So funktioniert die 007-Formel

Moderation: Ulrike Timm |
In jedem James-Bond-Film spiegelt sich der jeweilige Zeitgeist, dennoch bleibt manches in allen Streifen gleich: Der Psychologe und Buchautor Werner Greve über die Erfolgsformel der Agentenreihe, den Imagewandel der Bond-Girls - und die schlimmste Krise in der Geschichte der 007-Filme.
Ulrike Timm: Der Martini wird geschüttelt, nicht gerührt – seit 50 Jahren ist James Bond im Einsatz, als Geheimagent im Dienste Ihrer Majestät, der Königin. Über eine der populärsten Kinofiguren überhaupt sprechen wir gleich, erst hören Sie Patrick Seibel über James Bond und seine Widersacher. Der erste, das war vor genau 50 Jahren Doktor No.

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Patrick Seibel über James Bond, der wird 50, und wir sprechen über den Geheimagenten Ihrer Majestät jetzt mit einem Mann, der einen Spagat versuchen muss, denn er ist zum einen erklärter Fan und betrachtet die Filme zugleich mit der wissenschaftlichen Distanz des Buchautors und sezierenden Psychologen, und er heißt Greve, Werner Greve. Schönen guten Tag!

Werner Greve: Schönen guten Tag!

Timm: Herr Greve, Sie haben tatsächlich mal alle James-Bond-Filme in chronologischer Reihenfolge geguckt – Chapeau! –, und Sie sagen, das seien Messinstrumente des Zeitgeistes. Was vor allem ist Ihnen denn dabei aufgefallen?

Greve: Das, was einem als erstes auffällt, ist, dass der Bösewicht jeweils die aktuelle politische Konstellation der Weltgeschichte widerspiegelt. Das merkt man, wenn man die hintereinander guckt, sehr, sehr schnell. In den 60ern Kommunisten, in den 70ern Privatleute, in den 80ern sowohl gute als auch böse Kommunisten, in den 90ern wieder Privatleute, je nachdem, was gerade politisch angesagt ist, wird der Bösewicht eine bestimmte politische Intention oder Herkunft haben.

Timm: Also man muss nicht immer Nachrichten gucken, Bond tat es auch.

Greve: Auf jeden Fall, wenn man den groben Trend haben will, reicht Bond völlig.

Timm: Bei aller Zeitgeistigkeit bleibt sich James Bond doch in vielem gleich, auch die Filme bleiben sich in vielem gleich. Sie haben auch eine Bond-Formel ausgemacht – was gehört denn dazu?

Greve: Da gehört eine ganze Menge dazu, wie es der Teaser ja gerade schon gesagt hat. Also es gibt einen Auftrag, es gibt eine Ausrüstung, es gibt relativ früh im Film ein persönliches Opfer, ein Freund oder ein Verbündeter, der getötet wird, sodass Bond auch ein bisschen persönlich motiviert ist. Am Schluss gibt es den Showdown, wo der Hauptbösewicht stirbt oder jedenfalls besiegt wird, ganz am Ende gibt es eine liebevolle Umarmung von der weiblichen Hauptfigur – eine ganze Menge Aspekte, die in allen Filmen gleich sind. Die Variation wird dadurch ja dann umso interessanter.

Timm: Also kann man spannende Filme ganz beruhigt gucken, gehen immer gut aus.

Greve: Bei Bond ist sicher, er wird es auf jeden Fall überleben, das kann man sicher sagen, und man kann auf jeden Fall auch eine ganze Menge typische Szenen wiedererkennen – das Zitat haben Sie ja auch gerade schon benutzt, wenn man Bond, James Bond hört, dann weiß man: Ah, das ist wieder der alte Bond!

Timm: Wie unterschiedlich sind denn die Darsteller von Sean Connery bis Daniel Craig mit der Lizenz zum Töten umgegangen?

Greve: Das ist, finde ich, einer der interessantesten Aspekte. Natürlich muss Bond töten, das ist ja sozusagen sein Geschäft und auch sein Markenzeichen, aber wie er das tut, wie häufig er das tut und wie er dazu steht, hat sich sehr verändert. Bei Sean Connery und jetzt auch bei Daniel Craig wieder ist es sehr kaltschnäuzig, sehr professionell, kaum bewegt, jedenfalls nicht irgendwie mit Bedauern oder so etwas. Bei Roger Moore in den 80ern völlig anders, der droht und warnt vorher ein paar mal: Wenn Sie nicht ... , dann werde ich jetzt ... und ich muss – wenn er es dann getan hat, tut es ihm furchtbar leid und er erklärt dann irgendjemand, dass es leider sein musste. Völlig andere Atmosphäre bei Pierce Brosnan, sehr viel kühler wieder, zwischendurch bei Timothy Dalton auch wieder mit so einem, Leider-ist-es-meine-Pflicht-ein-blöder-Job-einer-muss-ihn-ja-machen-Gehabe. Da zeigt sich der moralische Zeitgeist sehr, sehr fein, genau adjustiert, und deswegen müssen die Darsteller auch von Zeit zu Zeit wechseln, nicht weil sie älter werden, sondern weil die ein anderes Image mit diesem Töten jeweils verbinden.

Timm: Das heißt, das Psychologisieren der 70er, 80er, da musste die Lizenz zum Töten irgendwie anders aufgelöst werden?

Greve: Jedenfalls begründet werden. Das genügte nicht einfach zu sagen, der hat diese Doppelnull, also darf er töten, was in den 60ern reichte und jetzt in den letzten Filmen auch wieder reichte, sondern zwischendurch musste er dann auch noch einen persönlichen Grund haben, irgendwie Rache haben, und obendrein muss es ihm schwerfallen.

Timm: Der Mann bleibt immer Mitte 30, und mittlerweile ist Daniel Craig der sechste James Bond im Einsatz. Wen fanden Sie am besten, als Fan und als Psychologe?

Greve: Ehrlich gesagt fand ich die alle klasse, weil der Trick jeweils ist, dass die Person oder dieses Gesicht und dieser Gestus, der mit dieser Person verbunden ist, in die Zeit passen muss. Daniel Craig hätte 1985 nicht funktioniert, Roger Moore hätte 1965 nicht funktioniert, und ich mag eigentlich eher dieses passgenaue Einfügen in das, was sozial jeweils anschlussfähig und akzeptabel ist.

Timm: Es gab einen völlig erfolglosen Bond, George Lazenby, der kam nur auf eine einzige Folge – niemand erinnert sich mehr an ihn. Hat da die Bond-Formel versagt, was lief da schief?

Greve: Es ist natürlich schwer zu erklären, was da wirklich gewesen ist. Aber ein wichtiger Punkt ist in der Tat, dass die Formel versagte, die haben sie nämlich in einem zentralen Punkt nicht befolgt: Das Ende ist kein Happy End, sondern am Ende stirbt die Partnerin, noch dazu direkt nach der Hochzeit. Man geht aus dem Film raus, eine der sympathischsten Figuren des Filmes ist tot, und Bond hat es nicht verhindern können, das passt überhaupt nicht in die Formel. Ansonsten ist der Film viel besser als sein Image, aber mit diesem komischen Gefühl will niemand aus dem Kino gehen, wenn er einen Bond-Film sieht.

Timm: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur mit dem Psychologen und Autor Werner Greve über James Bond, den Filmhelden, den gibt es genau seit 50 Jahren. Und Herr Greve, James Bond ist ja auch ein Kind des Kalten Krieges. Sein Schöpfer Ian Fleming hat sogar selbst beim Geheimdienst gearbeitet. Hat es den Filmen eigentlich geschadet, dass das klassische Gut-Böse-Schema mit den klaren Fronten im Laufe der Jahre nicht mehr gegeben war? Da musste James Bond ja auf Einzelbösewichter ausweichen.

Greve: Das war sicherlich die dramatischste Identitätskrise sozusagen im langen Leben des James Bond, als '89 die Mauer fiel und endgültig die Feinde im Osten keine Feinde mehr waren. Das gab es zwischendurch schon ein paar mal, dass keine kommunistischen oder andere staatlichen Gegner bekämpft wurden, sondern Privatleute, aber die Auseinandersetzung West-Ost war immer so die Hintergrundmusik, und das war auch die Phase der Filmgeschichte, wo diese Bondfilme wirklich auf der Kippe standen.

Zwischen '89 und '95 gab es keinen Film, sechs Jahre Pause, und dann haben sie das Dilemma total genial gelöst durch zwei Tricks: Einerseits haben sie das Dilemma angesprochen, er kommt dann zu seiner dann weiblichen Chefin, und die sagt, ach, sie sind doch ein Relikt des Kalten Krieges, das beeindruckt mich nicht, damit war sozusagen per Augenzwinkern das gelöst, und das andere war, dass er dann halt mit den Überbleibseln des Kalten Krieges arbeiten musste, also zum Beispiel mit den Waffen, die jetzt im Ostblock übrig geblieben sind und durch Waffenhändler vertickt werden. Und plötzlich hat er wieder eine neue Aufgabe, und damit konnten wieder die 20, 25 Jahre überstanden werden.

Timm: Sie haben es angesprochen, er hat zwar eine Chefin, aber das Bond-Girl, das Bond-Girl ist doch eher erotische Belohnung danach. Gehört das auch zur strikten Bond-Formel, die Frau aus schnuckeliges Anhängsel?

Greve: Sehr, sehr gute Frage, und die Antwort heißt ja und nein. Also natürlich braucht er am Ende so eine erotische Belohnung, das gehört zur Formel, und mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen gibt es die auch am Ende, und natürlich gibt es auch immer schöne Anblicke, wenig bekleidete Damen, insofern gehört die Verfügbarkeit und die Sexualisierung von Frauen zur Formel. Andererseits haben die Frauen über die 50 Jahre ihr Image ganz deutlich mehrfach gewandelt. In den 60ern können die sehr wenig, es gibt keine Anzeichen für Berufsausbildung oder irgendwelche Kompetenzen, Ende der 70er ist das völlig anders. Da sind die Kolleginnen zum Teil sogar besser qualifiziert als er, '79 ist die Kollegin promoviert, was er nicht ist ...

Timm: Aber sie werden nie Chefin im Team, sie werden immer so das Beiwerk.

Greve: Ja, manchmal sind sie sozial auch ungefähr auf Augenhöhe.

Timm: Ach Gott.

Greve: Es gibt ein paar Filme, wo man wirklich sagen kann – also zum Beispiel jetzt "Casino Royale" 2006, wo die weibliche Hauptrolle ihm wirklich das Wasser reichen kann, genau so schlagfertig ist, oft genau so pfiffig. Und es gibt ja auch andere Frauen, zum Beispiel hat er eben seit '95 eine weibliche Chefin, da ist er der deutschen Wirtschaft 20 Jahre voraus.

Timm: Na ja, gut, die Chefin, der erstattet er dann immer schön Bericht, aber ich frage mich natürlich, wäre es denkbar, dass sie vielleicht in zehn Jahren oder so, dass sie mal übernimmt, also vom Bond-Girl zur Bondine, eine weibliche Geheimagentin?

Greve: Ich vermute, das wäre dann eine andere Figur. Ich glaube, das ist kein Problem mehr, so einen Film zu drehen, und ich glaube auch, dass der erfolgreich sein würde – solche Filme gibt es ja auch –, aber es wäre dann eben nicht mehr diese Figur. Ich glaube eher, dass es so sein wird, dass mehr und mehr die Partnerinnen zumindest sozial auf Augenhöhe agieren, also schlagfertig sind, auch mal den besseren Witz reißen oder etwas origineller antworten oder so etwas.

Timm: Schließen wir zum Schluss ganz kurz den Kreis: Nächsten Monat kommt der neueste Bond-Film – was erwarten Sie bezüglich des Zeitgeistes?

Greve: Ich bin super gespannt. Ich glaube, was sie auf jeden Fall machen werden müssen, sind ein paar Zitate, die es in den letzten Filmen nicht gab. Also es gab zum Beispiel weder Moneypenny noch Q in den letzten beiden Filmen, das werden sie ganz bestimmt zum Geburtstag wieder einführen müssen. Ich glaube, dass es eine wichtige Änderung werden wird – ich habe keine Ahnung, aber mein Tipp wird sein, dass er etwas mehr Grund braucht, um zu töten als nur die staatliche Rolle. Im Moment, glaube ich, ist eine staatliche Beamtenfunktion nicht Legitimation genug zum Töten. Ich glaube, er braucht wieder irgendeinen stärkeren persönlichen Beweggrund, das wäre meine Erwartung.

Timm: Also er tut sich mit der Lizenz zum Töten wieder schwer. Werner Greve war das, der James-Bond-Fan und Autor, über James Bond, der für ihn ein Messinstrument des Zeitgeistes ist. Vielen herzlichen Dank!

Greve: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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