für Dauer, aus diesem Währungsverbund ausschließen.

Wuttke: Aber Sie kennen das europäische Geflecht und von daher wissen Sie, dass der Umbau der Maastrichter Verträge Jahre dauern würde. Nun haben wir akut den Fall Griechenland, aber wir haben auch noch Spanien, Portugal.

Schneider: Ich will ja nicht die Maastrichter Verträge umbauen; ich möchte einen Zusatzartikel hinzufügen. Der müsste von allen 27 Ländern ratifiziert werden, und der würde nur beinhalten ein Austrittrecht - wenn ein Land den Währungsbund freiwillig verlassen will, dann soll es das können – und ein Ausschließungsrecht. Das wäre ein einfacher Zusatz, der würde vielleicht eine Seite Text haben. Wenn die EU-Regierungschefs wollen, und wenn hier auch die wichtigsten politischen Kräfte in den Ländern mitziehen, kann das schon längstens in ein, zwei Jahren ratifiziert werden. Wissen Sie, wenn es mal unterwegs ist, dann ist schon mal viel gewonnen. Sonst haben wir unter Umständen Dilemmasituationen.

Das ist, wenn die spanische Immobilienkrise sich ausweitet, wenn Irland Probleme hat, wenn Portugal Probleme hat, möglicherweise bekommt Italien Probleme. Also da stimme ich Ihnen zu, und darum sage ich, wenn man Fehler erkannt hat, dann muss man sie rasch reparieren, und wenn den Europäern ihr Euro etwas wert ist – und das ist er ihnen, glaube ich -, werden sie zu einer derartigen Korrektur in der Lage sein.

Wuttke: Besonnen, aber zügig handeln. Das fordert im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Professor Friedrich Schneider. Er leitet den Fachbereich Wirtschaft der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Herr Schneider, vielen Dank für dieses Gespräch, schönen Tag.

Schneider: Danke!