"So lange sie singen konnte, war sie am Leben"
Lin Jaldati, die bekannteste Sängerin jiddischer Lieder in der DDR, wäre am 13. Dezember 100 Jahre alt geworden. Noch heute werde sie von Menschen angesprochen, die die 1988 Verstorbene in lebendiger Erinnerung haben, erzählt ihre Tochter, die Kantorin Jalda Rebling.
Ayala Goldmann: Sie wurde in Amsterdam geboren, überlebte Auschwitz zog 1952 in die DDR: Die niederländische Sängerin und Tänzerin Lin Jaldati war die bekannteste Interpretin jiddischer Lieder in Ost-Deutschland. Am 13. Dezember wäre sie 100 Jahre alt geworden. Am kommenden Sonntag, den 16. Dezember, wird in der Berliner Akademie der Künste ein Archiv eröffnet – mit den Erinnerungen von Lin Jaldati und den Schriften ihres Mannes, des Musikwissenschaftlers Eberhard Rebling. Vor Beginn der Sendung war Jalda Rebling bei mir im Studio, die jüngere Tochter der beiden Künstler.
Frau Rebling, Ihre Mutter ist ja nicht als Lin Jaldati auf die Welt gekommen, sondern sie hatte einen Namen, den ich nur sehr schwer aussprechen kann. Wie ist sie denn zu dem Künstlernamen Lin Jaldati gekommen?
Jalda Rebling: Eigentlich heißt sie Rebekka Brilleslijpers, und als sie in den 30er-Jahren auf die Bühne wollte, war es unmöglich, mit einem solchen Namen in Amsterdam auf die Bühne zu gehen. Sie haben russische Namen überlegt, die waren damals sehr "fashion", aber so richtig was ist ihnen nicht eingefallen. Bis David Mühlrad, ein Mann, der meine Mutter sein Leben lang sehr geliebt hat, zu ihr sagte: Du bist doch "Jaldati" (hebräisch für: Du bist doch mein Mädchen.) Und so wurde der Name Lin Jaldati kreiert.
Goldmann: Woher konnte Ihre Mutter denn Jiddisch - als holländische Jüdin? Und wie hat ist gerade sie dazu gekommen, eine der bekanntesten Jiddisch-Interpretinnen in der DDR zu werden?
Rebling: Sie ist in Amsterdam aufgewachsen, zum Beispiel in der Nieuwe Kerkstraat. Das war eine Gegend damals - heute sind die Wohnungen unbezahlbar - aber damals war das eine Gegend, wo die einfachen Leute lebten. Das heißt, die Juden, die aus Osteuropa auf dem Wege nach Amerika in Holland hängen geblieben sind, aus welchen Gründen auch immer, weil das Geld für die Reise nicht mehr reichte, die haben dort auf der Straße Jiddisch gesprochen. Und meine Großeltern hatten so einen kleinen Marktstand, also wurde natürlich Jiddisch gesprochen. Und da konnte der Großvater noch so oft darauf bestehen: "Das ist ein holländisches Haus! Hier wird holländisch gesprochen!" Auf der Straße sprach man das, was halt auf der Straße üblich war.
Goldmann:: Jetzt machen wir einen Zeitsprung. Ihre Mutter hat später Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. Dann ist sie 1952 in die DDR gezogen. Warum?
Rebling: Ja, das ist eine schwierige Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann. Es gibt viele Antworten darauf, aber keine trifft es richtig. 1. Als holländische Jüdin wurde sie von den Holländern verraten. 2. Meinem Vater wurde ein guter Job in Ost-Berlin angeboten. Und auf ihren Tourneen Ende der 40er-Jahre, die unter anderem auch nach Berlin geführt haben, da hat sie auch für die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) am Schlachtensee in dem DP-Camp gespielt, aber auch im Kulturbund. Und da saß Anna Seghers und sagte: Wir brauchen dich hier, um die Trümmer in den Köpfen der Menschen aufzuräumen.
Also, es gibt viele Aspekte, und ein Aspekt ist ein großer Idealismus. Der große Idealismus, aus Deutschland ein Land aufzubauen, von dem aus nie wieder ein Krieg kommen würde. Als Lin in der DDR ankam, begann sie sofort, jiddische Lieder zu singen. Und zwar sehr erfolgreich! Die Leute liebten sie, und noch heute werde ich von Menschen angesprochen, die sie in lebendiger Erinnerung haben. So gab es zum Beispiel im November 1952 im Haus am Kastanienwäldchen, das war damals das Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft, ein großes Konzert mit jiddischen Liedern.
Sie hat immer jiddische Lieder gesungen, und sie auch Menschen gelehrt, die jiddische Lieder lernen wollten. Sie hat ein Liederbuch herausgebracht, das zwei Mal erscheinen musste, eine Nachauflage war nötig, weil so viele Menschen dieses Liederbuch haben wollten.
Goldmann: Lin Jaldati war ja Mitglied der SED, sie war als Künstlerin in der DDR sehr privilegiert, sie durfte unzählige Male im westlichen und im sozialistischen Ausland auftreten - sie war sogar in Nordkorea. Andererseits, so haben Sie sie mir beschrieben, war sie ein sehr ehrlicher Mensch, ein direkter, temperamentvoller Mensch, auch ein Mensch mit Hang zu sehr melancholischen Stimmungen. Wie hat sie denn das Leben in der DDR eigentlich ausgehalten?
Rebling: Auf der einen Seite war sie die Frau, die mit allen Traumata aus den Konzentrationslagern wiedergekommen ist. Und auf der anderen Seite war in ihren Liedern unglaublich viel Lebensfreude. Solange sie gesungen hat, war sie am Leben, war sie lebendig. Sie hätte die DDR sofort verlassen, wenn man sie nicht hätte reisen lassen. Sie war ihr Leben lang eine Grenzgängerin, ein Mensch, den man nicht einsperren kann. Sie wurde einmal eingesperrt, von den Nazis, und das sollte nie wieder vorkommen.
Goldmann:: 1988 ist Ihre Mutter gestorben, das war ein Jahr vor der Wende. Was glauben Sie - was würde sie sagen, wenn sie heute das wiedervereinigte Berlin sehen könnte?
Rebling: Sie wäre dankbar, weil diese weltoffene Stadt, wo Menschen aus den verschiedensten Ecken und Enden der Welt in enger Nachbarschaft miteinander leben, das war ihr Traum von Berlin. Eine hohe Kultur und Vielfalt, eine unglaubliche Vielfalt. Und auf der anderen Seite, gleich nach dem Fall der Mauer, als die Neonazis wieder sehr laut wurden, da bin ich eigentlich sehr dankbar, dass sie den Ruf "Deutschland den Deutschen", den ich vor meiner Haustür im Prenzlauer Berg gehört habe, dass sie den nicht hören musste.
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Sprache der Juden - Sol Sajn: "Eine Anthologie Jiddischer Musik ...", (DKultur, Aus der jüdischen Welt)
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Jalda Rebling: Eigentlich heißt sie Rebekka Brilleslijpers, und als sie in den 30er-Jahren auf die Bühne wollte, war es unmöglich, mit einem solchen Namen in Amsterdam auf die Bühne zu gehen. Sie haben russische Namen überlegt, die waren damals sehr "fashion", aber so richtig was ist ihnen nicht eingefallen. Bis David Mühlrad, ein Mann, der meine Mutter sein Leben lang sehr geliebt hat, zu ihr sagte: Du bist doch "Jaldati" (hebräisch für: Du bist doch mein Mädchen.) Und so wurde der Name Lin Jaldati kreiert.
Goldmann: Woher konnte Ihre Mutter denn Jiddisch - als holländische Jüdin? Und wie hat ist gerade sie dazu gekommen, eine der bekanntesten Jiddisch-Interpretinnen in der DDR zu werden?
Rebling: Sie ist in Amsterdam aufgewachsen, zum Beispiel in der Nieuwe Kerkstraat. Das war eine Gegend damals - heute sind die Wohnungen unbezahlbar - aber damals war das eine Gegend, wo die einfachen Leute lebten. Das heißt, die Juden, die aus Osteuropa auf dem Wege nach Amerika in Holland hängen geblieben sind, aus welchen Gründen auch immer, weil das Geld für die Reise nicht mehr reichte, die haben dort auf der Straße Jiddisch gesprochen. Und meine Großeltern hatten so einen kleinen Marktstand, also wurde natürlich Jiddisch gesprochen. Und da konnte der Großvater noch so oft darauf bestehen: "Das ist ein holländisches Haus! Hier wird holländisch gesprochen!" Auf der Straße sprach man das, was halt auf der Straße üblich war.
Goldmann:: Jetzt machen wir einen Zeitsprung. Ihre Mutter hat später Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. Dann ist sie 1952 in die DDR gezogen. Warum?
Rebling: Ja, das ist eine schwierige Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann. Es gibt viele Antworten darauf, aber keine trifft es richtig. 1. Als holländische Jüdin wurde sie von den Holländern verraten. 2. Meinem Vater wurde ein guter Job in Ost-Berlin angeboten. Und auf ihren Tourneen Ende der 40er-Jahre, die unter anderem auch nach Berlin geführt haben, da hat sie auch für die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) am Schlachtensee in dem DP-Camp gespielt, aber auch im Kulturbund. Und da saß Anna Seghers und sagte: Wir brauchen dich hier, um die Trümmer in den Köpfen der Menschen aufzuräumen.
Also, es gibt viele Aspekte, und ein Aspekt ist ein großer Idealismus. Der große Idealismus, aus Deutschland ein Land aufzubauen, von dem aus nie wieder ein Krieg kommen würde. Als Lin in der DDR ankam, begann sie sofort, jiddische Lieder zu singen. Und zwar sehr erfolgreich! Die Leute liebten sie, und noch heute werde ich von Menschen angesprochen, die sie in lebendiger Erinnerung haben. So gab es zum Beispiel im November 1952 im Haus am Kastanienwäldchen, das war damals das Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft, ein großes Konzert mit jiddischen Liedern.
Sie hat immer jiddische Lieder gesungen, und sie auch Menschen gelehrt, die jiddische Lieder lernen wollten. Sie hat ein Liederbuch herausgebracht, das zwei Mal erscheinen musste, eine Nachauflage war nötig, weil so viele Menschen dieses Liederbuch haben wollten.
Goldmann: Lin Jaldati war ja Mitglied der SED, sie war als Künstlerin in der DDR sehr privilegiert, sie durfte unzählige Male im westlichen und im sozialistischen Ausland auftreten - sie war sogar in Nordkorea. Andererseits, so haben Sie sie mir beschrieben, war sie ein sehr ehrlicher Mensch, ein direkter, temperamentvoller Mensch, auch ein Mensch mit Hang zu sehr melancholischen Stimmungen. Wie hat sie denn das Leben in der DDR eigentlich ausgehalten?
Rebling: Auf der einen Seite war sie die Frau, die mit allen Traumata aus den Konzentrationslagern wiedergekommen ist. Und auf der anderen Seite war in ihren Liedern unglaublich viel Lebensfreude. Solange sie gesungen hat, war sie am Leben, war sie lebendig. Sie hätte die DDR sofort verlassen, wenn man sie nicht hätte reisen lassen. Sie war ihr Leben lang eine Grenzgängerin, ein Mensch, den man nicht einsperren kann. Sie wurde einmal eingesperrt, von den Nazis, und das sollte nie wieder vorkommen.
Goldmann:: 1988 ist Ihre Mutter gestorben, das war ein Jahr vor der Wende. Was glauben Sie - was würde sie sagen, wenn sie heute das wiedervereinigte Berlin sehen könnte?
Rebling: Sie wäre dankbar, weil diese weltoffene Stadt, wo Menschen aus den verschiedensten Ecken und Enden der Welt in enger Nachbarschaft miteinander leben, das war ihr Traum von Berlin. Eine hohe Kultur und Vielfalt, eine unglaubliche Vielfalt. Und auf der anderen Seite, gleich nach dem Fall der Mauer, als die Neonazis wieder sehr laut wurden, da bin ich eigentlich sehr dankbar, dass sie den Ruf "Deutschland den Deutschen", den ich vor meiner Haustür im Prenzlauer Berg gehört habe, dass sie den nicht hören musste.
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